Autarkie auf Kosten ausländischer Firmen?

Das Reich der Mitte setzt verstärkt auf Selbstversorgung und weniger Importabhängigkeit. Die European Chamber of Commerce in China (EUCCC) sieht dies mit Besorgnis – nicht nur für die Geschäftstätigkeit europäischer Unternehmen mit und in der Volksrepublik, sondern auch für Chinas Wirtschaftswachstum selbst. „Dadurch wird die Produktion im Land letztlich teurer und weniger umweltfreundlich“, betonte EUCCC-Präsident Jörg Wuttke auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des EUCCC-Positionspapiers 2021/22 am 23. September 2021 in Beijing. Beispielhaft wurden die Bereiche Stahl und Aluminium angeführt.
Mangel an grüner Energie und Handelsbarrieren setzen Unternehmen zu
Aufgrund seiner Marktgröße und des absehbaren Beitrags zum globalen Wachstum – im Chemiesektor beläuft sich dieser laut Wuttke auf 60 Prozent – werden sich europäische Unternehmen auch künftig im chinesischen Markt engagieren. Doch „was immer man in China tut, wird sich auf den globalen CO2-Fußabdruck des Unternehmens auswirken“, beschreibt Wuttke die Situation. Unabhängig von nationalen Zielen müssen europäische Firmen daher in der Volksrepublik ihre eigenen Entkarbonisierungsstrategien entwickeln und umsetzen.
Dieses Szenario hält Wuttke für möglich. Derzeit sei grüne Energie in China kaum zu bekommen. Nur große multinationale Konzerne können direkt mit den großen Netzanbietern über entsprechende Verträge verhandeln. Gefahren sieht Wuttke auch für den Forschungs- und Entwicklungsstandort China. Aufgrund steigender Exportkontrolle und beständig wachsender Sanktionslisten könnten „einige Technologien das Land nicht verlassen, andere nicht importiert werden“. „Unsere Sorge wächst“, sagt Wuttke – auch im Hinblick auf den Schutz von Daten vor einem möglichen Staatszugriff.
Auch die rapide sinkende Anzahl von Expatriates sorgt für Bedenken. Derzeit gäbe es in Beijing und Shanghai zusammen genommen weniger Ausländer als in Luxemburg. „Und wir stehen erst am Anfang der Entwicklung“, schätzt Wuttke. Denn zusätzlich zur Beschränkung möglicher Visa, immer weniger verfügbaren Flügen sowie strengsten Quarantäneauflagen kommt nun ab Januar 2022 der Wegfall der Steuerabzugsmöglichkeiten für Schulgeld und Miete hinzu. All dies könnte laut Wuttke zu einem massiven Exodus von Ausländern führen. Dabei sei es enorm wichtig, vor Ort in China tätige internationale Manager zu haben. „Wir müssen lernen können“, erklärt Wuttke. Verstärkte Lokalisierung schaffe ein Silo, der Austausch bleibe auf der Strecke. Dabei warnt Wuttke eingehend vor einer weiteren Politisierung der Wirtschaftsbeziehungen.
Insgesamt 930 konstruktive Empfehlungen haben die 35 Arbeitsgruppen der EUCCC im aktuellen Positionspapier 2021/22 zusammengetragen. Ihnen liegt die Sorge zugrunde, dass Chinas Wirtschaft aufgrund von ausbleibenden Reformen, zunehmendem Decoupling und verstärkter Lokalisierung in den nächsten Jahren unterhalb ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit bleiben könnte.
Politische Rahmenbedingungen bleiben Sorgenkind im Chinageschäft
Sorgen um verstärkte Decoupling-Tendenzen und Chinas Bestreben nach Autarkie sind keineswegs neu. Die chinesische Regierung verfolgt seit Längerem das Ziel der Technologieführerschaft in ausgewählten Industriezweigen und eine geringere Abhängigkeit von ausländischen Zulieferungen. Konkrete Handlungsanweisungen dazu finden sich sowohl im Rahmen des 2015 initiierten Programms "Made in China 2025" als auch im 14. Fünfjahresplan (2021 bis 2025). In einigen Branchen scheinen chinesische Unternehmen ihren Marktanteil dadurch zulasten ausländischer Unternehmen auszubauen.
Die aktuellste EUCCC-Geschäftsklimaumfrage (Business Confidence Survey 2021) vom Juni 2021 unter 585 Mitgliedsfirmen enthält bereits ähnliche Bedenken. Neben Auswirkungen der Coronapandemie auf die Geschäftstätigkeit beklagten 41 Prozent der europäischen Unternehmen das zunehmend politisierte Geschäftsumfeld. Für circa ein Viertel zählt etwa der Handelskonflikt zwischen den USA und China und für ein Achtel der Wirtschaftsnationalismus zu den größten Herausforderungen im Chinageschäft 2020. Nach wie vor gehören auch der schwierige Marktzugang, die Ungleichbehandlung ausländischer Firmen und die Bevorzugung chinesischer Staatsunternehmen, der erzwungene Technologietransfer sowie Verletzungen des geistigen Eigentums zu den größten Anliegen.
Unternehmen setzen auf Lokalisierung statt Verlagerung
Trotz aller Widrigkeiten und Herausforderungen, die der chinesische Markt mit sich bringt, beabsichtigten lediglich 9 Prozent der befragten Firmen, bestehende oder geplante Investitionen in andere Märkte zu verlagern – der bislang niedrigste Wert seit Erhebung der Daten. Stattdessen versuchen Unternehmen, ihre Position im Reich der Mitte über den Ausbau von Anteilen in Joint Ventures, Onshoring von Lieferketten sowie über größere Investitionen zu steigern. Geeignete Alternativen zu China sind nur schwer zu finden. Die meisten Unternehmen schauen sich, wenn überhaupt, größtenteils nach anderen Standorten in Asien-Pazifik um.
Europäische Unternehmen bleiben zunehmend in China
Europäische Firmen sind ein fester Bestandteil der inländischen Wirtschaft. China bleibt für sie ein bedeutender Markt. Ausländische Unternehmen erwirtschaften gemäß EUCCC ein Viertel des Bruttooutputs und bezahlen ein Fünftel der Steuern. Doch künftig dürften laut EUCCC-Vizepräsidentin Bettina Schön nur noch solche Unternehmen willkommen sein, die zu den wirtschaftlichen und industriepolitischen Zielen der Volksrepublik beitragen.
Allerdings hoffen europäische Firmen auf weitere Reform- und Öffnungsschritte. Dadurch könnte China bis 2050 ein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf auf dem Niveau der USA erreichen, so die Analyse im EUCCC-Positionspapier. Somit würden Reformen nicht nur faire Wettbewerbsbedingungen für ausländische Unternehmen schaffen, sondern auch China dazu verhelfen, sein volles Wachstumspotenzial auszuschöpfen. (24.09.2021)
Quelle: GTAI