KI – Jetzt oder nie!

von Dr. Beate Bößl, IHK 
Generative KünstIiche Intelligenz (KI) denkt die Welt neu. Und deshalb ist es höchste Zeit, auch unsere menschlichen Gehirne mit Wissen über KI-Entwicklungen und -Anwendungen zu füttern. Doch wie informiert man sich umfassend über KI? Wie gezielter? Wir haben Antworten gesucht und sind fündig geworden bei einer Ausstellung im MIK Osnabrück und bei der Wiethe Content GmbH. 

Und jetzt alle: „ChatYippiehT!“ 

Ende 2022 wurde ChatGPT über Nacht zum Synonym für künstliche Intelligenz. Dass es die auch schon vorher gab? Egal. ChatGPT war kinderleicht zu nutzen und erntete beispiellose Vorschusslorbeeren. In den ersten Info-Veranstaltungen über ChatGPT sprachen daher selbst die von staatlichen Fördergeldern bezahlten Referenten locker und flockig davon, dass man nicht wisse, wer genau an der Quelle sitze. (Doch keine Sorge, für Bomben-Bau-Anfragen habe das Tool bereits ein Antwortverbot programmiert bekommen.) Was klar wurde: ChatGPT ist eine gigantische Textfressmaschine ohne Sättigungsgefühl. Rechtliche Leitplanken fürs Urheberrecht? Die würden sich bei Digitalthemen meist ohnehin erst später entwickeln, hieß es beschwichtigend. Manche Menschen irritierte das. Denn was, wenn ChatGPT eine neue Behandlungsmethode in der Gehirnchirurgie wäre. Würden die Ärzte auch voll Vorfreude ins Krankenzimmer stürmen und rufen: „Los geht‘s! Wir sind selber ganz gespannt!“?  
Vieles war unklar Ende 2022. Mitte 2024 ist das bereits anders. Unternehmen, die sich auf das rasante Tempo der Entwicklungen einließen, sind inzwischen in der Lage eigene Spielregeln zu gestalten und, vor allem, eigenständig zu beurteilen: Was ist passend? Was ist nicht passend? Und was wäre wünschenswert? Diesen Wandel beschreibt anschaulich Lena Büker, CEO der ehorses GmbH & Co. KG, in unserem Titelinterview auf Seite 14.  
Auch in den Gesprächen unserer IHK mit Fach- und Führungskräften – mit Industrieunternehmen wie mit Dienstleistern – zeigt sich ganz klar: Nachdem die KI in den Betrieben angekommen ist, klopft sie nun an die Türen der einzelnen Fachbereiche. In die Anwendung und Akzeptanz zu kommen, ist jedoch kein einfaches Unterfangen. Auch deshalb nicht, weil vielfach die Sorge besteht, künstliche Intelligenz könne ungewollte Veränderungen bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes bringen. Was also tun? Als Erste Hilfe ist ein Besuch im Museum Industriekultur Osnabrück (MIK) ein Tipp. Dort ist seit Mai (und bis zum 27.10) die Ausstellung „Künstliche Intelligenz – Die letzte Erfindung der Menschheit?“ zu sehen. Ein Titel, der mit einem Augenzwinkern zu verstehen und bewusst mit einem Fragezeichen versehen worden sei, sagt MIK-Direktorin Dr. Vera Hierholzer. 

Will KI die Menschheit ersetzen? 

In der Ausstellung auf dem Osnabrücker Piesberg spielen das Abwägen von Chancen und Risiken sowie die ambivalente Bewertung von KI eine wichtige Rolle. Denn, so sagt es die Kuratorin: „Ihre Ambivalenz teilt sich die KI mit früheren Innovationen wie etwa der Dampfmaschine, der Eisenbahn, der Elektrizität und der Kernenergie, die ähnlich tiefgreifende strukturelle Veränderungen in Gesellschaft und Wirtschaft bewirkten.“  
„Vielleicht“, ergänzt Dr. Vera Hierholzer, „sind wir aber bei der KI besonders skeptisch, weil diese in einem bisher nicht gekannten Ausmaß den Menschen zu ersetzen scheint, auch weil sie sich aus sich selbst heraus stetig weiterentwickelt und möglicherweise weitere menschliche Erfindungen überflüssig macht.“ Genau hier setze die Ausstellung an: „Die mit KI verbundenen negativen Implikationen sind nur durch Wissen und Erfahrung einzuschätzen, es müssen Regeln definiert werden. Es kommt – wie so häufig – auf den Umgang der Menschen mit den neuen Möglichkeiten an. Das ist eigentlich nicht neu. Unsere Ausstellung ermöglicht die spielerische Auseinandersetzung mit grundlegenden Prinzipien der KI und trägt so hoffentlich ein Stück weit dazu bei, Verständnis zu fördern und KI zu entmystifizieren.“ 

Ein Blick zurück – und zwei nach vorn 

Die Ausstellung im MIK nähert sich der künstlichen Intelligenz über  drei thematische Abschnitte: 1. Über einen Blick in die Historie. Das älteste dreidimensionale Exponat ist dabei ein Modell einer Dampfmaschine nach James Watt von 1910, die beispielhaft für wichtige Innovationen auf dem Weg hin zu KI steht. 2. Über eine Wanderausstellung mit dem Titel „I AM A.I“, die als „Ausstellung in der Ausstellung“ gezeigt wird und Basiswissen vermittelt. 3. Über konkrete KI-Anwendungsbeispiele und -Entwicklungen in der Region Osnabrück. Ein Highlight ist sicher das am Institut für Kognitionswissenschaft der Universität entstandene Modell eines selbst fahrenden Autos, in das die Besucher einsteigen können, um mittels VR-Brillen eine Testfahrt zu unternehmen.  
Es bleibt die Frage: Was war eigentlich die wichtigste Erkenntnis über KI, die die Museumsdirektorin selbst aus der Vorbereitung der Ausstellung mitgenommen hat? „Obwohl ich Historikerin bin“, sagt Dr. Hierholzer, „war mir nicht bewusst, wie lang die Geschichte der KI schon ist: Ideen zu intelligenten Maschinen bzw. künstlichen Menschen gab es schon in der Antike und viele Disziplinen haben an der Entwicklung dessen, was wir heute unter künstlicher Intelligenz verstehen, mitgewirkt. Es war ein langer Prozess aus vielen kleinen Schritten, die sich seit den 1950er Jahren nach und nach verdichteten, bis es vor wenigen Jahren zu einer rasanten Beschleunigung kam. Weiter hat mich überrascht, wie vielfältig die KI-Forschung und Entwicklung in unserer Region ist. Wir wussten natürlich schon, dass sich im Großraum Osnabrück viele Forschungsinstitutionen sowie große Unternehmen, aber auch zahlreiche Startups mit KI beschäftigen. Aber über die Fülle an Projekten und Ansätzen war ich dann doch erstaunt!“ 

„Konnten unsere Arbeitsweise revolutionieren“ 

Wer die Ausstellung im Museum Industriekultur besucht, erhält einen interessanten Überblick. Genau das wiederum kann der Anfang sein, um bei der Nutzung von KI-Tools mit einem eigenen Pro und Kontra argumentieren zu können. Das ist für den Privatgebrauch spannend. Für viele Unternehmen ist es längst erfolgsentscheidend, KI-Entwicklungen schnell – und vor allem anwenderbezogen – einschätzen zu können und umzusetzen. Zu diesen Unternehmen gehört die Wiethe Content GmbH mit Stammsitz in Georgsmarienhütte und einem weiteren Standort in der Bremer Überseestadt. „Mit rund 200 Mitarbeitenden auf 11 000 m² Produktionsfläche ist Wiethe Content die größte Content-Produktion für den E-Commerce in Europa“, sagt Chief Marketing Officer Philipp Auer.  
Die Unternehmensstrategie setzt dazu auf eine Content-Erstellung, die KI einbindet. Nur ein Beispiel dafür: Bilder werden mittels KI im post production Prozess automatisiert freigestellt. Viele der neuen Möglichkeiten beschleunigen die Time-to-Market, die Zeit bis zur Markteinführung. Dies erhöhe die Relevanz der Inhalte, sagt Auer. So ließe sich unter anderem die Zahl der Klicks und Käufe (Conversion-Rate) steigern und die Retourenquote senken.  
Ein weiterer Meilenstein sei die automatisierte Content-Erstellung. „Mit fortschrittlichen KI-Technologien wie ChatGPT und Make haben wir den Prozess der Newsletter-Erstellung vollständig automatisiert“, so Auer. Möglich ist das, weil das Unternehmen KI direkt in die Anwendung brachte oder, wie Philipp Auer sagt: „Die Integration von künstlicher Intelligenz hat bei Wiethe Content bedeutende Fortschritte gemacht. Besonders durch den Einsatz fortschrittlicher Tools wie ChatGPT, MidJourney und Stable Diffusion konnten wir unsere Arbeitsweise revolutionieren.“  
Bei der Nutzung von künstlicher Intelligenz geht das Unternehmen inzwischen eigene Wege und hat eine Text-KI namens „wiecopy“ entwickelt. Diese generative KI kann anhand eines Artikelfotos und von Hashtags kurze Beschreibungen sowie relevante Stichpunkte generieren. „In über 90 % der Fälle liefert ´wiecopy´ überzeugende Ergebnisse, die zur Qualitätssicherstellung von unseren Mitarbeitern überprüft werden“, erläutert Philipp Auer. Um sicher zu gehen, dass das Team neue Werkzeuge nicht nur versteht, sondern die Vorteil der künstlichen Intelligenz ausschöpft, wird intensiv auf Schulungen gesetzt. Jüngstes Beispiel: Mit dem Bildungspartner Leaders of AI wurde ein dreimonatiges Schulungsprogramm angeboten, das speziell darauf ausgerichtet ist, Mitarbeiter im Bereich der künstlichen Intelligenz auszubilden. Ziel dieses Programms war es, sowohl praktische Fähigkeiten als auch ein Verständnis für die ethischen und rechtlichen Aspekte von KI zu vermitteln. „Der größte Wissensgewinn aus den Kursen“, sagt Auer, „war die Erkenntnis, dass man KI wie einen hochqualifizierten Praktikanten behandeln sollte. Ein gut strukturierter Input führt zu qualitativ hochwertigem Output. Dieser Unterschied zwischen einfacher Nutzung und professioneller Anwendung von Tools wie ChatGPT ist signifikant. Diese Einsicht war für alle Teilnehmer ein entscheidender Faktor!“ 

„Einen Augenblick bitte, ich verbinde ...“

Das sagt ChAIra, die neue und aktuell noch in der Entwicklung befindliche generative Künstliche Intelligenz unserer IHK. ChAIra war in den Testrunden sehr freundlich und machte – was leicht irritierend war – eine Art minimale menschliche Denkpause, bevor sie zu den gewünschten IHK-Mitarbeitern durchstellte. Entwickelt wird unser KI-Tool von Andree Josef von Die Etagen Holding GmbH, Osnabrück, gemeinsam mit der Universität Osnabrück. Wenn alles klappt, soll ChAIra ein Copilot für Officeanwendungen werden und  als Telefon-KI in unserem IHK-Servicecenter zum Einsatz kommen. Ziel dabei ist es, die Produktivität zu steigern, also Arbeitszeit für andere Aufgaben zu schaffen, wie u. a. die noch schnellere Beantwortung von E-Mails. Aber: Die Tests brauchen zunächst noch Zeit. Und auch bei uns müssen die KI-generierten Ergebnisse noch von echten Menschen überprüft und verantwortet werden. Zumal ChAIra mitunter recht phantasievoll war und sich in Einzelfällen selbstständig Telefonnummern ausdachte... Zusätzlich zu dieser Anwendung koordinieren Dr. Nikola Ebker, Projektleiterin IHK24 und Digitale Medien (l.), und IHK-IT-Experte Lutz Herrmann (M.) unsere interne IHK-Fokusgruppe Generative KI, deren Mitglieder generative KI von Text, Bild, Ton bis zu Video auf Anwendungsmöglichkeiten und Erleichterungen im Arbeitsalltag überprüft haben. Texterstellung, Ideen für Social Media-Posts, Zusammenfassungen und Übersetzungen zeigten sich als ­Favoriten. Weitere Themen der Gruppe waren Promptingtechniken für ChatGPT sowie rechtliche Guidelines.
Dr.Beate Bößl
Öffentlichkeitsarbeit, Wirtschaftspolitik, International
Projektleiterin Öffentlichkeitsarbeit