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Verschärfte Produkthaftung
Die EU-Kommission plant eine neue Richtlinie zur Produkthaftung. Unternehmen müssen sich – sollte der Entwurf in derzeitiger Form zum Gesetz werden - in absehbarer Zeit auf eine deutliche Verschärfung einstellen.
Die bereits 37 Jahre alte Richtlinie soll damit abgelöst und die Produkthaftung an das mehr und mehr digitalisierte Marktumfeld angepasst werden. Dabei folgt der vorgestellte Entwurf dem Trend, die Verbraucherrechte zu stärken und Unternehmen stärker in die Verpflichtung zu nehmen.
Folgende Neuerungen sind nach dem Neuentwurf geplant:
- Ausweitung des erfassten Produktkreises
Die europäische Produkthaftung soll künftig nicht mehr nur für bewegliche Sachen und Elektrizität gelten, sondern auch für digitale Produktionsdateien (wie 3D-Drucker) und für Software, also Betriebssysteme, Firmware, Computerprogramme, Applikationen und KI-Systeme. - Größerer möglicher Verpflichtetenkreis
Der Entwurf erweitert den Kreis möglicher Schuldner und damit der potenziell Beklagten auf Bevollmächtigte des Herstellers und Fulfillment-Dienstleister (also Lager, Verpackungs- und Versanddienstleister). Kann ein in der Lieferkette vorhergehender Wirtschaftsakteur nicht festgestellt werden, haftet zukünftig nicht nur der Händler, sondern auch der Betreiber von Onlinemarktplätzen. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass eine geschädigte Person auch dann Haftungsansprüche geltend machen kann, wenn das schadensursächliche fehlerhafte Produkt direkt aus einem Nicht-EU-Land gekauft wurde, und es keinen (Quasi-) Hersteller oder Importeur mit Sitz in der EU gibt - Schadensbegriff ausgeweitet
Die Richtlinie sieht eine Ausweitung des Schadensbegriffs vor. Künftig soll für die Beschädigung oder den Verlust von Daten, die nicht ausschließlich für berufliche Zwecke genutzt werden, Schadensersatz geltend gemacht werden können. - Haftungsausschluss eingeengt
Die Möglichkeiten zum Ausschluss der Haftung werden weiter eingeschränkt. So sollen die bisher geltenden Selbstbehalte (500 Euro für Sachschäden im Einzelfall) und Haftungshöchstgrenzen (85 Millionen Euro für alle Personenschäden aus derselben Schadensserie) ersatzlos gestrichen werden. Die fehlende Erkennbarkeit des Produktfehlers zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens, der Inbetriebnahme oder der Bereitstellung des Produkts soll zudem unbeachtlich sein, wenn der Fehler durch ein Sicherheitsupdate der Software hätte behoben werden können. Diese Regelung gilt zeitlich unbefristet und könnte dazu führen, dass in der Tech-Branche die bisher übliche Praxis endet, Sicherheitsupdates für ältere Produkte nach wenigen Jahren einzustellen. - Offenlegung von Beweismitteln
Eine wichtige und dem deutschen Recht eher fremde Neuerung ist die Möglichkeit für Gerichte, den beklagten Unternehmer zu verpflichten, in seinem Besitz befindliche Beweismittel vorzulegen. Dadurch würde es dem Kläger ermöglicht, Einblicke in sensible Unterlagen des Beklagten zu nehmen, zum Beispiel Konstruktionsunterlagen, Mängelprotokolle und ähnliches. Den Gerichten wird hierfür Ermessensspielraum eingeräumt. Kommt der Beklagte einer entsprechenden Anordnung des Gerichts allerdings nicht oder nur unvollständig nach, verliert er möglicherweise den Prozess, weil die Fehlerhaftigkeit des Produktes in diesem Fall gesetzlich vermutet wird. - Beweiserleichterungen für Geschädigte
Die Verteilung der Beweislast wird durch den Richtlinienentwurf zu Gunsten des Geschädigten verschoben. Zwar bleibt es bei der Regelung, dass der Kläger den Produktfehler, den Schaden und den Kausalzusammenhang zwischen Fehler und Schaden beweisen muss. Diese Grundregel wird aber durch mehrere Beweisvermutungen aufgeweicht. Das Vorliegen eines Fehlers wird danach vermutet, wenn das Unternehmen seiner Offenlegungspflicht nicht nachgekommen ist, wenn der Kläger beweisen kann, dass das Produkt nicht den verpflichtenden Sicherheitsvorgaben des EU-Rechts oder des nationalen Rechts entspricht, die vor dem Risiko des später entstandenen Schadens schützen sollen sowie dann, wenn der Kläger beweisen kann, dass der Schaden durch eine „offensichtliche Fehlfunktion des Produkts“ entstanden ist.
Darüber hinaus gibt es eine Beweiserleichterung für den Kläger, wenn die Beweisführung für ihn „aufgrund der technischen oder wissenschaftlichen Komplexität übermäßig schwierig“ ist und er auf „Grundlage hinreichender Beweise“ nachweisen konnte, dass zum einen das Produkt zum Schaden beigetragen hat und zum anderen das Produkt wahrscheinlich fehlerhaft war beziehungsweise der Fehler wahrscheinlich den Schaden verursacht hat.
Informationen zum derzeitigen Produkthaftungsgesetz finden Sie auf der Website der IHK Nord Westfalen. IHK-Kontakt: Andreas Karsten, Tel. 0251 707-361, andreas.karsten@ihk-nw.de
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) hat eine Stellungnahme zu dem Entwurf der Produkthaftungsrichtlinie im Dezember bei der EU-Kommission eingereicht. Im Ergebnis lehnt die IHK-Organisation den Entwurf nicht in der Zielsetzung, aber in weiten Teilen bezüglich der Umsetzung ab. Es wird kritisiert, dass das bislang austarierte Gleichgewicht zwischen Verbrauchern und Unternehmen auf dem Gebiet produktbezogener Gefährdungshaftung durch den Entwurf einseitig und ohne belastbare Begründung zu Lasten der Unternehmen verschoben wird. Alle Rückmeldungen werden von der EU-Kommission zusammengefasst und dem Europäischen Parlament und dem Rat vorgelegt, die anschließend den Entwurf beraten werden. Nach Inkrafttreten der neuen Produkthaftungsrichtlinie sollen die Mitgliedstaaten zwölf Monate Zeit haben, um die Richtlinie in das nationale Recht umzusetzen.
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Redaktion Wirtschaftsspiegel