Interview IHKplus | Ausgabe 03.2023

Wo sind die Grenzen des Protests?

Immer häufiger versuchen Interessengruppen, mit teils gewalttätigen Protesten ihre Meinung durchzusetzen. Zu dieser Entwicklung haben wir NRW-Innenminister Herbert Reul befragt.
Es gibt immer wieder Situationen, in denen demokratisch beschlossene Aktionen (wie zum Beispiel in Lützerath) von der Polizei gegen Proteste durchgesetzt werden müssen. Wo sind aus Ihrer Sicht die Grenzen des Protests erreicht?
Wo die Grenzen von Protest sind, sehen wir bei Teilen der Klimaschutzbewegung. Das Grundgesetz garantiert allen das Recht, sich friedlich zu versammeln. Jedermann darf seine Meinung zu allem und jedem kundtun – Stichwort: Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit. Aber die Logik darf nicht sein: je radikaler, desto überzeugender.
Festkleben und stundenlange Sitzblockaden auf Straßen überschreiten den Rahmen von legitimem Protest.
Zu selten geht es da um die Sache und zu oft um Erpressung und um Aufmerksamkeit. In dem Moment, wo mutwillig die öffentliche Ordnung gestört wird, vermeintlicher ziviler Ungehorsam weit übers Maß hinaus zelebriert wird, reden wir von Straftaten. Da hört der Spaß auf.
Wie ist die allgemeine Entwicklung bei Protesten zu bewerten? Sind diese gewalttätiger geworden?
Protest hat in jedem Fall an Lautstärke und Vehemenz dazugewonnen. Soziale Medien funktionieren wie Lautsprecher; multiplizieren die Botschaften und Bilder der Demonstranten in die Welt hinein. Ob Klimaschutz, Friedensmärsche oder die Demos gegen die Corona-Schutzmaßnahmen, wie sie vor zwei Jahren aus dem Boden sprossen: Gründe, um zu demonstrieren, gibt es heute offensichtlich genug. Protest ist gut und richtig und gehört zu unserer Demokratie wie das Amen in der Kirche.
Aber leider führen diese neuen, radikaleren meist unangemeldeten Protestformen auch dazu, dass mehr über den Protest gesprochen wird als über das Anliegen selbst. Stichwort: Klebstoff. Aber Fakt ist auch: Tagtäglich finden viele friedliche Versammlungen im Land statt. Zu Straftaten wie Sachbeschädigung oder Landfriedensbruch kommt es nur bei einem Bruchteil davon. In solchen Fällen schreitet unsere Polizei konsequent ein.
Stehen Unternehmen verstärkt im Fokus der Protestaktionen?
Unternehmen stehen nicht mehr im Fokus von Protestaktionen als früher. Aber die Menschen schauen sich heute die Firmen und deren Firmenpolitik genauer an. Für was steht das Unternehmen? Wo wird produziert? Womit wird da das große Geld verdient? Manche Unternehmen geraten dann besonders in den Fokus der Demonstranten, wie bei der Räumung von Lützerath.
Wie haben sich die Extremismusbereiche in NRW in den letzten Jahren verändert?
Der Rechtsextremismus mit seiner menschenverachtenden Ideologie ist weiterhin die größte extremistische Bedrohung für unsere Demokratie. Doch die Gefahren für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung kommen aus allen Richtungen – hier ist der Islamismus zu nennen, aber auch Spionage und Cyberangriffe sind aktuell Bedrohungen. Das passiert meist hybrid als Desinformation und Propaganda, in Form von Spionage, durch Cyberangriffe auf unsere kritische Infrastruktur, durch Staatsterrorismus und durch illegale Technologiebeschaffung.
Der Verfassungsschutz beobachtet, dass sich Extremismus heute deutlich weniger als solcher zu erkennen gibt. Das heißt, unsere Verfassungsschützer müssen doppelt hinschauen: Geht es bei der Spendensammlung wirklich um die Erdbebenopfer in der Türkei, oder geht es auch darum, mit den Einnahmen Propaganda für Salafisten zu finanzieren? Wer mischt sich unter die neuen Friedensdemos auf unseren Straßen? Das sind zunehmend auch Delegitimierer des Staates, die Bürgerinnen und Bürger für ihre Anliegen instrumentalisieren. Das fordert unsere Sicherheitsbehörden heraus, die diese Entwicklungen nicht aus den Augen lassen werden.
Zur Person: Herbert Reul
1952 in Langenfeld geboren, entdeckte Herbert Reul erst nach dem Abitur sein Interesse für die Politik und engagierte sich in der CDU-Jugendorganisation Junge Union. Nach seinem Lehramtsstudium arbeitete er zunächst als Studienrat in Wermelskirchen. Seit Mitte 2017 ist Reul Minister des Innern in Düsseldorf. Zuvor war er als Europa-Abgeordneter der CDU 13 Jahre lang in Brüssel tätig. Herbert Reul hat seinen Wahlkreis im Rheinisch-Bergischen Kreis und lebt in Leichlingen.
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