Stark am Start!

von Robert Alferink, IHK
Das regionale Startup-Ökosystem hat seinen Ursprung in Osnabrück: 2018 hoben Stadt und Landkreis gemeinsam mit einigen mutigen Unternehmen aus der Region das „Seedhouse“ aus der Taufe: als „Accelerator“ oder auch Beschleuniger. Heute strahlt die Entwicklung ins Emsland und die Grafschaft Bentheim aus. Ein weiterer Effekt: Die Region ist ein Zuhause für Zukunftsthemen geworden.
Am Seedhouse kümmern sich Gründungsexperten um Startups aus den Bereichen Agrar, Food und Digital. Seit 2018 hat sich viel getan. Es folgte der Osnabrück Healthcare Accelerator, der sich auf Startups aus den Bereichen Medizin, Pflege und Gesundheitsleistungen spezialisiert hat. Und im Jahr 2021 wurden mit dem Smart City House  auch die Bereiche Verkehr, Logistik und Kreislaufwirtschaft für die Startup-Förderung erschlossen.
Strahlkraft in die Region
Die Entwicklung dieses Ökosystems in Osnabrück wurde von vielen Akteuren begleitet, so auch von unserer IHK. Eines unserer IHK-Kernanliegen war es dabei stets, den offensichtlichen Erfolg in Osnabrück auf eine breitere geografische Basis zu stellen. Mit den drei Landkreisen Emsland, Grafschaft Bentheim und Osnabrück gibt es im IHK-Bezirk wirtschaftsstarke Regionen mit einem starken Mittelstand und vielen Unternehmen, die genau zur Ausrichtung der drei Osnabrücker Acceleratoren passen und die prädestiniert sind als Geschäftspartner für die regionale Startup-Branche. Vor allem: In den Regionen muss nicht von Null an begonnen werden, denn es gibt bereits einen breiten Erfahrungsschatz und Erfolgsbeispiele, die Orientierung geben können. 
Ein Beispiel dafür ist die Osnabrücker seedalive GmbH. Das Biotechnologieunternehmen wurde im Seedhouse sozialisiert. Und spielt inzwischen groß auf. Die Geschäftsidee passt dabei auch von außen betrachtet ideal in unsere Region. „Wir entwickeln und vertreiben Keimfähigkeitsschnelltests für Pflanzensamen. Unsere Testkits sparen den Anwender 99 % Zeit und 99 % Energie. Unsere Kunden sind Züchter, Produzenten und Aufbereiter von Saatgut, aktuell europaweit und bald weltweit“, fasst Jens Varnskuehler, Mitgründer und Geschäftsführer der seedalive GmbH, zusammen. Ein Mehrwert, sagt er, sei das Startup-Ökosystem in Osnabrück: „Für uns ist es extrem wichtig. Nicht zuletzt durch die hervorragende Vernetzung in die lokal starke ­Industrie in unserem Sektor Agrar-Food-Digital. Daneben ist die Nähe zu Uni und Hochschule für uns ein wichtiger Standortfaktor, für Kooperationen in Forschung und Entwicklung und für die Mitarbeitergewinnung.“
Die Liste erfolgreicher Startups lässt sich beliebig erweitern. Von VisioLab, die Kassensysteme automatisieren und so nach eigener Aussage einen zehnmal schnelleren Durchsatz als eine mensch­liche Kassenkraft erreichen und nun auf den ­amerikanischen Markt expandieren, bis hin zur L&P FoodTec GmbH aus Quakenbrück, die mit der Marke „Frudist“ als ­„Kulinarischer Botschafter ­Niedersachsen innovativ 2024“ geehrt wurden (s. S. 34).
Stark am Start: Quakenbrück
Gerade in Quakenbrück entstand 2022 der erste Ausläufer des Startup-Ökosystems. Mit dem Growhouse, einem Hightech-Inkubator für die Bereiche Agrar, Food und Digital, konnte das Förderangebot für Startups in der Region deutlich erweitert ­werden. Ein Konsortium aus der Seedhouse Accelerator GmbH, dem Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik e.V. (DIL) aus Quakenbrück und der Aloys und Brigitte Coppenrath Stiftung ermöglicht seither an den Standorten Osnabrück und Quakenbrück eine intensive Förderung. Startups können im Growhouse bis zu zwei Jahre begleitet werden. Gerade für Startups am Anfang ihres Weges ist die zweijährige Begleitung wertvoll. Während die ­Acceleratoren jeweils nur sechsmonatige Förder-Programme anbieten, bietet das Growhouse einen noch größeren Mehrwert für die Startup-Szene.
Seedhouse expandiert in die Region
Jeweils zum 1. Januar und zum 1. Juli kommen neue Startups ins Accelerator-Programm vom Seedhouse. Nach Osnabrück und Quakenbrück ist nun das Emsland stärker in den Fokus der Startup-Szene gerückt. Denn: Bis zu bis sechs Startups hat das Seedhouse in der Regel im Halbjahresrhythmus in seinem Förderprogramm. Ab sofort soll ein Platz davon für ein Lingener Startup reserviert werden. Gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung der Stadt Lingen, der IT-Dienstleistungsgesellschaft Emsland, der Fakultät Management, Kultur und Technik der Hochschule Osnabrück sowie der Cornexion GmbH (s. Seite 14) hat das Seedhouse Anfang 2024 eine Zweigstelle in Lingen gegründet.
Aktuell wird mit Claraa das erste Startup im „Andock“, dem ­Co-Working-Space der Stadt im IT-Zentrum, eng betreut und gefördert. Die Idee hinter Claraa: das interne Datenmanagement von Unternehmen, wie z. B. die Dokumentenablage auf File-Servern, in CRM-Systemen oder Mails zu strukturieren und so die Zeit von Mitarbeitenden für die Informationssuche stark zu reduzieren.
Der Großteil der Betreuung im „Andock“ wird von Osnabrück aus „remote“ stattfinden. Aber auch die Seedhouse-Mitarbeiter werden immer wieder im „Andock“ anzutreffen sein.
Doch auch die anderen Acceleratoren engagieren sich zunehmend für Startups aus dem Emsland und der Grafschaft. „Es ist uns ein Anliegen, gerade auch dortige Startups zu fördern. Im ländlichen Raum sind viele unserer Startup-Ideen besonders wichtig. Der Bereich der Gesundheitsdienstleistungen von der Telemedizin bis zum Einsatz personalarmer neuer Technologien spielt hier eine besondere Rolle“, sagt Startup-Manager Oliver Volckmer vom Osnabrück Healthcare Accelerator (OHA). Und dort, wo der praktische Druck auf das Gesundheitssystem stärker sei, so Volckmer, entstünden oft auch gute Ideen für neue Lösungen.
Beispielgebend ist MyndTechPro aus Lingen, das im OHA unterstützt wird. Im Gespräch mit Co-Geschäftsführer Matthias Lohaus wird schnell klar, dass das kleine Startup sehr agil in die Zukunft schaut: „Einer unserer Gründer wurde im persönlichen Umfeld mit einem Demenzfall konfrontiert. Da wurde die Idee des MyndBoards geboren.“ Dieses soll in Pflegeeinrichtungen die kognitiven Fähigkeiten der Patienten fördern, soziale Interaktionen erleichtern und damit die geistige Gesundheit unterstützen. Nach Gesprächen mit Pflegeeinrichtungen und viel persönlichem Einsatz der Gründer wurde das MyndBoard entwickelt, das als ­„digitaler Aktivitätstisch“ vielfältige Interaktionen zulässt. Hardware und Software stammen dabei aus Lingen und werden von den Gründern mit inzwischen fünf Mitarbeitern erstellt. „Wir versorgen heute neben Altenheimen auch Behinderten- und andere Pflegeeinrichtungen. Künftig rücken auch Schulen in unseren Fokus“, sagt Lohaus.
Dabei sei der deutsche Markt nicht das einzige Betätigungsfeld von MyndTechPro: „Gerade der Pflegemarkt in Deutschland ist unterfinanziert.“ Im letzten Jahr präsentierte sich das Startup auf der Messe „Altenpflege 2023“ in Nürnberg. Über dort geknüpfte erste Kontakte wurde der erste Kunde in Spanien gefunden. Auch in der Schweiz ist MyndTechPro inzwischen aktiv. Dabei beschränkt sich MyndTechPro nicht auf den Verkauf der Geräte. „Wir haben inzwischen auch Abo-Modelle und Mietangebote in unser Portfolio aufgenommen“, so Lohaus. Und auch für die Zukunft haben die Macher des Startups viel vor: „Wir setzen viel auf KI, das ist unser USP. MyndBoard ist nun an der Schwelle, um mit externen Investoren den Turbo einzulegen.“
Effekt: Region wird Ort der Zukunftsthemen
Auf den regionalen Veranstaltungen sind inzwischen viele Aussteller, Startups und Mittelständler aus Emsland und Grafschaft Bentheim dabei. Ein Beispiel ist die SmartCitySummit, die am 30. August zum zweiten Mal im SmartCityHouse in Osnabrück stattfindet. Im Fokus stehen u. a. das Thema Wasserstoff und die H2-Region Emsland, der Zusammenschluss der Akteure in der Wasserstoffwirtschaft im Emsland. „Wir freuen uns, dass inzwischen im ländlichen Raum entscheidende Impulse bei so wichtigen Themen wie nachhaltiger Energieversorgung für Industrie und Gewerbe sowie innovative Antriebsstoffe entstehen“, betont Sonja Rasch, Business Development Manager beim Smart City House. Gerade für den Mittelstand  im ländlichen Raum sei es wichtig, die eigene Innovationsfähigkeit zu erhalten. Dies kann durch eigene Innovationsabteilungen geschehen. Oder auch durch den Kontakt zu innovativen Newcomern auf Messen oder Veranstaltungen. Da viele Unternehmen nicht die kritische Größe für eigene Innovations­abteilungen erreichen, ist der Kontakt zu Startups der einfachste Weg, um auf dem Stand der Technik zu bleiben. Dass die Region sowohl in Osnabrück als auch in den Landkreisen Osnabrück, Emsland und Grafschaft Bentheim hierzu das Potential hat, dürfte inzwischen klar sein. Abschließend zwei weitere aktuelle Termine, die Raum für Vernetzungen bieten: Am 6. August 2024 gibt es den „Startup“-Beach vor dem Theater in Osnabrück. Und am 30. ­August öffnen dann zum zweiten Mal die Türen für den SmartCitySummit bei der Q1 Energy AG in Osnabrück.

Robert Alferink
Recht und Steuern
Projektleiter