Fachkräfte aus dem Ausland

Das Miteinander managen

André Janitschek ist überzeugt: „Integration funktioniert in beide Richtungen, sie ist nicht nur Aufgabe der ausländischen Mitarbeitenden.“ Er entwickelt mit seinem Team für das Klinikum Vest systematisch Angebote, damit die Menschen gut ankommen in Job und Gesellschaft. (Von Dominik Dopheide)
Welche Konsequenzen drohen, wenn Pflegekräfte fehlen? „Das haben wir in Pandemiezeiten gesehen, als vielerorts nicht mehr operiert wurde, weil Intensivstationen nicht mehr ausreichend besetzt waren“, antwortet André Janitschek. Er ist Integrationsmanager bei der Klinikum Vest GmbH – einem Krankenhausträger mit zwei Häusern im Verbund der Knappschaft Kliniken. Eine seiner Aufgaben: Arbeitsmärkte in anderen Ländern sondieren, um Auszubildende und Fachkräfte für das Klinikum Vest zu gewinnen.
Im Inland nämlich spitzt sich die Lage zu: „Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft werden in Deutschland in der stationären Versorgung bis zum Jahr 2035 rund 300.000 Pflegekräfte fehlen, die Versorgungslücke im Pflegebereich insgesamt kann sich im Worst-Case sogar auf knapp 500.000 Fachkräfte vergrößern“, weiß Janitschek. Bei ihrem Scouting halten er und sein Team eine bestimmte Grenze ein: „Wir rekrutieren weltweit, aber nur in Ländern, die über Bedarf ausbilden“, erklärt er und nennt als Beispiele Serbien und Bosnien.
So seien zurzeit 58 Pflegekräfte aus dem Balkan in den Betrieb eingebunden. „Rechnet man das Personal aus der Vergangenheit und des laufenden Jahres zusammen, werden damit bis zum Jahresende 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Prozess zur Anerkennung und Verbleib in Deutschland betreut“, berichtet Janitschek. Dabei sei jede Berufsgruppe vertreten, vom Arzt bis zum Azubi.
Mit diesem Konzept der Personalgewinnung kann das Klinikum Vest vier positive Effekte erzielen: Auszubildende und Fachkräfte erhalten in Deutschland eine langfristige Berufsperspektive, die Arbeitslosenquote im Heimatland wird gesenkt, das Unternehmen verbessert seine eigenen Zukunftschancen und trägt somit zur Stabilisierung des Gesundheitssektors der Region bei. Die Rechnung gehe allerdings nur mit einem gelungenen Onboarding auf, also der Eingliederung der neuen Mitarbeitenden, betont Janitschek. Er hat dabei, neben der fachlichen, vor allem die soziale und kulturelle Integration im Blick. “Wir haben in den 60ern den Fehler gemacht, Fachkräfte zu holen, und sie dann sich selbst zu überlassen, deshalb sind Parallelgesellschaften entstanden“, ist er überzeugt. Deshalb schafft das Klinikum Vest systematisch Rahmenbedingungen, damit die Verstärkung aus dem Ausland gut ankommt in Betrieb und Gesellschaft – so wie die Kollegin, die jetzt Mitglied der Klassenpflegschaftssitzung ist. „Deutscher wird es nicht mehr“, sagt Janitschek mit einem Augenzwinkern.

Ein Vorgang, elf Behörden

Integration sieht er generell als Prozess, der permanent läuft, und deshalb gut organisiert werden muss. Er selbst nimmt diese Aufgabe im Zusammenspiel mit den Onboarding-Teams aus den verschiedenen Arbeitsbereichen des Klinik-Verbundes wahr. Mit welchen konkreten Angeboten und Instrumenten aber macht das Unternehmen neuen Mitarbeitenden das Leben leichter?
  • Es bietet eine unbefristete Unterkunft an.
  • Feste Ansprechpartner auf den Stationen leisten bei Fragen und Problemen „Erste Hilfe“.
  • In einem wöchentlichen „Worldcafé“ wird geklärt, was noch der Lösung bedarf.
  • Die Sprechstunde ist Anlaufpunkt, wenn weitergehende Hilfe erforderlich ist.
  • Drei Handbücher helfen, die Integration auf Kurs zu halten – in Praxis, Pflegeschule und außerhalb des Betriebs.
  • Die Kliniken haben ein Konzept zur betrieblichen Sozialarbeit, etwa für das Konfliktmanagement.
  • Mit der Familienzusammenführung wird die Bindung zu Unternehmen und Region gestärkt.
  • Im Zuge von Ausflügen lernen die neuen Kolleginnen und Kollegen die Region schnell kennen und schätzen.
  • Interessen und Hobbys werden abgefragt, auf Wunsch klopft Janitschek beispielsweise beim Sportverein an.
  • Er kümmert sich um Kurse, damit Sprachbarrieren weiter abgebaut werden.
  • Die Pflegeschule hat eigens einen Deutschlehrer eingestellt.
  • Die fachlichen Qualifikationen sind für die Kliniken ein Heimspiel: Die Pflegeschule vermittelt Theorie, auf den Stationen folgt die Praxisanleitung.
Eine Nachschulung der Neuankommenden sei auch nach positivem Abschluss des Anerkennungsverfahrens oft geboten, weil die Pflegeausbildung in den Heimatländern etwas andere Schwerpunkte lege, als in Deutschland üblich, berichtet Pflegedienstleiterin Katharina Hellermann.

Auch deshalb habe der Klinikträger die „Zentrale Praxisanleitung“ eingerichtet – ein Team erfahrener Fachkräfte, das Auszubildende und Fachkräfte aus dem Ausland auf den Stationen unterstützt. Die international unterschiedliche Auslegung der Pflegeausbildung hält auch Janitschek auf Trab. „Größte Herausforderung ist die Gleichwertigkeitsprüfung ausländischer Abschlüsse, da viele Originale und notarielle Beglaubigungen vorgelegt werden müssen, aber ausländische Übersetzer und Honorarkonsulate nicht anerkannt werden“, berichtet der gelernte Betriebswirt und Pädagoge. Elf verschiedene Behörden seien in Deutschland an der Anerkennung einer Fachkraft beteiligt.
„Gäbe es im Inland eine einzige zentrale Stelle, die wir in allen Belangen ansteuern könnten, wäre das ein Game-Changer“, nennt Janitschek den für ihn wichtigsten Ansatzpunkt der Prozessverbesserung. In manches Verfahren, das sich einem abschlägigen Bescheid entgegenzuneigen schien, hat der gebürtige Bochumer noch hineingegrätscht und mit Argumenten und Dokumenten das Blatt gewendet. „Wenn es darauf ankommt, schicken wir eine Urkunde innerhalb von 24 Stunden um die ganze Welt“, sagt Janitschek.

100 Prozent bleiben

Pädagogen der Pflegeschule unterstützen ausländische Fachkräfte bei der Integration: (v.l.) : Schulleiter Dennis Martach, Andrea Leitner, Lena Zudnochowski und Jens Borchwald. © Klinikum Vest
Der Integrationsmanager ist überzeugt, dass die meisten Kräfte, die im Ausland angeworben wurden, das Klinikum langfristig verstärken. „Wer Deutsch gelernt hat und als Fachkraft anerkannt ist, bleibt auch“, ist er sicher und verweist auf eine Verbleib-Quote am Standort Recklinghausen von 100 Prozent. Es sieht also danach aus, als könne der Klinikträger den Fachkräftemangel mit Verstärkung aus dem Ausland bis zu einem gewissen Grade abfedern. Weil öffentliche Ausschreibungen im Ausland oder Social Media Kampagnen laut Janitschek zu einer „immens hohen Zahl“ an Bewerbungen führten, hat die Klinik die Anforderungsprofile noch weiter geschärft und setzt vor allem auf die Kooperation mit den Arbeitsagenturen in den Ländern vor Ort. Janitschek, der auch die Refinanzierung der Prozesse zur Anwerbung und Integration managt, empfiehlt allen Unternehmen, mit dem Arbeitgeberservice der Agentur für Arbeit Kontakt aufzunehmen, um im Beratungsgespräch das große Angebot an Fördermöglichkeiten abzuklopfen. Kleineren Unternehmen schlägt er vor, gemeinsam ein betriebsübergreifendes professionelles Integrationsmanagement auf die Beine zu stellen.