IHK Nord Westfalen

Tourismusbranche im Umbruch

Smartes Logieren und künstliche Intelligenz, Azubis aus Asien und erneuerbare Energien: Gastronomie und Hotellerie haben eine Menge Antworten auf aktuelle Herausforderungen. Zu denen zählen hohe Energiepreise, teure Lebensmittel, fehlende Fachkräfte und sparsame Gäste.
Bei einem Besuch des Ringhotels Teutoburger Wald lohnt der Blick hinter das Haus. Dort, entlang der Bahngleise, erstrecken sich über etwa 80 Meter am Hang entlang neue Photovoltaik-Module. „Wir fahren fossile Brennstoffe von Jahr zu Jahr herunter“, erklärt Olaf Kerssen, einer der Geschäftsführer des Familienunternehmens in Tecklenburg-Brochterbeck.

„Erneuerbare“ seit 15 Jahren

Daran arbeitet er nicht erst seit der Energiekrise. Schon 1995 wurde das erste Blockheizkraftwerk in Betrieb genommen. Aktuell sind zwei Kraftwerke im Einsatz, die mit Hilfe von Gas Strom und Abwärme produzieren. Vor 15 Jahren startete der Hotelier mit Photovoltaik. Die eindrucksvolle Anlage an der Bahnlinie kommt auf 99,6 Kilowatt, eine weitere folgt im kommenden Jahr. Allein die Energie aus der Sonne spart dem Ringhotel etwa 80 000 Euro Kosten im Jahr – die Investition von etwa 400 000 Euro amortisiert sich so in wenigen Jahren.
Den Energiemix zu steuern, übernimmt eine Software, je nachdem, welche Strommengen die Anlagen gerade produzieren oder sich im Speicher befinden und je nach Bedarf. Oder Kerssen greift auf Energielieferungen der zuständigen Stadtwerke zurück. Kleine Kniffe wie Spitzenwächter haben große Wirkung: Das Gerät hilft, teure Spitzenlasten zu kappen. Bereits ein Drittel des Stromverbrauchs konnten reduziert werden, statt fast 1,5 Millionen Kilowattstunden Gas wird das Ringhotel in diesem Jahr nur 800 000 benötigt.
Um das Hotel in Brochterbeck steht viel Fläche zur Verfügung, damit sind die Voraussetzungen ungleich besser als in Stadthotels. Doch auch Elena-Christina Siebelt in Bocholt macht sich auf den Weg: Sie führt das Hotel Residenz und das Motel B und plant, auf den Flachdächern ebenfalls Photovoltaik zu installieren.

Auszubildende aus Vietnam

Aktuell kämpft sie mit einer anderen Herausforderung: „Unfassbar schwierig“ sei es, neues Personal zu gewinnen. Selbst Ungelernte sind kaum zu bekommen, „der Fachkräftemangel ist längst ein Arbeitskräftemangel“. Gute Auszubildende lässt sie mittlerweile aus Vietnam einfliegen, vermittelt über ein Unternehmen. Das kümmert sich um Visa, Arbeitserlaubnis und Anreise.
Elena-Christina Siebelt vom Hotel Residenz in Bocholt
Auch wenn Digitalisierung wichtiger wird, auf das „heimelige Gefühl“ müssen die Gäste von Elena-Christina Siebelt in ihren beiden Häusern in Bocholt nicht verzichten. © privat
Dabei hat die Gastronomie auch für heimische Berufsstarter eine Menge zu bieten, betont die Hotelfachfrau, die selbst für die IHK prüft. Ausbildungsinhalte wurden modernisiert, die Vergütung nach oben angepasst. Und viele ausgebildete Kräfte profitieren mittlerweile von einer Vier-Tage-Woche und freien Feiertagen. Für ihre Häuser führt Elena-Christina Siebelt als weitere Pluspunkte außerdem die gute Stimmung im Team, das familiengeführte Unternehmen oder die abwechslungsreiche Arbeit mit Menschen aus anderen Kulturen an.
Offenbar scheint sich dies herumzusprechen, bei Olaf Kerssen gehen schon wieder mehr Bewerbungen ein. Darunter stammen einige von Rückkehrern aus der Industrie, die während Corona der Gastronomie den Rücken gekehrt haben – „erschreckend“ sei die Abwanderung gewesen. Neben Verdienst und flexiblen Arbeitszeiten sprechen gute Karrierechancen für die Gastro-Branche: „Wir übertragen Leitungsfunktionen nicht selten an Mitarbeiter, die gerade erst Ende 20 sind“.

KI gegen Fachkräftemangel

Uwe Suberg wirbt zudem mit „Work-Life-Balance“. „Wir bezahlen überdurchschnittlich gut, aber allein mit Geld kann ich keinen locken“, begründet dies der Gastronom aus Recklinghausen, der seine Gäste mit einem vielfältigen Angebot anspricht: „Wir decken alle gastronomischen Bedürfnisse ab“. Suberg’s bei Boente serviert in Recklinghausens City zur deutschen Küche selbstgebrautes Bier. International geht es an den sechs Standorten von Noah’s & Zoe’s Place zu. Suberg’s im Ruhrfestspielhaus und der Seeblick in Haltern am See schaffen den Rahmen für die festliche Hochzeit, das Firmenevent oder Tagungen. Seit diesem Jahr sind sogar Veranstaltungen auf dem Halterner Stausee möglich, dazu legt das Eventschiff Möwe ab.
Für die 270 Beschäftigten in den Betrieben Vier-Tage-Wochen und regelmäßige freie Wochenenden zu organisieren, sei „eine Riesen-Herausforderung“. Dabei hilft Künstliche Intelligenz: In zwei Betrieben hat er es ausprobiert und KI die Dienstpläne schreiben lassen. Das Ergebnis: „Sie kann es besser“, die Einsparung dadurch summierte sich auf zehn Prozent.
Die Digitalisierung trägt dazu bei, Folgen des Fachkräftemangels abzufedern. „60 Köche fehlen allein im Kreis Recklinghausen“, berichtet er. Deshalb lässt Suberg eine seiner knappen Fachkräfte nicht drei Stunden vor dem Ofen eine Rinderroulade überwachen: Dank moderner Technik steuert der Koch den Gar-Vorgang ganz einfach von zu Hause aus. Vieles läuft automatisch: Die Kassen ermitteln den Warenverbrauch und bestellen direkt die Waren nach. 2024 führt Suberg die digitale Speisekarte ein, Bestellen und Bezahlen läuft dann übers Smartphone. „Dann brauche ich weniger Kellner“, erklärt er und ergänzt: „Aber die Kommunikation mit dem Gast muss bleiben“.

Smartes Motel

Diese Erfahrung hat auch Elena-Christina Siebelt gemacht. Das Motel B bewirbt sie mit dem Slogan „Be Smart – Stay Smart“. Von der Reservierung über das Ein- und Auschecken bis hin zur Steuerung von Licht und Klimaanlage funktioniert alles per App – was theoretisch erlauben sollte, Personal effizienter einzusetzen. „Die Idee ist schon vor Corona entstanden, während der Pandemie hat sie uns in die Karten gespielt“, berichtet sie. Allerdings zeigte sich in der Praxis: Nur eine deutliche Minderheit der Gäste nutzt das digitale Angebot, die klare Mehrheit bevorzugt den persönlichen Kontakt zum Personal. Was die Hotelfachfrau verstehen kann. „Gerade Geschäftsreisende schätzen das persönliche Gespräch, das Gefühl von Heimeligkeit.“
Business-Gäste machen den großen Teil der Kunden in ihren Hotels aus. Bocholt sei mit Branchen wie Textil, Automobil oder Windgetriebe immerhin ein veritabler Industriestandort. Doch gerade ausländische Gäste fehlen nach der Corona-Pandemie, vor allem aus Amerika und Asien. „Dafür wird der Urlaub im eigenen Land interessanter“, stellt sie fest. Fahrrad- statt Flugreisen sind gefragt, das hängt auch mit dem Trend zu mehr Nachhaltigkeit zusammen.

Gäste halten sich zurück

Das Ringhotel Teutoburger Wald setzt auf Tagungen, Events und Wellness und hat damit wieder die Zahlen der Vor-Corona-Zeit erreicht. Für das Vollsortiment aus Fitness mit Schwimmbad sowie eigenem Restaurant seien die Gäste weiterhin bereit, einen angemessenen Preis zu zahlen. Auch die Low-Budget-Hotels am anderen Ende der Preisspanne finden Kunden. „Schwer tut sich die Mittelklasse“, berichtet Olaf Kerssen von Gesprächen mit Branchenkollegen. Für das einfache Zimmer mit Abendessen werde es schwieriger, auskömmliche Preise zu erzielen.
Denn hohe Energiekosten und steigende Lebensmittelpreise finden sich dabei schon längst auf den Speisekarten wieder. „Fast 60 Prozent der Gäste empfinden die Gastronomie als zu teuer“, erklärt Uwe Suberg, dass höhere Preise nicht einfach durchzusetzen sind. Als Vorsitzender der Dehoga in Recklinghausen weiß er, dass seine Kolleginnen und Kollegen noch immer die Coronafolgen spüren. Um zehn Prozent hinken die Umsätze noch hinter denen von 2019 hinterher.
Elena-Christina Siebelt stellt im Gespräch mit Kollegen fest: „Die Existenzängste nehmen zu.“ Olaf Kerssen sieht zwar auch ein geänderte Ausgehverhalten: „Wer bisher einmal die Woche Essen geht, geht künftig vielleicht alle zwei Wochen.“ Dann aber „darf es aber auch etwas mehr kosten“. Auch Suberg selbst spürt eine gewisse Zurückhaltung. „Die Gäste kommen, aber der Konsum wird geringer.“ Er lockt die Kundschaft mit „besonderen Erlebnismomenten“. Das können eine Motto-Party, Sommer-Deals oder eine Oktoberfest-Karte in der Hausbrauerei sein.
Nach Corona spürt Suberg aber auch einen großen Nachholbedarf, vor allem bei Hochzeiten. „Wir sind bis 2025 hinein gut gebucht“, berichtet er. Auch die Ü30-Partys werden von etwa einem Drittel mehr Feiernden besucht als noch vor der Pandemie. Gerade das Catering „läuft stabil gut“.

Streit um die Umsatzsteuer

Einig sind sich die Gastronomen in der positiven Auswirkung der ermäßigten Umsatzsteuer auf Speisen. Die Diskussion, ob diese wieder von sieben auf 19 Prozent steigen soll, schlägt allerdings auf die Stimmung. Damit würde man eine Branche, die aktuell noch Corona-Kredite zurückzahlen muss, „ins offene Messer laufen lassen“, meint Olaf Kerssen.
Das Argument, ohne die Rückkehr zu 19 Prozent entgingen dem Staat 3,3 Milliarden Euro Steuereinnahmen, beantwortet er mit einer Gegenrechnung: „Macht die Gastronomie keinen Umsatz, fehlen fünf, sechs oder sieben Milliarden Euro“. Anfreunden als Unternehmer könnte er sich mit einer einheitlichen Gastronomiesteuer von vielleicht zehn Prozent auch für Getränke und andere Dienstleistungen – das würde zudem von Bürokratie entlasten.
Was die Steigerung von sieben auf 19 Prozent bedeutet, auch dazu hat Suberg Zahlen. Er hat mit einem großen Systemgastronom mit 150 Restaurants in Deutschland gesprochen. Der ließ es von seiner Buchhaltung durchrechnen. Das Ergebnis: „Ohne eine Preisanpassung bei den Speisen würden rund 70 Prozent der Betriebe Verluste generieren“. Eine klare Meinung hat Elena-Christina Siebelt: „Lebensmittel sollten grundsätzlich einheitlich mit sieben Prozent besteuert werden, egal ob sie im Supermarkt oder Restaurant verkauft werden.“ Eine bundesweite Petition wurde schon von 50 000 Unterstützern unterzeichnet. Für sie ist aber vor allem die Politik gefragt: „Wir brauchen Entlastung, weniger Bürokratie und vor allem Verlässlichkeit und Planungssicherheit.“
Doch was immer auch kommt: „Gastronomie gibt es seit Jahrtausenden. Ich bin zuversichtlich, dass das so bleibt“, blickt Uwe Suberg nach vorn.