04. September 2024
Wie Deutschland wieder in Schwung kommt
Münsterland/Emscher-Lippe-Region. - Die wirtschaftspolitische Unsicherheit ist groß, die Investitionsneigung klein, ein Aufschwung ist nicht in Sicht. Wie Deutschland zurück zu mehr Wachstum findet, darum ging es beim 2. Konjunkturforum der IHK Nord Westfalen in Münster. IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Fritz Jaeckel begrüßte dazu den Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Dr. Holger Schmieding, und Prof. Manuel Rupprecht, Dekan der Münster School of Business. Moderiert wurde die Onlineveranstaltung von der FAZ-Wirtschaftsredakteurin Heike Göbel.
Live im Studio: Prof. Manuel Rupprecht (l.) und Dr. Fritz Jaeckel diskutierten mit Moderatorin Heike Göbel und Dr. Holger Schmieding, die beide aus Frankfurt zum 2. Konjunkturforum der IHK Nord Westfalen zugeschaltet waren.
© Stein/IHK
„Zu viel Rente mit 63, zu wenig Angebotspolitik“, kritisierte Schmieding pointiert und führte seine Sicht näher aus. Es brauche weniger Steuern, Regulierung und Rentengeschenke, dafür mehr Standortpolitik, um Deutschland wieder wettbewerbsfähig zu machen, meinte er und sprach die Herausforderungen an: Die Nachfrage im In- und Ausland sei schwach, China mehr Risiko als Lösung, der Mangel an Arbeitskräften eine weitere Wachstumsbremse. Seine Rezepte dagegen: Zuallererst, sozusagen als Basis, brauche es eine leistungsfähigere öffentliche Verwaltung mit schnelleren Verfahren und mehr jungen, digital gebildeten Mitarbeitern. Mehr Anreize für Arbeit müsse es geben: Rentner sollten steuerfrei hinzuverdienen dürfen, Langzeitarbeitslose steuerliche Anreize zur Arbeitsaufnahme bekommen. Das Renteneintrittsalter sollte langfristig steigern, meinte Schmieding. Und auch Arbeitskräfte aus dem Ausland seien notwendig: Eine „rationale Einwanderungspolitik“ hielt er für geboten, die „gleichzeitig offen und kontrolliert“ sei.
Niedrige Unternehmenssteuern oder eine reformierte Gewerbesteuer kosteten den Staat zwar zunächst Geld, steigerten aber mittelfristig die Einnahmen. Eine modernisierte Schuldenbremse solle Investitionen in Infrastruktur, aber auch in Rüstung ermöglichen. Und auch die Energiepolitik nahm sich der Chefvolkswirt vor: Das Emissionshandelssystem sollte ausgeweitet und über Fracking in Deutschland nachgedacht werden. Immerhin 15 Prozent des Bedarfs an Gas könnte damit gedeckt werden.
Von einer Zeitenwende in der Weltwirtschaft sprach anschließend Rupprecht. Seit 15 Jahren nehme der Protektionismus zu. Die Welthandelsorganisation sei quasi handlungsunfähig. „Deutschland ist davon durch seine starke internationale Verflechtung besonders betroffen“, erläuterte der Volkswirt von der FH Münster. 25 Prozent der Stellen hingen vom Export ab, allein im Münsterland seien rund 85.000 Jobs betroffen, rechnete er vor. Wie darauf reagieren? Rupprecht riet zu einer Steuerreform und einer Stärkung des EU-Binnenmarkts – Polen ist längst ein wichtigerer Handelspartner als China. Und weil das internationale Geschäft auch außerhalb der EU wichtig bleibt, sollte Deutschland bilaterale Handelsabkommen abschließen.
Einiges machte Mut: Die Lage sei weniger schlecht als die Stimmung, meinte Schmieding. Für ihn ist der Mittelstand Deutschlands Stärke und Deutschland der „Weltmeister der hidden champions“. Damit das so bleibt, muss Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Hier zeigte sich Jaeckel durchaus optimistisch: „Durch die enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik werden wir die Lösungen finden, die unser Land braucht“, meinte der IHK-Hauptgeschäftsführer. Der Strukturwandel sei zu bewältigen – „auch wenn es ein schmerzhafter Prozess werden wird“.
Analysen zur Konjunktur in Nord-Westfalen sind online abrufbar. Die Vollversammlung der IHK Nord Westfalen hat in einem Positionspapier eigene Vorschläge mit Impulsen für neues Wachstum vorgelegt.