Bayern-Čechy - Ausgabe Juli 2024

Die Saat geht auf

Der Tech Tower Pilsen erweckt einen ganzen Stadtteil zu neuem Leben. Ein Besuch dort, wo am 19. September der Bayerisch- Tschechische Innovationstag für Impulse sorgen wird und sich ostbayerische Start-ups im Nachbarland ausprobieren können.
Nach Slovany mit dem Business rausgehen? Linda Šimonová war ein wenig skeptisch, als ihr das vorgeschlagen wurde. „Eigentlich war ich mit meinen Geschäften immer im Zentrum unterwegs“, so die Managerin der CIE-Gruppe, die Dienstleistungen im HR-Bereich anbietet. Linda hat den Schritt nicht bereut.
Besagter Stadtbezirk, er heißt auch Pilsen-2, liegt im Südosten der westböhmischen Metropole und erwacht gerade aus dem Dornröschenschlaf. 700 Millionen Kronen schwer ist der Prinz, mit der die Stadt Pilsen Slovany wachgeküsst hat. Er heißt Tech Tower und verbindet technische Innovationen, Start-ups sowie etablierte Unternehmen miteinander.
Linda Šimonová schätzt am Tech Tower die Nähe zu Studierenden und Absolventen der Uni.
Linda Šimonová schätzt am Tech Tower die Nähe zu Studierenden und Absolventen der Uni. © Peter Burdack

Vom Weltbräu zum Business-Quell

Für das rund ein Hektar große historische Ensemble der Brauerei Sve.tovar- Weltbräu gab es immer wieder Planungen. Das imposante Brauerei-Areal entstand 1910 damals noch auf der grünen Wiese. 1932 bereits schloss die Brauerei ihre Pforten. Nach 1945 wurden die Gebäude bis in die 1990er Jahre von der Armee als Lager genutzt. 2003 ging die Liegenschaft vom Verteidigungsministerium an die Stadt Pilsen. Es folgte 2008 die Einstufung als historisches Baudenkmal. Eine Sanierung mit Umbau zum Kreativzentrum im Zuge des Kulturhauptstadtjahres 2015 scheiterte. Letztes Jahr im Februar nun eröffnete nach einem grundlegenden Umbau der Tech Tower.
Die Stadt Pilsen hat für das Projekt selbst viel Geld in die Hand genommen und es wurde von der EU kräftig mitfinanziert. Tomáš Cholinský leitet als Geschäftsführer der städtischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft SIT-Port den Turm. Auf dem Weg im Treppenhaus nach oben zeigt er aus dem Fenster auf imposante leerstehende Gebäude um einen weiteren hohen Turm. „Hier werden die Tech Tower 2 und 3 entstehen, denn wir sind bereits zu 85 Prozent ausgelastet.“ Der Blick geht auch auf die bereits vorhandene Tramlinie, die Slovany bestens anbindet. Auch erstes urbanes Wohnen ist aus den ehemaligen Industriebrachen drumherum bereits gewachsen. „Hier baut die Stadt Pilsen bald ein neues Parkhaus, und hier wird ein neues Wohnquartier entstehen“, zeigt Cholinský weiter.

Ein Umfeld, das anzieht

Die Saat geht auf in Slovany. Mehr als 200 Coworker – teils sehr junge Leute, entweder noch Studierende oder Absolventen der Westböhmischen Universität – nutzen den Turm für ihre Business- Ideen. Sie werden engmaschig unterstützt: zum einen über Networking- Events, etwa mit etablierten Unternehmerinnen wie Linda, zum anderen mit Know-how-Seminaren und Workshops zur Unternehmensgründung, aber auch mit Social Events, Yogakursen und einer, wie im Gespräch alle bestätigen, sehr guten Kantine. Gratiskaffee in den Gemeinschaftsküchen, Begegnungs-, Freizeit-, Konzentrations- und Erholungsflächen all inclusive.

Nährboden für Neue

Das taugt, finden Jan, Lukas und Stepan, 21, 25 und 26 Jahre alt. Die drei Sprösslinge der Westböhmischen Uni stehen für eine neue Generation Unternehmertum in Tschechien – jung, kreativ, mutig und digital. Für Jan Mráz scheint das noch laufende Bachelorstudium Nebensache. Als Gründer der Firma PrintControl3D entwickelt er im Tech Tower IoT-Module, welche 3D-Drucke verbessern. Dafür werden etwa Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit und Datenübertragung gemessen und als Parameter in den Druckprozess eingespeist. Mit dem Unternehmen Prusa 3D hat Jan bereits einen Partner gefunden, der 3D-Drucker etwa für den Einsatz in Schulen oder Universitäten produziert, und das übrigens mit einem reproduktiven Ansatz. Denn die Teile für neue 3DDrucker werden in einer Druckerfarm selbst wiederum von 3D-Druckern produziert.
Lukas Frey, deutschstämmiger Tscheche, und Stepan Mocjak, in Pilsen aufgewachsener Ukrainer, gründeten mit der Guava s.r.o ein Softwareunternehmen, das cloudbasierte Webanwendungen entwickelt. Bereits während des Studiums als Freelancer gestartet, haben sie im Tech Tower eine Heimat für ihr junges Unternehmen gefunden. Erste Kunden, einer sogar aus Frankfurt am Main, haben sie bereits ins Boot geholt.
Ist Tschechien heute ein gutes Pflaster für Gründungen? „Wer den nötigen Drive mitbringt, der bekommt hier in Pilsen viel Unterstützung“, sagt Lukas. Auch könne man in Tschechien bereits mit einer Krone eine Firma gründen, „niedrigschwelliger als in Deutschland, denke ich“. Und auch Tomáš Cholinský glaubt, dass in Tschechien gerade viel passiert. „Wer einen guten Businessplan hat, der kommt in der Regel bei uns an Kapital.“
Tech-Tower-Leiter Tomáš Cholinský (r.) im Gespräch mit den Gründern (v. l.) Jan Mráz, Stepan Mocjak und Lukas Frey.
Tech-Tower-Leiter Tomáš Cholinský (r.) im Gespräch mit den Gründern (v. l.) Jan Mráz, Stepan Mocjak und Lukas Frey. © Peter Burdack

Prag oder Pilsen? Keine Frage

Auf Pilsen anstelle von Prag schwören sie hier alle, nicht nur wegen des Lokalpatriotismus. „In Pilsen hilft man sich gegenseitig. In Prag gibt es zwar mehr Kunden, dafür ist die Konkurrenz größer“, bestätigt Linda Šimonová. Sie hat eine bunte Karriere hinter sich, betrieb mit ihrem damaligen Mann etwa vor Jahren sogar ein Wirtshaus im bayerischen Waldmünchen. Nach jahrelanger Expertise im Management-Recruiting hat sie mit Partnern ihr Portfolio auf verschiedenste Aspekte der Personalberatung ausgeweitet.
Im Tech Tower arbeiten für die CIE-Gruppe rund 50 junge Menschen, Festangestellte und Werkstudierende, an der Entwicklung von Apps für VR-Trainings und -Prozessplanung. Für Kunden wie den Prager Flughafen etwa werden virtuelle Brandschutzübungen entwickelt, für die Tschechischen Staatsbahnen Ceské dráhy Trainings für Fahrzeugführer simuliert. Pilsens Schulklassen stattet die CIE-Gruppe mit VR-Brillen- Sets und entsprechenden Unterrichtsübungen aus, die in Koffern bereits fertig konfektioniert sind. Die nächste Generation für das digitale Business steht in Westböhmens Metropole also bereits in den Startlöchern.

Autor: Peter Burdack
IHK vor Ort in Pilsen
Bei allen Fragen zu wirtschaftlichen Themen im Nachbarland hilft das gemeinsame Regionalbüro Pilsen der IHK Regenburg für Oberpfalz / Kelheim und der Deutsch-Tschechischen IHK gerne weiter.