Praxis & Ratgeber

Die Mischung macht´s

Münster muss mehr können, als museal zu glänzen, sagt Tobias Viehoff. Der Kaufmann und Immobilienbesitzer über die Rolle des Handels in der Innenstadt der Zukunft. (Interview: Tobias Hertel)
Das Ladenlokal Prinzipalmarkt 41 ist mehr als eine Baustelle in Münsters guter Stube. Unter dem Namen Urban Club P41 gibt es dort seit einigen Monaten immer wieder Events oder andere überraschende Zwischennutzungen. Gerade hat Konditormeisterin Jo Kristin Thyssen dort ihre „Süße Leeze“ aufgestellt. Die 25-Jährige verkauft Leckereien wie Zimtschnecken und Zitronen-Himbeer-Törtchen. Möglich macht es Tobias Viehoff. Der Eigentümer des Knipperdolling-Hauses und langjährige Sprecher der „Initiative Starke Innenstadt“ (ISI) leistet sich den Leerstand länger als nötig. Er nutzt die Situation, um herauszufinden, welche Angebote insbesondere junge Menschen in die Innenstadt ziehen. Auch der neue Mieter des Ladenlokals, den er nicht verraten will, soll dazu beitragen und einen neuen Akzent am Prinzipalmarkt setzen.
In Münsters Toplagen mehren sich Leerstände. Ist das eine Momentaufnahme oder droht ein Dauerzustand?
VIEHOFF: Der Online-Anteil wächst stark und durch den Krieg in der Ukraine und durch die erhöhten Produktions- und Rohstoffkosten haben wir historisch hohe Preissteigerungen. Aber der Handel war schon vor Corona im Wandel. Viele Einzelhandels-Formate sind überholt, sie machen die Innenstädte nicht attraktiv und sind auch häufig nicht mehr rentabel. Auch in Münster haben wir einen sichtbaren Wandel. Dennoch ist die Innenstadt hier sehr stabil. Es gibt hier keinen strukturellen, dauerhaften Leerstand.
Sie modernisieren Ihr Ladenlokal und beleben die Baustelle mit Kultur, Wissenschaft und Debatten. Warum?
VIEHOFF: Es ging um eine Zwischenlösung, bis Mitte 2023 soll ein neuer Mieter feststehen. Die Frage ist, wie der Handel für die nächste Generation aussehen soll. Münster darf nicht nur museal schön sein und damit am Ende zur Dependance des Mühlenhofs-Freilichtmuseums werden, sondern es braucht vibrierenden Handel am Puls der Zeit. Über Kulturformate und soziale Medien erreichen wir Menschen, die wir sonst nicht auf dem Prinzipalmarkt sehen. Zum Beispiel haben sich über die Onlineplattform Monkey Market 30 Gründer und Kreative temporär zusammengeschlossen, um für einen Tag auf der Baustelle einen Pop-up-Store zu errichten. Dort haben sie an 30 Ständen ihre Waren verkauft." Die Kunstausstellungen haben einen wohltuenden, krassen Kontrast zwischen dem nicht perfekten Raum und der hohen Qualität der Kunst geboten.
Damit Menschen auf uns aufmerksam werden, brauchen wir auch auf dem Prinzipalmarkt Abwechslung und Aufmerksamkeit durch ein scharfkantiges Thema. Und dazu eine vernünftige Vermarktung, auch über soziale Medien. Auf diesem Weg kam auch der Kontakt zu Jo Kristin Thyssen und der „Süßen Leeze“ zustande. Viele junge Gründer haben tolle Ideen, sie haben Mut und sie arbeiten hoch professionell. (Interview mit Jo Kristin)
Kunst und Kulinarisches locken also neue Zielgruppen. Braucht es für jeden Leerstand eine Handelsnutzung?
Logo von Das Gute findet Innenstadt
© IHK
VIEHOFF: Der Handel war immer dominante Komponente in der Innenstadt. Viele inhabergeführte Geschäfte sind aber verloren gegangen, zugunsten eines professionellen Filialsystems. Die Aufgabe der Zukunft wird sein, einen öffentlichen Heimatort für die Stadtgesellschaft und für Besucher zu schaffen. Wir müssen Menschen ansprechen, die konsumieren wollen, aber auch diejenigen, die sich nur treffen möchten. Das erfordert eine stärkere Durchmischung von Angeboten. Die junge Generation kauft vieles online, sie braucht aber Treffpunkte für Sport und Freizeitgestaltung.
Als Immobilieneigentümer habe ich ein Interesse daran, dass mein Haus auch in 50 Jahren noch etwas wert ist. Dafür muss ich mich für die Innenstadt verantwortlich fühlen. Mit leicht zugänglicher Kultur und Ausstellungen lässt sich die notwendige Rentabilität nicht verdienen. Aber trotzdem wird die Stadt der Zukunft diese Durchmischung benötigen. Dazu bedarf es der Anstrengung aller Innenstadtakteure. Dann wird der Prinzipalmarkt auch in Zukunft das lebendige Herz der Stadt sein.
Es droht bei der Schließung eines der Häuser von Galeria Kaufhof Karstadt ein Leerstand ein bester Lage. Welche Nutzung halten Sie für sinnvoll?
VIEHOFF: In vielen anderen Städten ist das Aus für ein so großes Kaufhaus eine Bedrohung. Für Münster sehe ich aber die Chance, mit einem Solchen Leerstand die Innenstadt neu zu definieren. Ich könnte mir eine Mischung aus Wohnen, Sport, Kultur, Arbeiten plus Handel vorstellen. Dies sollte offen gestaltet werden. Schön wäre es zum Beispiel, wenn oben auf dem Dach eine öffentliche Freifläche mit gastronomischem Angebot wäre. Die Voraussetzungen sind in Münster besser als in vielen anderen Städten. Hier sehe ich das Potenzial für einen Zukunftsanker in der Innenstadt.
(Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde vor der Bekanntgabe der Schließungspläne von Galeria Kaufhof Karstadt geführt.)
Das neue Stadtentwicklungskonzept betont eine klimagerechte, erlebnisreiche und autoarme Innenstadt. Wo sehen Sie da den Handel?
VIEHOFF: In vielen anderen Städten ist das Aus für ein so großes Kaufhaus eine Bedrohung. Für Münster sehe ich aber die Chance, mit einem Solchen Leerstand die Innenstadt neu zu definieren. Ich könnte mir eine Mischung aus Wohnen, Sport, Kultur, Arbeiten plus Handel vorstellen. Dies sollte offen gestaltet werden. Schön wäre es zum Beispiel, wenn oben auf dem Dach eine öffentliche Freifläche mit gastronomischem Angebot wäre. Die Voraussetzungen sind in Münster besser als in vielen anderen Städten. Hier sehe ich das Potenzial für einen Zukunftsanker in der Innenstadt.

Jo Kristin Thyssen und die „Süße Leeze“