Streitigkeiten lösen

Streitigkeiten lösen

Fristlos gekündigt – und jetzt?

Die junge Frau W. ist schockiert. Der angehenden Kauffrau im Einzelhandel im zweiten Ausbildungsjahr wurde fristlos gekündigt. Ihr Ausbildungsbetrieb wirft ihr vor, sie habe an der Kasse Ware absichtlich nicht richtig eingebongt, das stelle einen Diebstahl dar. Ihr Arbeitgeber wertet ihr Verhalten als Straftat, das Vertrauensverhältnis sei zerstört. Frau W. ist sich dagegen keiner Schuld bewusst, einen Diebstahl streitet sie vehement ab, spricht von einem Versehen.
Sie könnte vors Arbeitsgericht gehen, um die Kündigung abzuwenden. Sie weiß aber, dass das Gericht sie aufgefordert hätte, sich zwingend zunächst bei der IHK zu melden. Das tut sie also. Deren Ausbildungsberater rät ihr, die Schlichtungsstelle der IHK einzuschalten – einen Ausschuss zur Beilegung von Streitigkeiten in einem Berufsausbildungsverhältnis. Auch Unternehmen nutzen vor einer fristlosen Kündigung nach dem Ende der Probezeit den Schlichtungsausschuss.
Bei Streit in der Ausbildung
Mit Ausbildungsberatung steht die IHK nicht nur Firmen zur Seite, sondern auch Auszubildenden. Zum Beispiel auch, wenn es im Verlauf eines Ausbildungsverhältnisses zu Konflikten zwischen Betrieb und Azubi kommt. Die IHK nimmt dann eine vermittelnde Position ein. Ein für den Beruf zuständiger Ausbildungsberater führt Gespräche und hat dabei das Berufsbildungsgesetz mit Rechten und Pflichten für beide Seiten und den passenden Ausbildungsrahmenplan im Blick. Ein Fall für die Schlichtungsstelle bei der IHK wird oft die nicht akzeptierte Kündigung eines Ausbildungsvertrages. Eine Verhandlung vor der Schlichtungsstelle ist Voraussetzung für einen etwaigen Prozess vor dem Arbeitsgericht. Die Schlichtung wird bei der Schlichtungsstelle der IHK beantragt.

Beide Seiten anhören

Einmal im Monat beschäftigt sich diese Stelle mit Fällen wie dem von Frau W. Die Bandbreite der Konflikte und Vorwürfe, die von Seiten eines Auszubildenden, einer Auszubildenden oder eines Betriebes zur Verhandlung führen, ist weitaus größer: von der regelmäßigen Abwesenheit im Berufsschulunterricht, ausstehenden Vergütungen, Verstößen gegen das Arbeitsschutz- oder Jugendschutzgesetz bis hin zu Vorwürfen von Drogenkonsum oder Belästigung am Arbeitsplatz.
„Manchmal stecken kleinere Probleme hinter den Streitfällen. Teils gibt es aber welche von sehr großer Tragweite. Wir nehmen uns Zeit, egal wie komplex ein Fall ist“, sagt Frank Ederer, der bei der IHK die Schlichtungsstelle betreut und im Tagesgeschäft bei der Kammer Ausbildungsberater ist. Bei den streitenden Parteien, berichtet er, geht es mitunter sehr emotional zu.
Wie bei einer Gerichtsverhandlung werden die Fälle aufgerollt, beide Seiten angehört: junger Mensch in Ausbildung versus Vertreter des ausbildenden Unternehmens. Rechtsanwälte der streitenden Parteien sind meistens dabei. Dazu jeweils ein Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter von der Schlichtungsstelle der IHK.
Zu der Gruppe, die für eine Schlichtung bereit stehen, gehören derzeit ein Ausbildungsleiter, ein Personalleiter, ein Ausbilder, jeweils aus verschiedenen Firmen, eine Juristin der IHK, zwei Mitarbeitende der Gewerkschaft verdi und zwei Juristen aus Kanzleien. Sie üben diese Tätigkeit gegen eine Aufwandsentschädigung ehrenamtlich aus.
Manuel Schicke, Ausbildungsleiter der Landessparkasse zu Oldenburg, ist als Arbeitgeber-Vertreter im Team der Schlichter. Für ihn ist es Ehrensache, sich für die IHK und die Berufsausbildung zu engagieren. „Es geht mir darum, meine Erfahrungen in der Ausbildung einer Vielzahl junger Leute einzubringen, auch mein Wissen um manche Probleme, die rund um eine Berufsausbildung entstehen können. Und ich lerne natürlich persönlich vieles dazu …“

Das Ergebnis: oft ein Vergleich

Das Verfahren vor der Schlichtungsstelle ist gebührenfrei und nicht öffentlich. Für Umschulungsverhältnisse ist es ausgeschlossen. Ein Vergleich, ein Spruch mit anderem Ergebnis oder keine Einigung – das kann herauskommen. Drei von vier Verhandlungen enden mit einem Vergleich. „Eine super Quote“, findet Ederer. Das gelte auch für das Aufkommen an Schlichtungsfällen überhaupt: 30 Fälle im Jahr bei laufenden 9500 von der IHK betreuten betrieblichen Ausbildungsverhältnissen.
Auch Frau W. und ihr Ausbildungsbetrieb haben sich nach Aufhellung des Falles gütlich geeinigt und einen Vergleich herbeigeführt. Zum Gang vors Arbeitsgericht kam es nicht. W. setzt ihre Ausbildung im Unternehmen fort, allerdings an einem anderen Standort.
* Für eine bessere Lesbarkeit verwenden wir meist die männliche Form. Entsprechende Textstellen gelten selbstverständlich gleichwertig für alle Geschlechter (m/w/d).