Wie die europäische Klimapolitik die Wirtschaft umwälzt
Höhere CO2-Preise und strengere Auflagen.
Mit dem Green Deal hat sich die Europäische Union (EU) vorgenommen, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 auf nahezu null zu reduzieren. Die nun in Gang gesetzten gesetzlichen Anpassungen werden für viele Unternehmen höhere CO2- und Energiepreise mit sich bringen. Zudem werden zahlreiche ordnungsrechtliche Vorgaben strenger ausgestaltet. Ziel der Politik ist es, eine Umstellung der Energieversorgung und vieler Produktionsprozesse anzureizen. Ob dies tatsächlich gelingt, hängt von vielen Rahmenbedingungen ab, die bislang noch nicht gegeben sind.
Die klimapolitischen Ziele des Green Deal sind nicht nur überaus ambitioniert, sondern auch gesetzlich verankert. Denn das einschlägige Europäische Klimagesetz ist im Juli 2021 in Kraft getreten. Innerhalb von knapp drei Jahrzenten soll die gesamte EU treibhausgasneutral werden. Kein Sektor der europäischen Wirtschaft kann im Jahr 2050 mehr relevante Mengen Treibhausgase ausstoßen. Insgesamt darf die aus 27 Mitgliedstaaten bestehende EU nur noch knapp mehr als die Hälfte dessen emittieren, was allein Deutschland aktuell jährlich emittiert. Sehr geringe Mengen unvermeidbare Restemissionen sollen durch Entnahmen von CO2 aus der Atmosphäre ausgeglichen werden. Auch auf dem Weg hin zur Treibhausgasneutralität haben die Gesetzgeber entschieden, aufs Gaspedal zu drücken. So wurde das für 2030 festgeschrieben CO2-Reduktionsziel angehoben.
Gesetze betreffen die Wirtschaft unmittelbar
Doch es bleibt nicht bei einer ambitionierten Zukunftsvision: Die EU arbeitet minutiös an einer Überarbeitung und Erweiterung des gesetzlichen Rahmens, um die Ziele zu erreichen. Im Juli dieses Jahrs hat die Europäische Kommission ein erstes umfassendes Gesetzespaket mit dem Titel „Fit for 55“ vorgelegt. Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen der EU um 55 Prozent gesenkt werden. Die erforderliche Minderungsleistung verdoppelt sich hierdurch nahezu. Was zunächst abstrakt erscheint, hat weitreichende Auswirkungen auf viele deutsche Unternehmen, insbesondere aus der Industrie. Denn einerseits werden die CO2-Preise für die Breite der Wirtschaft steigen. Andererseits sind auch strengere ordnungsrechtliche Vorgaben, beispielsweise im Bereich Verkehr und Gebäude, zu erwarten.
CO2-Bepreisung im Zentrum der Reformen
Zentraler Bestandteil des Fit-for-55-Pakets ist die erneute Novelle des Europäischen Emissionshandels. Die Menge der für die emissionshandelspflichtigen Anlagen zur Verfügung stehenden Zertifikate soll viel schneller verknappt werden. Über die gesamte vierte Handelsperiode würde die Kürzung etwa zwei Milliarden Emissionsberechtigungen erreichen. Diese Anpassung führt vornehmlich zu steigenden CO2-Preisen für die erfassten Kraftwerke und Feuerungsanlagen der energieintensiven Industrie, deren Zahl sich in Deutschland auf etwas mehr als 1800 beläuft. Die Kommission rechnet mit Preisen von 85 Euro pro Tonne CO2 im Jahr 2030. Analysten erwarten teils dreistellige Preise. Gleichzeitig führt die vorgeschlagene Verknappung dazu, dass die Mengen für die kostenfreie Zuteilung für hocheffiziente Industrieanlagen nicht mehr ausreichen. Infolgedessen enthält der Vorschlag der Kommission Regelungen, die für einige Branchen ab dem Jahr 2026 zu einer noch stärkeren Kürzung der freien Zuteilung führen würden. Die Anlagenbetreiber müssten daher mehr Zertifikate zukaufen - und dies zu sehr viel höheren Preisen. Für einzelne Anlagen ergeben sich jährliche (CO2-)Mehrkosten im sechs- bis achtstelligen Bereich.
Neues Emissionshandelssystem umstritten
Zusätzlich zur Reform des bestehenden EU-Emissionshandels schlägt die Europäische Kommission vor, ab dem Jahr 2026 ein neues europaweites Handelssystem für die Bereiche Verkehr und Gebäude einzuführen. Ähnlich wie das seit Januar greifende deutsche nationale Emissionshandelssystem, kurz „BEHG“, würden die Inverkehrbringer von Kraft- und Treibstoffen zum Handel verpflichtet. Die entstehenden CO2-Kosten würden an die Verbraucher weitergereicht. Diesel, Benzin, Heizöl und Kohle würden EU-weit teurer. Anders als im deutschen BEHG soll die industrielle Prozesswärme nicht erfasst werden. Denn die Brüsseler Behörde vertritt die Auffassung, dass der Aufwand für die notwendigen Mechanismen zum Schutz der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe den Nutzen ihrer Einbeziehung in den Handel übersteigen würde. Für deutsche Unternehmen bietet dies eine besondere Herausforderung, denn der deutsche Emissionshandel bezieht die industrielle Prozesswärme ein. Das EU-System soll von Beginn an einen freien Handel ermöglichen. Politisch ist der Vorschlag höchst umstritten. Sowohl im Europäischen Parlament und im Rat der Mitgliedstaaten - die im Gesetzgebungsverfahren das letzte Wort haben - zeichnen sich bislang keine Mehrheiten ab.
Neue Vorgaben für Verkehr und Gebäude
Um massiv mehr CO2 einzusparen, setzt die EU nicht allein auf den Emissionshandel. Ordnungsrechtliche Vorgaben sollen als Teil eines Instrumentenmix ebenfalls einen wichtigen Beitrag leisten. So hat die Kommission in ihrem Fit-for-55-Paket beispielsweise eine erneute Absenkung der CO2-Emissionsstandards für neue Pkw und leichte Nutzfahrzeug verankert. Ab 2035 sollen sogar Nullemissionen (am Auspuff!) zum Standard werden, was praktisch wohl das Aus für Neuzulassungen von Autos mit Verbrennungsmotor bedeuten würde. Die Novelle dieser sogenannten Flottenregulierung würde die Automobilhersteller zwingen, den Marktanteil batterieelektrischer Fahrzeuge noch zügiger zu steigern. Insbesondere in der mittelständischen Zuliefererindustrie würde dadurch der bereits eingeleitete Strukturwandel nochmals beschleunigt. Parallel sollen neue EU-Vorgaben dafür sorgen, dass alle Mitgliedsländer den Ausbau der Lade- und Tankinfrastruktur vorantreiben. Im Gebäudesektor plant die EU, Sanierungspflichten, insbesondere für die öffentliche Hand, auszuweiten und einen anspruchsvolleren Niedrigstenergiegebäude-Standard EU-weit vorzuschreiben. Die Energieauditpflicht für Unternehmen soll zukünftig nicht mehr von der Unternehmensgröße abhängen, sondern vom jährlichen Energieverbrauch, was für einige Unternehmen zu bürokratischen und finanziellen Entlastungen führen könnte.
Rahmenbedingungen für erfolgreichen Wandel noch nicht gegeben
Der für die Klimaneutralität erforderliche strukturelle Wandel der Wirtschaft birgt zahlreiche Chancen. Dennoch fehlen aktuell noch die entsprechenden Rahmenbedingungen, um auf die zuvor beschriebenen Preisentwicklungen und strengeren Vorgaben mit Investitionen in eine klimafreundliche Energieversorgung und neue Produktionsverfahren reagieren zu können. Die Wirtschaft wird auf große Mengen an regenerativem Strom und klimafreundlichem Wasserstoff angewiesen sein. Obwohl der Grünstrom-Anteil in den letzten Jahrzehnten sukzessive gestiegen ist, geht der Ausbau zu langsam und zu kostenintensiv voran. Klimafreundlicher Wasserstoff ist nahezu überhaupt nicht verfügbar. Hier greift die EU mit dem Green Deal ebenfalls steuernd ein. Mit der erneuten Novelle der Erneuerbare-Energien-Richtlinie soll der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Markt für grünen Wasserstoff vorangebracht werden. Ende des Jahres wird die Kommission Gesetzesvorschläge zur Dekarbonisierung des Gasmarkts vorlegen, die den Hochlauf des Wasserstoffmarkts beschleunigen und den effizienten Handel in der EU über ein Zertifizierungssystem ermöglichen könnten.
Staatliche Unterstützung für die Unternehmen wird zumindest in einer Übergangsphase als unabdingbar erachtet, weshalb die Kommission darüber hinaus an einer Überarbeitung des beihilferechtlichen Rahmens arbeitet. Über neue Förderinstrumente wie CO2-Differenzkontrakte, die Mehrkosten klimafreundlicher Technologien gegenüber fossilen Anwendungen ausgleichen, sollen den Mitgliedstaaten neue Spielräume geschaffen werden - u. a. im Bereich der Wasserstoffnutzung.
Unstrittig ist schließlich, dass ein wirksamer Schutz vor Carbon Leakage, d. h. der Verlagerung von Wertschöpfung in klimapolitisch weniger ambitionierte Drittländer, vor dem Hintergrund des Green Deal noch dringlicher geboten ist. Besorgniserregend ist die Tatsache, dass hier einzig und allein ein in seiner Wirkung und Stabilität mit großen Unsicherheiten behafteter CO2-Grenzausgleichsmechanismus Teil der diskutierten Gesetzesvorschläge ist. Höchst problematisch für die deutsche Wirtschaft ist neben den zu erwartenden handelspolitischen Gegenmaßnahmen zudem, dass das vorgeschlagene Modell die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Exporte in Länder außerhalb der EU völlig unberücksichtigt lässt und lediglich darauf abzielt, innerhalb des europäischen Binnenmarkts für faire Wettbewerbsbedingungen zu sorgen.
Quelle: DIHK