Innovatives Start-up

Kürzerer Weg zum Kind

Es gibt viele Ursachen für ungewollte Kinderlosigkeit. Eine davon kann nun mit einer Innovation aus Münster schnell und sicher diagnostiziert werden. Eine Geschichte darüber, wie Wissenschaft praktisch hilft und dabei auch noch ein erfolgreiches Unternehmen entsteht. | Text: Ingrid Haarbeck 
Der Innovationspreis Münsterland wurde am 11. Juni unter anderem an die Truion GmbH aus Münster verliehen. IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Fritz Jaeckel lobte die Gründer: „Es hat Ihnen nicht ausgereicht, wissenschaftliche Erkenntnisse in Papern zu veröffentlichen, sondern Sie wollten Ihre Erkenntnisse in die Praxis, ins reale Leben überführen.“
Die Keimzelle – um im Bild zu bleiben – des von ihm gepriesenen Start-ups lag in der Dissertation von Dr. Samuel Young. Seine Aufgabe in der Arbeitsgruppe von Prof. Timo Strünker am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie: Einen einfachen Test entwickeln, mit denen sich in Spermien ein bestimmter Protein-Defekt entdecken ließ.

„Turboantrieb“ fehlt

„Wir wussten schon lange, dass ein Defekt dort zur CatSper-bedingter Unfruchtbarkeit führt, aber nicht, warum“ , erläutert der Mediziner Young. Entsprechende Untersuchungen an Menschen waren nur möglich, wenn eine genügend große Zahl von Männern mit CatSper-bedingter Unfruchtbarkeit entdeckt wurde. Die bisherigen Testverfahren waren allerdings zeit- und geräteaufwendig und benötigten geschultes Personal. „Das sollte einfacher und schneller gehen“. Young entwickelte eine Pufferlösung, in die nur wenige Mikroliter der Spermaprobe gegeben werden müssen. Wenn die Spermien nach einer Stunde noch darin schwimmen – was unter einem in jedem Labor vorhandenen Mikroskop erkennbar ist – dann haben sie einen Hinweis auf den gesuchten Defekt. Die Wissenschaftler konnten damit schnell und einfach Kandidaten für weitere wissenschaftliche Untersuchungen entdecken. Eines der Ergebnisse war die Erkenntnis, dass Spermien mit CatSper-bedingter Unfruchtbarkeit zwar den Weg zur Eizelle finden, ihnen aber der „Turboantrieb“ fehlt, mit dem sie die Hülle der zu befruchtenden Eizelle durchdringen können.

Unnütze Therapien vermeiden

„Dann kam die Überlegung, dass diese Innovation das Leben der kinderlosen Paare erleichtern könnte, wenn man daraus ein vermarktbares Produkt entwickelt“, erinnert sich Vincent Lucas Fischer, der Wirtschaftswissenschaftler im Gründungsteam. Denn der Test kann den Paaren den kürzeren Weg zum Kind weisen. Wenn ungewollt kinderlose Paare in eine Kinderwunschklinik gehen, liegt oft ein langer Weg vor ihnen. Die verschiedenen Therapieversuche sind körperlich, emotional und auch finanziell belastend. „Paare, die mit unserem Test entdecken, dass es bei ihnen an CatSper-bedingter Unfruchtbarkeit liegt, können einige Therapieoptionen überspringen. Meist ist die empfohlene Option dann die ICSI, die intrazytoplasmatische Spermieninjektion. Dabei wird die Samenzelle direkt in die Eizelle injiziert.“ Denn Therapien wie die Insemination (Samen wird in die Gebärmutter, den Gebärmutterhals oder den Eileiter gespritzt) oder In-vitro-Fertilisation (Eizellen und Samenzellen werden außerhalb des Körpers in einer Nährlösung zusammengebracht) können bei CatSper-bedingter Unfruchtbarkeit nicht zum Erfolg führen. Bei beiden Therapien muss das Spermium das letzte Teilstück, nämlich in die Eizelle hinein, selbst bewältigen.
Der Test wurde mit über 2000 Patienten validiert. Ergebnis: Mit einer Sensitivität von an die 100 Prozent werden Patienten mit Catsper-bedingter Unfruchtbarkeit zuverlässig erkannt (Sensitivität), genauso werden Männer, bei denen CatSper funktioniert, mit einer Spezifität von etwa 98 Prozent diagnostisch zuverlässig bestätigt (Spezifität). Es ist somit ein sehr zuverlässiger Test.
Im Herbst 2023 hatte das junge Unternehmen also ein zertifiziertes Medizinprodukt, aber außerhalb Münsters konnten ihn noch keine Paare nutzen. Nun begann die Vermarktung des Produktes. „Seit November 2023 haben wir proaktiv die Marktnachfrage getestet“, erläutert Fischer, „aber als Unternehmen aus der Wissenschaft waren wir erst einmal ein Nobody.“ Hilfreicher Türöffner war dabei allerdings das Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie, denn das ist in der Reproduktionsmedizin bekannt. Das war der Beginn einer ausgiebigen Reisetätigkeit: Über 60 verschiedene Einrichtungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz besuchten die Gründer in den letzten sechs Monaten, dazu Fachmessen unter anderem in Amsterdam und Stockholm. „Es geht nur über den persönlichen Kontakt“, weiß Fischer, denn den Ärztinnen und Ärzten musste zunächst die Funktionsweise des Tests vorgeführt werden. Dann bekommen sie meist einen Demotest, denn sie selbst ausprobieren können. Und einige Wochen später trudelten die ersten Bestellungen ein. Eine Packung mit 10 Tests kostet rund 500 Euro, die Paare zahlen einmalig pro Behandlungsplan bzw. im Leben des Mannes inclusive Labormaterial meist um die 100 Euro pro Test. Diese Kosten werden bisher noch von keinem Kostenträger übernommen. „Mittelfristig werden wir diese Kostenübernahme anstreben, aber das dauert erfahrungsgemäß einige Jahre“, so Fischer.

Technologietransfer für dankbare Paare

Und doch: Die Paare, die mit Hilfe dieser Diagnostik viele, von vornherein zum Scheitern verurteilte Therapieschritte überspringen können, sind sehr dankbar. Wenn Fischer die dankbaren Kommentare in Kinderwunschforen liest, wird ihm wieder klar, dass die Gründer von Truion nicht nur ein Produkt vermarkten. Sondern mithilfe des Technologietransfers aus der Uni in die Wirtschaft das Leben mancher Menschen spürbar verbessern.

Spezifität beschreibt, die Wahrscheinlichkeit, dass Gesunde, die nicht an der geprüften Erkrankung leiden, im Test auch tatsächlich als gesund erkannt werden. Es definiert also die richtig negativen Testergebnisse. Beispiel Coronaschnelltests: Es gibt Coronaschnelltests mit einer Spezifität von 50 Prozent, das bedeutet, dass von allen gesunden Personen 50 Prozent ein richtig negatives Testergebnis (Corona-negativ) erhalten, 50 Prozent jedoch ein falsch positives Ergebnis (Corona-positiv), obwohl sie keine Corona-Infektion aufweisen („gesund“ sind).
Sensitivität ist das Vermögen der Untersuchungsmethode, die erkrankte Personen sehr zuverlässig als krank („positiv“) zu erkennen. Wie häufig zeigt die Untersuchungsmethode ein richtig positives Ergebnis an? Beispiel Corona PCR-Verfahren: Es gibt PCR-Verfahren mit einer Sensitivität von knapp 99 Prozent, das bedeutet, dass von allen erkrankten Personen knapp 99 Prozent ein richtig positives Testergebnis (Corona-positiv) erhalten, 1 Prozent jedoch ein falsch negatives Ergebnis (Corona-negativ), obwohl sie eine Corona-Infektion aufweisen („krank“ sind).