Droht Deutschland eine Deindustrialisierung?

Neunter Industrie-Dialog bei Baerlocher in Lingen
Rund 70 Vertreter aus Wirtschaft und Verwaltung trafen sich bei der Baerlocher GmbH in Lingen, um über die Themen Energie und Fachkräftemangel zu diskutieren. Der neunte Industrie-Dialog wurde vom Industriellen Arbeitgeberverband (IAV) und von der Industrie- und Handelskammer Osnabrück - Emsland - Grafschaft Bentheim (IHK) organisiert. Dabei wurde die Frage aufgeworfen, ob Deutschland eine Deindustrialisierung droht.

(v.l.n.r.): Sandra Jansen (Jansen Tore), Sabine Stöhr (IAV), Thomas Hüne (BDI), Moritz Böcking (IAV-Vorstands-
mitglied), Hendrik Kampmann (IHK-Vizepräsident), Susanne Schäfer (NDR), Marco Graf (IHK), Dr. Thomas Doege (Baerlocher) und Leif Frederik Blum (Westenergie).
„Die Industrie ist in der Region Osnabrück – Emsland – Grafschaft Bentheim überdurchschnittlich gut aufgestellt und liegt mit 37,5 % an der Bruttowertschöpfung (2020) über Deutschland und Niedersachsen. Für die weitere Entwicklung spielen die Energiepreise eine maßgebliche Rolle“, hob Hendrik Kampmann, IHK-Vizepräsident hervor. „Die hohen Energiepreise sind im internationalen Wettbewerb ein substanzieller Standortnachteil. 28 % der Industrie in unserer Region reagieren mit der Verlagerung von Kapazitäten ins Ausland oder planen dies. Die Politik in Berlin muss jetzt schnell liefern“, beschrieb er die Situation für die Industrie und verwies auf die aktuelle IHK-Umfrage zur Energieversorgung. Moritz Böcking, IAV-Vorstandsmitglied, appellierte zustimmend an die Politik, den Bürokratieabbau voranzutreiben, Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und die effektive Steuerlast für Unternehmen zu reduzieren.
„Das Thema Energie gehört zu unseren aktuellen Herausforderungen“, erläuterte Dr. Thomas Doege, Geschäftsführer der Baerlocher GmbH. Dabei hätten sich die Energiekosten im Vergleich zu 2021 verdoppelt. Die Produktionsmenge habe sich dabei jedoch reduziert. Kurzweilig gab er neben spannenden Impulsen zum Thema einen Einblick hinter die Kulissen eines weltweiten Herstellers von Additiven für die Kunststoffindustrie. Seit genau 200 Jahren dreht sich bei Baerlocher alles um Chemie. Eine Wissenschaft, ja. Aber auch die Kunst, etwas so zusammenzufügen und zu kombinieren, damit neue Produkte entstehen. Am Standort Lingen werden wichtige Produkte für die Weiterverarbeitung in diversen Industrien (u. a. Bauindustrie) hergestellt und in 2023 wurde hier die Forschung und Entwicklung für Spezial-Additive u. a. mit einem neuen Labor zukunftsweisend fokussiert.

Droht Deutschland eine Deindustrialisierung? Dieser Frage gingen die Gäste bei Baerlocher nach. (v.l.n.r.: Susanne Schäfer (NDR), Dr. Thomas Doege (Baerlocher), Thomas Hüne (BDI), Sandra Jansen (Jansen Tore) und Leif Frederik Blum (Westenergie).
Doch droht mit den hohen Energiepreisen und auch dem Fachkräftemangel nun eine Deindustrialisierung in Deutschland? Diesen Aspekten ging Thomas Hüne, Referent Research, vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) auf den Grund. „Der Produktionsrückgang von März 2022 bis Juli 2023 im Vergleich zum Vorkriegsniveau im Verarbeitenden Gewerbe lag bei insgesamt -1,2 %. Bei den energieintensiven Betrieben sogar -10,9 %“, führte er aus. Die energieintensiven Branchen stünden enorm unter Druck. Die Rückkehr zu Energiepreisniveaus aus dem letzten Jahrzehnt schloss er faktisch aus. „Eine generelle Deindustrialisierung droht nicht, eher ein Strukturwandel. Die Industrie braucht ein plausibles Konzept für das Energiesystem der Zukunft. Die langfristige Gewährleistung einer sicheren und wettbewerbsfähigen Energieversorgung muss eine prominente Rolle in der Transformationsdebatte einnehmen“, erläuterte Hüne.
In einer anschließenden Diskussion tauschten sich die Gäste intensiv mit den Impulsgebern sowie Leif Frederik Blum (Westenergie AG) und Sandra Jansen (Jansen Tore GmbH & Co. KG) aus.
Nebenbei wurde auch ein Jubiläum gefeiert: Die Kampagne „Industrie ist Zukunft“, zu der der Industrie-Dialog gehört, kann auf eine 10-jährige Erfolgsgeschichte zurückblicken. Seit 2013 betonen der IAV und die IHK die bedeutende Rolle der Industrie für den Wohlstand der Region Osnabrück – Emsland – Grafschaft Bentheim. Mit dieser gemeinsamen Kampagne unterstützen die beiden Initiatoren die Unternehmen dabei, die Herausforderungen am Standort zu bewältigen. Die Veranstalter sind sich einig: „Wir sind ein starker Industriestandort in der Region und wollen es auch in Zukunft bleiben.“