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Niederbayerns Versorgungssicherheit auf dem Prüfstand
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Spätestens 2022 geht das Kernkraftwerk Isar 2 vom Netz, 2038 kommt der Ausstieg aus dem Kohlestrom – so lautet zumindest der aktuelle Plan. Gleichzeitig steigt der Anteil der Stromerzeugung aus „grünen“, aber schwankenden erneuerbaren Energien und es ergeben sich neue Anforderungen etwa aus Elektromobilität oder elektrifizierter Wärmeversorgung – eine Herausforderung für das Stromnetz. Ist angesichts dieser Entwicklungen die Versorgungssicherheit (nicht barrierefrei, PDF-Datei · 2797 KB) in Niederbayern auch in Zukunft gesichert? Bekommt der Industriestandort Niederbayern die Leistung, die er braucht, um wirtschaftlich arbeiten zu können? Diese Fragen hat sich die IHK Niederbayern gestellt – Antworten gibt in ihrem Auftrag die „Forschungsgesellschaft für Energiewirtschaft“ aus München in einem Gutachten.
Besonders interessiert daran ist die niederbayerische Industrie, die als wichtigster Wirtschaftsfaktor für einen Anteil von 43 Prozent an der Wertschöpfung sowie für über 134.000 Arbeitsplätze in der Region steht. Andreas Buske, Vorstandsvorsitzender der Zwiesel Kristallglas AG und Vorsitzender des IHK-Fachausschusses Industrie, fasst das Ergebnis der Untersuchung zusammen: „Wenn die Politik alle Planungen und Versprechen einhält, wenn der Netzausbau schnell voranschreitet und wenn mehr Strom aus den Nachbarländern importiert werden kann – dann und nur dann ist die Versorgungssicherheit in Niederbayern 2030 und darüber hinaus gesichert. Wenn alles richtig läuft, dann schaffen wir die Wende in der Stromversorgung. Die Industrie steht dabei an der Seite der Politik. Versorgungssicherheit und Abhängigkeit vom Ausland widersprechen sich nach Meinung des Industrieausschusses allerdings; wir sehen dies bereits beim Erdgas.“
Die Ausgangslage, die das Gutachten skizziert, klingt zunächst komfortabel: Momentan hat Niederbayern dank des Kernkraftwerks einen deutlichen Exportüberschuss im Strommarkt. Doch das wird sich ändern, der Austausch mit den Nachbarn wird bis 2030 deutlich ansteigen. Unter anderem wegen der starken Bedeutung der Photovoltaik wird die Region in Zukunft in der Summe zwar immer noch mehr Strom exportieren als von außen zuführen. Übers Jahr gesehen überwiegen aber trotzdem die Tage, an denen von den Nachbarländern Strom hinzugekauft werden muss (überwiegend aus Österreich). Diese auf den ersten Blick paradoxe Situation tritt besonders deutlich in einer typischen Winterwoche ein, in der die Photovoltaik nur noch wenig Leistung liefert, Industrie und Privathaushalte aber ausgerechnet den höchsten Strombedarf haben.
„Erstens darf sich in unseren Nachbarländern als Stromlieferanten bei der Energiepolitik nichts Gravierendes ändern. Und zweitens ist der Ausbau des Übertragungsnetzes unabdingbare Grundvoraussetzung für die Versorgungssicherheit“, lautet Buskes Schlussfolgerung zu den Ergebnissen des Stromversorgungsgutachtens. Der IHK-Fachausschuss Industrie fordert daher – in Einklang mit verabschiedeten Positionen der IHK Niederbayern – einen schnelleren und umfassenden Netzausbau. „Die Industrieregionen im süddeutschen Raum sind auf die geplanten Stromtrassen von Nord nach Süd besonders angewiesen. Die Klagewelle gegen diesen Ausbau ist bereits angelaufen. Laufende Proteste und Initiativen sowie nicht zuletzt langwierige Planungsverfahren lassen bezweifeln, dass der Zeitplan eingehalten werden kann“, befürchtet Buske.
Wichtig sei ihm wie den Kollegen aus dem Fachausschuss auch, was die Forschungsgesellschaft für das Gutachten nicht untersucht hat, nämlich den Faktor Netzstabilität. Buske kann hier auf Erfahrungen aus dem eigenen Unternehmen verweisen: „Spannungsspitzen, Schwankungen oder Kurzunterbrechungen der Stromversorgung sind in einem Privathaushalt nicht zu spüren. Vor allem für empfindliche Industrieanlagen sind sie aber sehr kritisch. Bei Zwiesel Kristallglas verzeichnen wir bereits jetzt 120 bis 130 Stromunterbrechungen pro Jahr, von denen über ein Drittel im kritischen Bereich liegt. Wenn dann durch den deutlichen Abfall der Netzspannung Versorgungseinrichtungen ausfallen, dürfen wir buchstäblich die Scherben zusammenkehren.“