14. Oktober 2024

Nicht alle Städte auf Vorkrisenniveau

IHK ermittelt Passantenfrequenzen in Mittelzentren
Münsterland. – Die Kundinnen und Kunden halten sich weiterhin beim Konsum zurück und der Onlinehandel gewinnt an Bedeutung: Diese Entwicklungen schlagen sich in den Besucherzahlen in den Mittelzentren der Region nieder. Sichtbar wird das in den Ergebnissen der Passantenfrequenz-Messungen in 32 Städten in Münsterland und in der Emscher-Lippe-Region, die die IHK Nord Westfalen jetzt ausgewertet hat. „Nicht alle Standorte konnten zu den Frequenzen der Vorkrisenjahre 2020 und 2022 zurückkehren“, erklärt Christoph Berger, Vorsitzender des IHK-Handelsausschusses. Er spricht insgesamt von einer „Stabilisierung auf einem neuen Normal-Niveau“ in den meisten Städten.
Seit 2014 erhebt die IHK alle zwei Jahre die Passantenfrequenzen, um langfristige Trends zur Anziehungskraft der Innenstädte zu ermitteln. 2020 und 2022 waren dabei Rückgänge zu verzeichnen, vor allem durch Corona-Pandemie, Russlands Angriff auf die Ukraine und die steigende Inflation. Von diesen Verlusten erholen sich die Zentren unterschiedlich gut. Eine Folgerung, die Berger daraus zieht: „Der Handel bleibt ein wichtiger Frequenzbringer, aber er ist nicht mehr der einzige.“ Hinzu kämen Gastronomie, Dienstleistung, Kultur und Freizeit. „Wir brauchen Atmosphäre, Aufenthaltsqualität und eine attraktive Nutzungsmischung.“ Gerade Mittelstädte könnten mit schneller Erreichbarkeit, kurzen Wegen und einem vielfältigen Angebot punkten.
Die meisten Passanten im Münsterland wurden mit über 1.900 im Schnitt an den Samstagen in der Zeit von 11 bis 12 Uhr in der Neustraße in Bocholt gezählt, das damit im langfristigen Trend seit 2014 liegt. Rheine kommt im Messbereich Emsstraße auf 1.745, Coesfeld an der Letter Straße auf 1.353 und Ahlen an der Oststraße auf 1.310 Besucherinnen und Besucher.
Ein Beispiel dafür, wie sich ein neuer Nutzungsmix positiv auswirkt, liefert Vreden in der Kategorie der Mittelzentren bis 30.000 Einwohner. Die Stadt setzte unter anderem auf die Ansiedlung von Gastronomiebetrieben. Im Messbereich in der Wüllener Straße wurden an den acht Donnerstagen jeweils von 15 bis 16 Uhr im Schnitt je 279, an den acht Samstagsterminen je 252 Besucherinnen und Besucher gezählt – dies ist deutlich mehr als der Mittelwert der Messungen seit 2014, der bei um die 215 Passanten liegt.
„Wir haben seit 2021 den Leerstand in der Innenstadt konsequent reduziert“, erläutert Citymanager Jörg Lenhard. Dabei habe auch das „Sofortprogramm zur Stärkung unserer Innenstädte und Zentren in Nordrhein-Westfalen“ des Landes geholfen, ergänzt Vredens Bürgermeister Dr. Tom Tenostendarp. Außerdem blickt die städtische Wirtschaftsförderung über die Grenze: Die 2022 gestartete Imagekampagne auch in niederländischer Sprache habe zu einer kontinuierlichen Steigerung der Besuche geführt. Das klare Ziel: Vreden soll als attraktiver Ort für Freizeitgestaltung positioniert werden.
In anderen Innenstädten, vor allem in der Emscher-Lippe-Region, ist ein Wandel im vollen Gange. Dies führe kurzfristig zu sinkenden Frequenzen, stellt Christian Paasche, Handelsreferent der IHK Nord Westfalen, fest. Die betroffenen Städte steuern aber gegen diesen Trend an. Ein Beispiel ist Gelsenkirchen, wo an den acht Donnerstagen an der Bahnhofstraße über 2.000 Besucher und an den Samstagen rund 1.600 Passanten gezählt wurden – dies sind weniger als selbst im Krisenjahr 2022. Mit Saturn, Primark und Kaufhof haben allerdings gleich drei Kundenmagnete die City verlassen. Der Blick geht aber nach vorn: „Hier loten die Innenstadtakteure neue Entwicklungschancen für betroffene Großimmobilien aus“, erläutert Wirtschaftsförderin Dr. Uta Willim.
Auch in Bottrop stehen Veränderungen an. „Die geplante Entwicklung der ehemaligen Karstadt-Immobilie durch einen Bottroper Investor wird neue Impulse für die Hansastraße bringen“, erklärt Wirtschaftsförderin Dorothee Lauter. Zusätzlich arbeitet die Stadt intensiv an einem Integrierten Städtebaulichen Entwicklungskonzept, um nicht nur den öffentlichen Raum zu verbessern, sondern auch die Wohn- und Arbeitsbedingungen. Mit dem privaten Investment und den öffentlichen Maßnahmen solle dem Rückgang der Passantenfrequenz an der Hansastraße, die im Vergleich zum Durchschnitt seit 2014 um 20 Prozent gesunken ist, entgegengewirkt werden, erklärt sie.
Stärkste Standorte im Kreis Recklinghausen sind Gladbeck an der Hochstraße mit durchschnittlich 1.880 Passanten an den Samstagen und Castrop-Rauxel, Am Markt, mit 1.423 Passanten sowie Dorsten, Recklinghäuser Straße mit 1.308 Passanten, ebenfalls an den Samstagen.
Mit der aktuellen Zählung hat die IHK einige Neuerungen eingeführt, die die Aussagekraft der Messergebnisse künftig weiter erhöhen. Während bis einschließlich 2022 jeweils in einer Stunde an einem Donnerstag und einem Samstag die Besucherinnen und Besucher gezählt wurden, fließen seit diesem Jahr erstmals die Daten von insgesamt 16 Terminen pro Zählstandort ein. Dazu wurden nun GPS-Bewegungsdaten genutzt.
Neben den Ergebnissen der jeweils einstündigen Messungen, die wegen der besseren Vergleichbarkeit zu den Vorjahren für die Auswertung herangezogen wurden, hat die IHK nun auch den Tagesfrequenzverlauf ermittelt. „Damit bilden wir die oft deutlichen Verschiebungen innerhalb eines Tages ab, die eine Folge flexiblerer Arbeitszeiten und von Homeoffice sind“, erläutert IHK-Handelsreferent Paasche. Trotz dieser gesellschaftlichen Entwicklungen bleibe der Samstag zwar wichtigster Einkaufstag. „Die Tage unter der Woche werden aber immer beliebter“, stellt er fest.

Hintergrund

Die IHK setzt sich für den Erhalt lebenswerter Zentren ein. Mit dem Positionspapier „Innenstadtentwicklung 2024“, dem Strategiepapier „Zukunft Handel“, den handelspolitischen Positionen sowie der Kampagne „Das Gute findet Innenstadt“ trägt die IHK dazu bei, dass Nord-Westfalen ein starker Wirtschaftsstandort mit attraktiven Innenstädten und lebendigen Ortskernen bleibt. Im aktuellen IHK-Positionspapier zur Innenstadtentwicklung sind sieben Handlungsfelder benannt, an denen Politik, Verwaltung und Innenstadtakteure auf dem Weg zur kundenorientierten Innenstadtentwicklung gemeinsam arbeiten müssen.