Unsicherheit statt Planbarkeit

Die chinesische Wirtschaft leidet unter zunehmender Unsicherheit. Längst entwickeln inländische und ausländische Unternehmen Strategien für verschiedene Krisenszenarien – bis hin zum Worst Case einer militärischen Eskalation in der Taiwanstraße. Eine Beruhigung der geopolitischen Konflikte ist angesichts des anhaltenden Krieges Russlands gegen die Ukraine sowie der terroristischen Angriffe der Hamas auf Israel und dessen militärischer Reaktion bislang nicht in Sicht. Zunehmend rücken De-Risking und Resilienz der Liefer- und Absatzketten in den Fokus. Während einige deutsche Firmen ihre lokalen Zulieferketten vervollständigen, suchen andere nach Standbeinen außerhalb Chinas.
Gleichzeitig wächst in China das Bewusstsein, dass das Land für seine wirtschaftliche Entwicklung auf Investitionen aus dem Ausland angewiesen ist. Im Sommer 2023 verabschiedete die Regierung daher 24 Maßnahmen zur Unterstützung ausländischer Unternehmen, im November 2023 weitere für einen fairen Wettbewerb. Eine überzeugende Umsetzung fehlt jedoch bislang. Gleichzeitig sorgt das am 1. Juli 2023 in Kraft getretene Antispionagegesetz in Wirtschaftskreisen für Verunsicherung.
Die temporär visafreie Einreise bedeutet für deutsche Geschäftsreisende eine enorme Erleichterung. Die Maßnahme gilt für einen maximal 15-tägigen Aufenthalt in China vom 1. Dezember 2023 bis 30. November 2024 für insgesamt sechs Staaten (darunter Deutschland). Wird sie zu deutlich mehr Geschäfts- oder Touristikreisen nach China führen? Analysten bleiben skeptisch. Sie werten die Maßnahme als Zeichen für Chinas wirtschaftliche Schwäche und den hohen Stellenwert, den der wirtschaftliche Austausch mit europäischen Ländern für China hat.
Wirtschaftsentwicklung: Konsum ohne Schwung
Hauptproblem bleibt für Chinas Wirtschaft der schwache Konsum. Den öffentlichen Kassen fehlt nach den Pandemieausgaben der letzten Jahre Geld für Subventionen und Konjunkturmaßnahmen. Die Privathaushalte wiederum sparen angesichts der wirtschaftlichen Unsicherheit. Die großen Entlassungswellen im Techsektor haben vor allem junge Arbeitnehmer und Universitätsabsolventen getroffen.
In den meisten Branchen investieren die Unternehmen daher nur sehr zurückhaltend. Eine Ausnahme bildet die Automobilbranche, die die Doppeltransformationen hin zur Elektromobilität und zu autonomem Fahren gleichzeitig bewältigen muss. Deutsche Autobauer wie Volkswagen kämpfen um den Erhalt ihrer Marktanteile in China - bislang wenig erfolgreich. Die Einleitung einer Wettbewerbsuntersuchung wegen möglicher Marktverzerrungen durch chinesische Subventionen seitens der Europäischen Kommission könnte ihre Position weiter erschweren. Laut der China Association of Automobile Manufacturers (CAAM) gingen 2022 bereits 11,5 Prozent der in China produzierten Kraftfahrzeuge ins Ausland. Der Anteil wird in den nächsten Jahren weiter steigen. Bislang ist Tesla der größte Exporteur von Elektroautos aus China.
Gleichzeitig wird das Ausmaß der Immobilienkrise immer deutlicher. Selbst Branchenführer wie Gemdale oder Vanke kämpfen mit finanziellen Schwierigkeiten. Wie die Zeitung Caixin berichtet, soll im November 2023 eine Liste von 50 Immobilienentwicklern in Arbeit sein. Diese könnten dann erweiterte finanzielle Unterstützung erhalten. Bisherige Maßnahmen (auch auf Seiten der Nachfrage) konnten den Markt nicht nachhaltig stabilisieren.
Zum Jahresende 2023 ist die Stimmung in der Wirtschaft gedrückt. Erreichen wird China sein anvisiertes Ziel für das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von real 5 Prozent für das Gesamtjahr 2023 trotzdem. Während die Weltbank im Oktober 2023 ihre Prognose auf 4,4 Prozent für das Jahr 2024 senkte, erhöhte der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Vorhersage im November 2023 für 2024 um 0,4 Prozentpunkte auf 4,6 Prozent.
Ob im Oktober 2023 der Abschwung des Außenhandels die Talsohle erreicht hat, bleibt fraglich. Die Auswirkungen des Handelskonflikts zwischen China und den USA sind hingegen bereits deutlich zu sehen. So ist der Anteil der chinesischen Exporte in die Vereinigten Staaten zwischen 2018 und 2022 von 19 Prozent auf 16 Prozent gesunken. Dennoch sind die USA und die EU die wichtigsten Abnehmer chinesischer Waren: In den ersten zehn Monaten nahmen sie zusammen immerhin ein Drittel der chinesischen Warenexporte ab.
Deutsche Perspektive: Vorsicht geboten
Deutsche Unternehmen in China setzen zunehmend auf De-Risking. Während die einen ihre Lieferketten in China für den chinesischen Markt vervollständigen, Fertigungs- wie Innovationstiefe erhöhen (und dafür weiter investieren), bauen andere Kapazitäten in Drittmärkten auf. So ergab der Post-Covid-Flash-Survey der deutschen Auslandshandelskammer (AHK) in China unter ihren Mitgliedern im Mai 2023, dass 55 Prozent der befragten deutschen Unternehmen in den nächsten zwei Jahren weiterhin in China investieren wollen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Allerdings liegt diese Zahl deutlich unter dem Vor-Covid-Niveau.
Laut Zahlungsbilanzstatistik der Bundesbank flossen im 1. Halbjahr 2023 über 10 Milliarden Euro an Direktinvestitionen nach China, vielfach aber refinanziert aus Gewinnen vor Ort. Demgegenüber ging das bilaterale Handelsvolumen bis September auf Eurobasis um 15 Prozent zurück. Während China als Abnehmer deutscher Waren nun nur noch auf Rang 4 der größten deutschen Exportmärkte rangiert, ist das Land nach wie vor Deutschlands wichtigster Warenlieferant. Zunehmend kritisch sieht die Politik Chinas dominante Stellung als Lieferant von Rohstoffen (verarbeitetes Lithium), Vorprodukten (wie Solarzellen) oder wichtigen Endprodukten wie Autobatterien und Pharmazie.
Quelle: GTAI