Unsere Kunden honorieren die Veränderung

von Robert Alferink und Karen Barbrock, IHK
Im April 2019 machte die Nachricht von der Insolvenz des seit 1909 existierenden Osnabrücker Traditionsunternehmens Leysieffer die Runde. Anfang diesen Jahres wurde dann bekannt, dass das Deel & Winkler Family Office, LLC aus Joplin, Missouri bei Leysieffer als Mehrheitsgesellschafter einsteigen wird. Wir sprachen mit dem Inhaber Frank Winkler, der über das Jahr verteilt sowohl in den USA als auch in Deutschland anzutreffen ist.
Herr Winkler, Sie sind in den USA und in Deutschland zuhause. Wie kommt das?
Mein erster Job nach Studienabschluss 1987 in Hamburg führte mich in die USA. Seit dieser Zeit arbeite ich dort und in Europa. Seit 2002 lebe ich wieder überwiegend in den USA. Geboren, aufgewachsen und ausgebildet wurde ich in Deutschland.
Wie entstand die Idee, in das Osnabrücker Traditionsunternehmen Leysieffer zu investieren?
Das Unternehmen Leysieffer kenne ich schon seit vielen Jahrzehnten. Wie viele andere auch, von unseren Urlauben auf der Insel Sylt. Seit 2015 gibt es auch eine Geschäftsverbindung, da wir seit dieser Zeit Kaffeeprodukte unter der Marke Leysieffer in Lizenz an die Hotelbranche vertreiben. Eigentlich haben wir darauf spekuliert, dass ein freundlicher Investor das Unternehmen übernimmt und wir in friedlicher Koexistenz das Unternehmen weiter entwickeln können. Da aber keiner der am Investorenprozess beteiligten Bieter über Sanierungserfahrung verfügte, haben wir beschlossen es selbst zu übernehmen.
In welche Geschäftsbereiche investieren Sie üblicherweise sonst noch?
Wir investieren in Unternehmen, die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind, aber ein Geschäftsmodell mit „Ewigkeitsgarantie“ betreiben, also Geschäftsmodelle, die nicht von externer Disruption betroffen sind. Die aufgetretenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten dieser Unternehmen sind in der Unternehmensführung zu suchen, nicht aber im Geschäftsmodell. Aktuell sind wir in Deutschland an sehr spezialisierten Nischenanbietern in den Bereichen Sonderanlagenbau und Fahrzeugbau beteiligt, sowie einigen Start Ups mit technologischem und medizinischem Hintergrund.
Ist Leysieffer nach seiner Insolvenz bereits wieder gut aufgestellt, der Turnaround also geschafft?
Die eigentliche Sanierung von Leysieffer findet seit dem Abschluss des Verfahrens am 30. April 2020 statt. Mit unserem neuen Managementteam arbeiten wir seit dem 1. Mai 2020 mit Hochdruck daran, Prozesse zu restrukturieren, den Marktauftritt in das Heute zu übertragen, Mitarbeiter zu befähigen, Modernisierung von Anlagen und Betriebsmitteln anzuschieben, neue Produkte zu entwickeln, das Unternehmen zu digitalisieren, die sukzessive Renovierung der Filialen voranzutreiben – viele Baustellen zeitgleich zu bearbeiten.
Die nachhaltige Sanierung eines Unternehmens dauert 3 plus Jahre aus meiner Erfahrung. Nachhaltig saniert ist ein Unternehmen erst dann, wenn es unter Berücksichtigung aller Zukunftsaufgaben überschüssige Liquidität erwirtschaftet, welche dann in Form von Dividenden für die Gesellschafter und Gewinnbeteiligungen für die Mitarbeiter verwendet werden kann. Das Insolvenzverfahren bei Leysieffer wurde nicht zu einer grundlegenden Sanierung genutzt. Die Schließung von Filialen, das Entlassen von Mitarbeitern und ein Schuldenschnitt bei den Gläubigern erlaubt allenfalls eine bilanzielle Sanierung. Die eigentliche Sanierung findet seit dem Abschluss des Verfahrens am 30. April 2020 statt.
Wie gehen Sie strategisch vor, um Marktanteile zurückzuerobern?
Strategie ist die Festlegung des Geschäftsmodells, juristisch auch Geschäftszweck genannt. Das Geschäftsmodell von Leysieffer basiert ursprünglich auf dem Anbieten von Konditorleistungen in Osnabrück. Die angebotenen Leistungen haben sich über die Zeit erweitert, insbesondere mit der Aufnahme von Gastro-Elementen in den Leistungskatalog, nämlich dem Betreiben eines Cafés.
Danach erfolgte die regionale Expansion in den 1970er und 1980er Jahren zu einem nationalen Anbieter. Die historischen Leistungen von Konditoren bestanden schon immer in der Herstellung von Kuchen, Torten, Speiseeis, Gebäck, Pralinen und Schokoladen. Konditorleistungen sind Produkte für den Genuss; anders die Bäckereien, die für Grundversorgung stehen.
Über Jahrzehnte wurde die Marke beworben mit dem Slogan „Chocolaterie seit 1909“, was eine unzulässige Einengung dessen ist, was das Unternehmen tatsächlich an Vielfalt anbietet. Daher wurde dieser Slogan von uns geändert in „Genusskultur seit 1909“.
Unsere Konditoren beherrschen die Kunst genussvolle Produkte handwerklich herzustellen. Darauf werden wir uns konzentrieren, auch um das Abstandsgebot zwischen handwerklicher Ware und Industrieware zu erhalten.
Uns geht es nicht um Marktanteile per se, uns geht es darum in regional ausgewählten Märkten unsere Produkte zu guten Preisen zu vermarkten. An den bereits erschlossenen Standorten müssen wir attraktiver werden in der Erscheinungsform, dem Warenangebot, den Öffnungszeiten, der Qualität unserer Botschafter – unseren Mitarbeitern vor Ort.
Demonstriert haben wir das bereits an unserem Standort Sylt. Dort haben wir die Lockdown-Phase genutzt, um umfangreich zu renovieren, unser Angebot zu überarbeiten und Mitarbeiter zu schulen (on the job). Ebenfalls haben wir unser Angebot preislich angehoben.
Mit welchem Resultat?
Die Kunden haben die Veränderungen auf Sylt deutlich honoriert und seit der Eröffnung am 19. Mai haben wir rund 20% höhere Umsätze im Vergleich zum Vorjahr, trotz Pandemie Beschränkungen.
Unsere nächste große Baustelle ist unser Stammhaus in Osnabrück. Gleich nach der Weihnachtsaison werden wir dort umfangreich renovieren, Umstellungen in unserem Produktangebot vornehmen. Ein sehr ähnliches Vorgehen wie auf Sylt, allerdings mit Blick auf die Bedürfnisse unserer Kunden in Osnabrück. Für eine kurze Schließung unseres Stammhauses Anfang 2021 dürfen wir uns jetzt schon entschuldigen.
Wir werden auch wieder weitere Regionen erschließen, sei es mit eigenen Filialen oder mit Store-in-Store Konzepten. Den Anfang bildet Düsseldorf im Oktober 2020 mit einem Store-in-Store an prominenter Stelle.
Ferner sind wir auf der Suche nach einem weiteren Küstenstandort an der Ostsee. Die Nordseeinseln, mit Ausnahme von Sylt, werden wir im Rahmen unserer Hotel- und Gastrovermarktung erschließen. Hier haben wir sehr gute Resonanz in den letzten Wochen erfahren. Insgesamt haben wir im B2B Geschäft wieder gut aufgeholt und konnten Wachstum im Bestands- und Neukundengeschäft generieren.
Unser Online-Geschäft weißt bereits drastische Zuwächse im Vergleich zum Vorjahr aus und wird ab Oktober von unserem komplett neuen Auftritt im Internet profitieren.
Unser Ziel ist den Gesamtumsatz des Unternehmens in den nächsten fünf Jahren zu verdoppeln, wobei Profitabilität vor Wachstum steht.
Wie wichtig ist für Sie der regionale Markt und der Standort Osnabrück?
Osnabrück und die Region sind für uns sehr wichtig, aus sehr verschiedenen Gründen. Osnabrück ist die Geburtsstätte unseres Unternehmens und wir haben ja gerade in dieser Stadt viele gut ausgebildete Personen mit einem relevanten Hintergrund zu unserem Geschäft.
Unsere zentrale Herstellung in Atter werden wir erhalten und durch Modernisierung fit für die zukünftigen Aufgaben aufstellen; produktiver, flexibler, qualitativ noch besser.
Wir tauschen uns intensiv mit regionalen Unternehmen über Kooperationen in drei verschiedenen Bereichen aus. In unserem Geschäft mit Kaffee sind Leysieffer und das Osnabrücker Unternehmen Joliente übereingekommen, innerhalb der Kaffeerösterei von Joliente künftig eine Leysieffer-Rösterei zu betreiben, und uns wechselseitig im Vertrieb und Marketing zu unterstützen.
Wie trifft die Corona-Entwicklung Ihr Geschäft? Haben Sie besondere Maßnahmen ergriffen?
Die Corona Pandemie hat unser Unternehmen sehr hart getroffen, im April mit einem Umsatzrückgang von über 80%. Allerdings haben wir uns ordentlich gegen jegliche negative Entwicklung gestemmt und konnten mit Ausnahme von Sylt und Rottach, sowie unserem Bistro in Osnabrück alle Filialen offenhalten.
Wir haben unserem Personal in den Filialen eine 20%ige Gefahrenzulage gezahlt und allen Mitarbeitern in Kurzarbeit das KUG auf 80% aufgestockt. Natürlich haben wir entsprechende Hygienemaßnahmen an allen Standorten umgesetzt, und in der Zentrale ein Besuchsverbot erlassen.
Wir haben unser Unternehmen V-förmig aus der Pandemie-Krise geführt und bereits im Juni und Juli jeweils 3% bzw. 4% mehr Umsatz getätigt als im Vorjahr. Im August ist uns dies nicht gelungen, bedingt durch die zweiwöchige Hitzewelle in ganz Deutschland.
Der September wird das Vorjahr sicherlich um 10% übertreffen und wir erwarten auch einen erheblichen Zuwachs im Weihnachtsgeschäft.
Unser Unternehmen ist von allen Corona Förderprogrammen ausgeschlossen, da es sich ja im Vorjahr, sprich 2019, in „wirtschaftlichen Schwierigkeiten“ befand. Nun wachsen wir aber gegenüber dem Vorjahr, stellen neue Mitarbeiter ein und dürfen zusehen wie Milliardenbeträge vom Bund an Unternehmen ausgehändigt werden, die schrumpfen und tausende von Mitarbeiter entlassen und entlassen werden.
Corona hat deutlich gezeigt, dass die goldgeränderte Bilanz der Vergangenheit ein unzureichendes Zukunftsversprechen ist. Ein (Förder-) Kredit ist aber ein Versprechen auf die Zukunft, nämlich diesen in der Zukunft zurückzuzahlen.
Was sind die besonderen Herausforderungen der Zukunft für Leysieffer?
Die herausragende Anforderung der Zukunft ist in operativer Hinsicht schlicht die Anzahl der Baustellen zu reduzieren, die konsequente Abarbeitung unseres Programms.
Neben den eher technischen Baustellen ist die Qualifizierung und Stärkung unseres Marketings und Vertriebs, insbesondere im B2B- und Online-Bereich, eine sehr starke Herausforderung. Mit den bereits durchgeführten personellen Veränderungen werden wir auch diese Aufgabe meistern.
Die Sanierung eines Unternehmens ist harte Teamarbeit, auf allen Ebenen und in allen Bereichen. Mitarbeiter befähigen, kollaboratives Arbeiten, motivieren, in Entscheidungen einbinden, Selbständigkeit fördern, das alles muss täglich geleistet werden. Kulturveränderung in einer 111 Jahre alten Institution ist ein langer Marsch, aber wir haben diesen begonnen.