Flüchtlinge größte Herausforderung seit 1945

IHK-Nachmittagsgespräch mit Peer Steinbrück
(09.02.2016) „Unsere IHK möchte mit ihrem 8-Punkte-Aktionsprogramm Flüchtlinge so schnell wie möglich in Arbeit und Ausbildung integrieren. Dabei setzen wir auf eine enge Zusammenarbeit mit unseren Partnern in den Arbeitsagenturen und Jobcentern.“ Das erklärte Martin Schlichter, Präsident der IHK Osnabrück - Emsland - Grafschaft Bentheim, in seiner Begrüßung zum Nachmittagsgespräch mit dem ehemaligen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. Schnelle Lösungen seien auch deshalb wichtig, damit die grenzüberschreitende Freizügigkeit in Europa nicht gefährdet werde.
Steinbrück bezeichnete den Flüchtlingszustrom sogar „als größte Herausforderung der Bundesrepublik seit 1945“. Diese betreffe fast alle Politikbereiche, von der Gesellschaftspolitik über den Wohnungsbau bis hin zur Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik. Bei allem bewundernswerten Engagement zur Integration der Flüchtlinge stelle sich die Frage, wie groß die Aufnahmefähigkeit in Deutschland für Menschen aus einem völlig anderen Kulturkreis sei.
Neben den Flüchtlingen sah er im Konflikt mit Russland, in der Instabilität der Euro-Zone, im Terror durch den sogenannten IS und in der digitalen Revolution weitere Herausforderungen. „Deutschland ist aber gut aufgestellt, um diese zu bestehen“, so Steinbrück, der 2017 nicht wieder zur Wahl antreten wird. Stärken Deutschlands seien insbesondere der hohe Grad der Industrialisierung, der starke Mittelstand, die weitgehend gute Infrastruktur, die hervorragend ausgebildeten Arbeitnehmer und kluge politische Weichenstellungen wie die Unternehmenssteuerreformen oder die Agenda 2010.
„Allerdings dürfen Vorteile wie die starke industrielle Basis nicht in Nachteile umschlagen. Diese macht Deutschland angesichts der zunehmenden Digitalisierung auch angreifbar“, so Steinbrück. Bei den immer engeren Software-Verknüpfungen in Industrieprozessen müsse man sich die Frage stellen, wer eigentlich die Zügel noch in der Hand hält – die Industriebetriebe selbst oder die IT- und Kommunikationskonzerne, die digitale Plattformen und Lösungen bereitstellen. Die IHKs sollten die Digitalisierung und die dadurch verursachten Strukturbrüche daher noch stärker auf die Tagesordnung setzen.
In diesem Zusammenhang beklagte er, dass in Deutschland zu wenig investiert werde – vor allem in den Kommunen, aber auch in der gewerblichen Wirtschaft. Deutschland hinke dem Durchschnitt der OECD-Länder um zwei Prozentpunkte hinterher. Als Beispiele benannte er die Bildung und den Breitbandausbau mit Glasfasertechnologie. „Hier haben wir derzeit einen Investitionsbedarf von 100 Milliarden Euro“, erklärte Steinbrück. Zur Lösung schlug er regionale Anleihen zum Breitbandausbau vor, die von der öffentlichen Hand ausgegeben und über Lizenzvergaben finanziert werden könnten.