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Damit die Erfolgsstory nicht endet
Mehr als eine Million Menschen waren im September vergangenen Jahres im Bezirk der IHK Nord Westfalen sozialversicherungspflichtig beschäftigt – ein Rekordwert. Aber in welchen Branchen sind die neuen Jobs entstanden? Und was muss passieren, damit diese Erfolgsgeschichte weitergeht? | Text: Tobias Hertel
Nach den aktuell verfügbaren Zahlen von Ende September vergangenen Jahres waren 1.006.783 Menschen in Nord-Westfalen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Dies entspricht einem Zuwachs von über 15 Prozent im Zeitraum von 2015 bis 2023. In NRW insgesamt stieg die Zahl der Beschäftigten dagegen nur um knapp 13 Prozent.
Münsterland wächst stärker als Emscher-Lippe-Region
Doch es gibt regionale Unterschiede: Im Münsterland stieg die Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von 2015 bis 2023 um 17 Prozent auf 703.409, in der Emscher-Lippe-Region fiel das Plus mit 11,4 Prozent auf 303.374 niedriger aus.
Auf Ebene der Städte und Kreise fallen die Unterschiede zwischen Münsterland und Emscher-Lippe-Region ebenfalls ins Auge. Überdurchschnittlich um jeweils mehr als 17 Prozent legte seit 2015 die Beschäftigtenzahl in Münster (187.609), Coesfeld (76.734) und Borken (161.921) zu. Warendorf (103.284) und Steinfurt (173.861) verzeichneten Steigerungen um mehr als 16 Prozent. Während auch Recklinghausen (183.448) mit plus 13,7 Prozent noch besser als das Land NRW insgesamt abschneidet, kommt Gelsenkirchen (86.226) nur auf ein Plus von 10,6 Prozent. Bei Bottrop (33.700) steht gerade einmal ein Zuwachs von 2,2 Prozent seit 2015 zu Buche.
IT-Sektor boomt, Industrie legt kaum zu
Auch die Branchen entwickelten sich unterschiedlich. In der IT waren Ende September 2023 fast 43 Prozent mehr Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt als 2015 – insgesamt 25.665. Größere Zuwächse verzeichneten der Verkehr (50.395) mit 24,6 Prozent und das Baugewerbe (69.431) mit 23,6 Prozent. Die weitaus meisten Beschäftigten in Nord-Westfalen arbeiten im Bereich öffentliche und private Dienstleistungen, nämlich 269.278, fast 22 Prozent mehr als 2015. Hierunter fallen unter anderem Bereiche wie Gesundheitswesen, Sozialwesen oder Erziehung und Unterricht.
Auffällig sind die geringen Zuwächse in der Industrie: Das verarbeitende Gewerbe ist mit 187.992 Beschäftigten die Nummer zwei in Nord-Westfalen, legte aber um gerade einmal drei Prozent zu. Beim Handel, der Nummer drei mit 151.282 Beschäftigten, betrug der Zuwachs immerhin fast 16 Prozent. Das ist allerdings weniger als in der öffentlichen Verwaltung, die ihre Beschäftigtenzahl um 21 Prozent auf 55.502 steigerte.
Wirtschaft entwickelte sich dynamisch
Aus Sicht von Jaeckel spiegeln die Zahlen insgesamt die Stärke und die dynamische Entwicklung der regionalen Wirtschaft wider. „Das ist eine echte Erfolgsstory“, betont IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Fritz Jaeckel. Dass erstmals die Millionen-Marke geknackt wurde, sei zudem „ein gutes Signal in wirtschaftlich angespannten Zeiten“. Die Zahlen hätten noch besser ausfallen können, „wenn auf dem Arbeitsmarkt genügend qualifizierte Fachkräfte zu finden gewesen wären“. Zumindest bis zu diesem Zeitpunkt. Denn die Beschäftigtenzahlen sind zwar die aktuellsten, die zur Verfügung stehen, „letztendlich aber alt“, betont Jaeckel.
Seit der Erhebung der Zahlen Ende September 2023 hat sich die wirtschaftliche Situation nicht gebessert. Aktuellere Indikatoren sprechen eher gegen eine weitere positive Entwicklung. So ist die übliche Frühjahrsbelebung auf dem Arbeitsmarkt nicht in Fahrt gekommen. Dies zeigt sich besonders im Münsterland: Die Agenturen für Arbeit meldeten im Juni eine Arbeitslosenquote von 4,9 Prozent gegenüber 4,4 Prozent vor einem Jahr und 4,8 Prozent im Vormonat. Im Mai war die Quote nur schwach um 0,1 Prozentpunkte zurückgegangen – ein sehr geringer Wert fürs Frühjahr.
Trübe Stimmung unter den Unternehmen
Bedenklich ist zudem das Stimmungsbild unter den Unternehmen, sowohl bundesweit als auch in der Region. Der Ifo-Geschäftsklima-Index sank im Mai gegenüber dem Vormonat zum zweiten Mal in Folge auf jetzt 88,6 Punkte. Die Gründe: Eine schwache Nachfrage und sinkende Auftragsbestände trüben die Aussichten ein. Die IHK Nord Westfalen verzeichnete in ihrer jüngsten Konjunkturumfrage allenfalls „Zeichen für eine leichte Besserung“, insbesondere im Dienstleistungssektor und im Handel. Aus der Industrie werden dagegen von 40 Prozent der Befragten „schlecht laufende Geschäfte“ gemeldet. Der ersehnte durchgreifende Aufschwung ist nicht in Sicht.
Auch eine steigende Zahl von Insolvenzen schlägt auf den Arbeitsmarkt durch. Creditreform ermittelte bundesweit 11.000 Firmenpleiten im ersten Halbjahr 2024, ein Zuwachs von 30 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Davon betroffen waren 133.000 Beschäftigte in Deutschland.
Mit Sorgen blickt Jaeckel auch auf die steigenden Belastungen für die Unternehmen in Nord-Westfalen. Die Gewerbesteuer ist in vielen Kommunen deutlich höher als im NRW- und Bundesdurchschnitt. Weitere Nachteile drohen durch mögliche erhebliche Steigerungen bei der Grundsteuer B. Auch bei den Sozialbeiträgen gehen Studien von erheblichen Erhöhungen aus, die Arbeit verteuern und den Standort unattraktiver machen. Der hat ohnehin mit Kosten für Energie und Bürokratie zu kämpfen – weshalb 32 Prozent aller Investitionen außerhalb Deutschlands vorgenommen werden, um Kosten zu sparen, wie die DIHK ermittelt hat.
Konkrete Vorschläge für neues Wachstum
Für den IHK-Hauptgeschäftsführer ist dies dennoch kein Grund, schwarz zu sehen. „Wir brauchen neue strukturelle Impulse, damit unsere Volkswirtschaft wieder wächst“, räumt er ein. Genau dazu hat die IHK-Vollversammlung konkrete Vorschläge gemacht. „Impulse für neues Wachstum“ sind die Positionen der IHK Nord Westfalen überschrieben, die Vollversammlungsmitglieder in einem Workshop erarbeitet haben.
„Wir brauchen neue strukturelle Impulse, damit unsere Volkswirtschaft wieder wächst“,Dr. Fritz Jaeckel, IHK-Hauptgeschäftsführer
„Wir benötigen mehr Investitionen in die internationale Wettbewerbsfähigkeit, weniger Bürokratie bei der gezielten Arbeits- und Fachkräfteeinwanderung und mehr Offenheit gegenüber Geschäftsmodellen auf Basis von Digitalisierung und KI“, nennt Jaeckel Beispiele. Nötig seien außerdem schlankere und schnellere Verfahren und Genehmigungsprozesse, um die Infrastruktur zu sichern. Die Wirtschaft sieht nun die Politik am Zug, damit Deutschland und Nord-Westfalen starke Standorte bleiben – und die Erfolgsgeschichte am Arbeitsmarkt doch fortgeschrieben werden kann.
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Redaktion Wirtschaftsspiegel