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Emscher-Lippe-Unternehmen erzielen Ausnahmeregelungen bei Bundesnetzagentur
Die Alarmstufe des Notfallplans Gas gilt weiter: Mit der Abgabe einer Selbsterklärung können Unternehmen einer Abschaltung vorbeugen. (von Katja Venghaus)
Die Gaskrise ist trotz neuer LNG-Terminals, neuen Gaslieferanten und zurzeit gut gefüllten Speichern auch für den kommenden Winter nicht vollständig gebannt. „Wir können durchaus optimistisch sein, für eine Entwarnung ist es aber noch zu früh“, warnte noch im September der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller. Letztendlich befindet sich Deutschland nach wie vor in der „Alarmstufe Gas“, die alle Verbraucher zu einem sparsamen Umgang mit Gas aufruft (Eskalationsstufen: Frühwarnstufe – Alarmstufe – Notfallstufe).
Vorrat für zwei Monate
Vor dem russischen Angriffskrieg gab es in der Gasversorgung lediglich klar definierte Vorschriften, wie im Fall von regionalen Engpässen zu handeln ist. Zum Beispiel, wenn ein Bagger eine Gasleitung beschädigt hat. Mit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Februar 2022 änderte sich das grundlegend. Die bundesweite Gasversorgung ist seitdem trotz enormer Speicherkapazitäten nicht mehr sicher. Der Vorrat würde für maximal zwei Monate ausreichen – je nach Witterung. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) musste sich mit der neuen Situation befassen und Maßnahmen festlegen, die die Systemstabilität des bundesweiten Gasnetzes sichern. Am Einfachsten erschien dabei, für alle nicht geschützten Kunden eine ratierliche Abschaltung der Gasmengen zu verfügen.
Nun gibt es Produktionsbetriebe, für die eine Reduzierung oder gar Abschaltung des Gases zwar kostenintensiv und mit viel Ärger verbunden wäre, deren Anlagen jedoch ohne Schaden zu nehmen, herunter- und wieder angefahren werden könnten. Auf der anderen Seite hingegen gibt es viele Betriebe, deren Produktionsanlagen bereits bei einer Reduzierung des Gases großen und oftmals irreparablen Schaden nehmen würden. Ein Schaden, der sich auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im ganzen Land auswirken würde. Denn zahlreiche Betriebe würden auch angesichts der Unsicherheit der Energieversorgung nicht erneut am gleichen oder einem anderen Standort in Deutschland investieren – zu hoch wären momentan die Kosten im Gegensatz zu vielen ausländischen Standorten.
Abschaltung = Existenzbedrohung
Die IHK Nord Westfalen hat deshalb gemeinsam mit den Arbeitgeberverbänden Emscher-Lippe, den Städten Bottrop, Gelsenkirchen und Gladbeck sowie der Emscher-Lippe-Verteilnetz GmbH (EVNG) seit April 2022 regelmäßige Treffen für die nicht geschützten Kunden organisiert. Immerhin über 60 Unternehmen aus der Emscher-Lippe-Region wären im Falle der Ausrufung der Notfallstufe von einer ratierlichen Abschaltung des Gases betroffen.
Bei diesen Treffen stellte sich schnell heraus, dass viele Betriebe durch eine ratierliche Abschaltung in ihrer Existenz bedroht wären. Die vorgestellten Maßnahmen der BNetzA waren lediglich auf die Systemstabilität des Gasnetzes ausgerichtet – nicht auf mögliche Folgen für die Produktionsbetriebe.
Unternehmen helfen Unternehmen
Durch den intensiven Austausch mit den Unternehmen in der Emscher-Lippe-Region und mit großem Engagement aller Beteiligten konnten viele Vorschläge erarbeitet werden, die bundesweite Aufmerksamkeit und letztendlich auch bei der BNetzA Gehör fanden. Die ARD beispielsweise berichtete in der tagesschau und in den tagesthemen über das sogenannte „Gelsenkirchener Modell“. Auch der Deutsche Städtetag empfahl seinen Mitgliedskommunen das „Solidaritätsabkommen“, bei dem sich Unternehmen untereinander helfen, zur Nachahmung. Über Landes- und Bundesnetzwerk der IHK wurden mögliche Auswirkungen der bisherigen Regelungen und viele Vorschläge für eine Neureglung an das Bundeswirtschaftsministerium und die BNetzA kommuniziert. Das zeigte Wirkung. Im Juni 2023 hat die BNetzA neue Richtlinien festgelegt, die mehrere Tatbestände beinhalten, wie Kunden von einer ratierlichen Abschaltung des Gasbezugs befreit werden könnten.
Dabei unterscheidet die BNetzA die Verbraucher nach ihrer technischen Anschlussleistung:
Kunden mit mehr als zehn Megawatt werden zur Abwendung einer etwaigen Gasmangellage mit einer Individualverfügung belegt, die verschiedene Maßnahmen enthalten kann. Dazu zählen beispielsweise die Begrenzung des Gasverbrauchs für einen bestimmten Zeitraum und die Verpflichtung des Kunden, aus dem eigenem Vorrat bestimmte Gasmengen dem bundesweiten Netz zur Verfügung zu stellen. Und zwar unabhängig davon, wie hoch der Rückkaufwert des Gases zu dem Zeitpunkt ist.
Kunden mit mehr als zehn Megawatt werden zur Abwendung einer etwaigen Gasmangellage mit einer Individualverfügung belegt, die verschiedene Maßnahmen enthalten kann. Dazu zählen beispielsweise die Begrenzung des Gasverbrauchs für einen bestimmten Zeitraum und die Verpflichtung des Kunden, aus dem eigenem Vorrat bestimmte Gasmengen dem bundesweiten Netz zur Verfügung zu stellen. Und zwar unabhängig davon, wie hoch der Rückkaufwert des Gases zu dem Zeitpunkt ist.
Neue Ausnahmeregelungen
Kunden mit einer registrierenden Leistungsmessung (RLM-Kunden) und einer technischen Anschlussleistung unter zehn Megawatt erhalten eine Allgemeinverfügung über die prozentuale Einsparaufforderung. Für sie gibt es nun vier neue Wege, um von einer Abschaltung befreit zu werden. Diese Ausnahmeregelungen sind ein wichtiger erster Erfolg, der mit den Einlassungen der Unternehmen aus der Emscher-Lippe-Region auf Bundesebene erzielt worden ist. Neu sind folgende Ausnahmeregelungen:
Besonders schützenswerte Produktionsbereiche
Die bisherige Einordnung „geschützte Kunden“ (Wärme für Haushaltskunden, Krankenhäuser, Altenheime usw.) und „nicht geschützte Kunden“ wurde ergänzt um eine Liste mit „besonders schützenswerten Produktionsbereichen“.
Berücksichtigung von Einsparungen
Es besteht nun die Möglichkeit zur Berücksichtigung der getätigten Einsparungen. Kunden, die seit dem 1. April 2022 ihren Gasbezug bereits verringert haben, können sich diese Einsparungen nach einer festgelegten Formel anrechnen lassen.
Gasbezugsreduktion bei drohenden Schäden
Wenn eine verfügte Reduktion der Gaszufuhr zu Schäden an den Anlagen führen würde, kann eine Mindestmenge genannt werden, damit Anlagen keine Schäden nehmen.
Gasbezugsreduktion „poolen“
In besonderen Konstellationen dürfen Letztverbraucher die angeordnete Gasbezugsreduktion „poolen“. Das heißt, dass ausnahmsweise eine Verrechnung verschiedener Standorte eines Betriebs erfolgen darf.
Die bisherige Einordnung „geschützte Kunden“ (Wärme für Haushaltskunden, Krankenhäuser, Altenheime usw.) und „nicht geschützte Kunden“ wurde ergänzt um eine Liste mit „besonders schützenswerten Produktionsbereichen“.
Berücksichtigung von Einsparungen
Es besteht nun die Möglichkeit zur Berücksichtigung der getätigten Einsparungen. Kunden, die seit dem 1. April 2022 ihren Gasbezug bereits verringert haben, können sich diese Einsparungen nach einer festgelegten Formel anrechnen lassen.
Gasbezugsreduktion bei drohenden Schäden
Wenn eine verfügte Reduktion der Gaszufuhr zu Schäden an den Anlagen führen würde, kann eine Mindestmenge genannt werden, damit Anlagen keine Schäden nehmen.
Gasbezugsreduktion „poolen“
In besonderen Konstellationen dürfen Letztverbraucher die angeordnete Gasbezugsreduktion „poolen“. Das heißt, dass ausnahmsweise eine Verrechnung verschiedener Standorte eines Betriebs erfolgen darf.
Voraussetzung, um sich auf eine der Ausnahmen zu berufen, ist die Abgabe einer sogenannten Selbsterklärung durch die Unternehmen. Während einer Sondersitzung im November 2023, zu der die IHK Nord Westfalen gemeinsam mit ihren Partnern einlädt, sollen alle nicht geschützten RLM-Kunden aus der Emscher-Lippe-Region in die Lage versetzt werden, diese Selbsterklärung auszufüllen.
Die energieintensiven Unternehmen der Emscher-Lippe-Region begrüßen die neuen Richtlinien der BNetzA und wünschen sich nun, dass diese Verfahren zukünftig auch bei regionalen Engpässen in der Gasversorgung Anwendung finden werden.
Kontakt
Dr. Eckhard Göske
Katja Venghaus