Ehrenamt: Frischer Wind und Klartext
Acht Fragen an Dr. Nicole Grünewald, IHK-Präsidentin und geschäftsführende Gesellschafterin der The Vision Company Werbeagentur GmbH
1. Wirtschaft oder Politik?
Ich bin Unternehmerin und das jeden Tag sehr gerne! Zur IHK bin ich durch Zufall gekommen. Als ich meine Werbeagentur mit meinem Geschäftspartner gegründet habe, war ich 25 Jahre alt. Meine Freundinnen und Freunde haben noch studiert oder waren angestellt. Eine Firmengründung brachte viele Herausforderungen mit sich – und ich wollte mich dazu mit anderen austauschen. In der damaligen IHK-Zeitschrift gab es einen Artikel über die Wirtschaftsjunioren. Das erste Treffen fand in der IHK Köln im Juniorenzimmer in der vierten Etage statt. Da bin ich mit dem Paternoster hingefahren – und der Austausch war klasse.
Ich habe als Unternehmerin viel gelernt, wir haben uns gemeinsam für die Wirtschaft und für unsere Region eingesetzt, Veranstaltungen organisiert, einen Förderpreis gegründet. Das waren tolle Erfahrungen, und mit vielen damaligen Wirtschaftsjunioren bin ich bis heute befreundet.
Von den Junioren ging mein Weg in die Vollversammlung und direkt ins Präsidium. Da war ich dann mittendrin, statt nur dabei. Ich kenne mittlerweile viele Politikerinnen und Politiker persönlich, und ich finde ihren Einsatz für die Gesellschaft gut. Doch allzu oft geht es um Parteitaktik und Posten. Die IHK ist die Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik und damit das Beste aus beiden Welten. Denn bei uns stehen die Themen im Vordergrund.
2. Agentur oder IHK?
Ein klares „und“. Denn das ist Sinn der Sache! Laut IHK-Gesetz kann man nur Präsident oder Präsidentin einer IHK werden, wenn man ein Unternehmen führt. Die Arbeit in meiner Agentur mit meinem Team macht mir auch nach 25 Jahren nach wie vor unglaublich viel Freude.
Wir haben Top-Kunden, dazu gehören Kölner Institutionen wie der Kölner Dom, die Köln-Düsseldorfer Deutsche Rheinschiffahrt, die Kölner Feuerwehr und das Kölner Kammerorchester – und natürlich auch bundesweit tätige wie die Aachener Wohnungsbau, ALBA, die GVV Versicherungen, das Bistum Essen, das Gemeinschaftswerk Evangelischer Publizistik oder der Sattelhersteller Passier. Wir sind also thematisch sehr breit und damit auch krisenfest aufgestellt – und ich habe tiefe Einblicke in ganz verschiedene Branchen.
Das hilft mir für meine Arbeit in der IHK als Interessenvertretung der gesamten Wirtschaft. Zeitlich ist es allerdings anspruchsvoll: Die IHK nimmt pro Woche etwa 30 Stunden für Veranstaltungen und Sitzungen in Köln und Berlin in Anspruch. Zum Glück habe ich ein tolles Agenturteam, mache beides sehr gerne und brauche nicht viel Schlaf!
3. Revolution oder Evolution?
Zur IHK-Wahl 2019 sind wir erstmals in der Geschichte der IHK Köln mit einer Wahlinitiative für frischen Wind in der IHK angetreten. Das hat für Irritationen gesorgt. Doch wir wollten keine Revolution, sondern eine Evolution. Alle aus unserer Initiative fanden die IHK als Idee gut, viele von uns waren hier ehrenamtlich aktiv.
Wir waren allerdings der Meinung, dass es bei der IHK Köln sehr viel Luft nach oben gab: Vieles fand hinter verschlossenen Türen statt, zu den Veranstaltungen kamen immer die gleichen Leute. Die Gremienunterlagen kamen per Post, die IHK hatte nur 1500 Mailadressen von 150.000 Mitgliedsunternehmen, es wurde mit Lotus Notes gearbeitet, Videokonferenzen gab es nicht, gewählt wurde ausschließlich per Briefwahl. Das Organigramm der IHK Köln umfasste sage und schreibe elf Seiten. Außerdem wollte die damalige IHK-Führung den Standort im Herzen Kölns aufgeben und stattdessen in ein reines Bürogebäude nach Mülheim umziehen. Politisch fand die IHK Köln nicht statt.
Wir haben also gemeinsam überlegt, was wir besser machen wollten: mehr Transparenz, mehr Digitalisierung, weniger Beiträge – und dass die IHK wieder eine starke, politische Stimme für unsere Unternehmen ist. Damit haben wir uns durchgesetzt. In der Rückschau war das dann doch eher eine Revolution.
4. Versprochen oder gehalten?
Ganz klar alles gehalten. Wir sind ein starkes Sprachrohr der Wirtschaft. Transparenz bestimmt unser Tagesgeschäft: Wir informieren multimedial über alles, was wir tun, und freuen uns über alle, die bei uns mitmachen wollen. Bei der Digitalisierung sind wir Lichtjahre weiter. Das war in der Pandemie auch dringend notwendig, wir wären sonst nicht mehr arbeitsfähig gewesen.
Wir setzen auf Office 365, Vollversammlungs- und Ausschusssitzungen sind grundsätzlich hybrid, es gibt digitale Arbeitsräume für unsere Gremien – und die Vollversammlungswahl wird erstmals auch digital angeboten. All das ermöglicht mehr Teilhabe und spart unterm Strich auch Geld. Was wichtig war, denn wir hatten ja auch geringere Beiträge versprochen. Dafür haben wir alle Ausgaben auf den Prüfstand gestellt und vieles besser organisiert. So konnten wir Anfang des Jahres die Beiträge für unsere Mitgliedsunternehmen um rund eine halbe Million Euro senken – und das in einer Zeit steigender Kosten.
5. Teamwork oder Einzelkämpferin?
Immer Teamwork. Weil es gemeinsam mehr Spaß macht und erfolgreicher ist! In der Agentur – und natürlich auch in der IHK! Nach meiner Wahl zur Präsidentin hatte ich zum Glück von Anfang an ein Spitzen-Präsidium an meiner Seite. Mit einem kleinen Haken: Ich hatte ihnen gesagt, dass es bei der IHK Köln vier Präsidiumssitzungen pro Jahr gibt. Dann kam direkt nach unserer Wahl die Pandemie, wir haben uns vom damaligen Hauptgeschäftsführer getrennt – und es gab sehr viele Herausforderungen. Wir haben uns dann einmal pro Woche per Videokonferenz zusammengeschaltet und kamen damit auf vier Sitzungen pro Monat anstatt pro Jahr. Doch das hat uns zusammengeschweißt, und wir haben alle Hürden gemeinsam überwunden.
In der Vollversammlung hatten wir anfangs nur eine knappe Mehrheit. Doch durch unseren Einsatz konnten wir auch viele für unseren Weg gewinnen, die uns nicht gewählt hatten. Auch unsere neuen politischen Ausschüsse haben direkt von Anfang an sehr gut gearbeitet und Themen gesetzt. 2021 haben wir dann mit großer Mehrheit Uwe Vetterlein als neuen Hauptgeschäftsführer gewählt und mit ihm die neue Struktur, die wir im Ehrenamt schon gelebt haben, auch im Hauptamt umgesetzt.
Hierarchien und Doppelstrukturen wurden abgebaut, politische Schlagkraft gewonnen und unser Organigramm passt jetzt auf eine A4-Seite mit unseren drei Bereichen Aus- & Weiterbildung, Beratung & Service und Wirtschaft & Politik. Unsere Beschlüsse in der Vollversammlung haben im Durchschnitt 96 Prozent Zustimmung. Dazu gehören auch weitreichende Entscheidungen wie die, dass die IHK im Herzen Kölns am Börsenplatz bleibt und wir das Gebäude für 100 Millionen Euro modernisieren. Solche Beschlüsse werden nur gefasst, wenn Ehrenamt und Hauptamt einander vertrauen.
6. „Kammerton“ oder Klartext?
Früher gab es den sogenannten „Kammerton“, das heißt lange Stellungnahmen, Hintergrundgespräche und einmal pro Jahr eine kritische Rede beim Neujahrsempfang. Nun ging es der Wirtschaft auch jahrelang gut. Die Zeiten sind vorbei: Coronapandemie, Flutkatastrophe, Energiekrise, Überbürokratisierung, Fachkräftemangel – zurzeit haben unsere Unternehmen mit sehr vielen Herausforderungen zu kämpfen. Hier sind die IHKs als Sprachrohr der Wirtschaft wichtiger als je zuvor.
In der Pandemie und bei der Flutkatastrophe war die Politik unseren Ratschlägen gegenüber sehr aufgeschlossen. Doch seither hakt es. Die Energiekrise ist politisch befeuert worden, die Parteien agieren teilweise völlig willkürlich und ohne Rücksicht auf unsere Unternehmen. Natürlich führen wir auch Hintergrundgespräche, aber wenn Politik dann trotzdem in die falsche Richtung galoppiert und beispielsweise den Kohleausstieg-Konsens 2038 spontan wegen eines Parteitags um acht Jahre vorzieht, ohne einen Plan zu haben, wo ab 2030 bezahlbare Energie herkommen soll – dann äußern wir unsere Kritik deutlich. Wir haben zum Glück eine sehr mutige, meinungsstarke Vollversammlung und eindeutige Beschlüsse. Und die vertreten Uwe Vetterlein und ich klar nach außen. Das hat anfangs viele überrascht, weil man das von IHKs so nicht gewöhnt war. Es gab auch Gegenwind und persönliche Angriffe. Doch unsere Unternehmen wissen es zu schätzen, dass wir uns so für ihre Interessen einsetzen.
7. „Closed shop“ oder „open door“?
Die Türen der IHK Köln stehen weit offen – schon von Anfang meiner Amtszeit an. Wir freuen uns über alle, die sich für die Arbeit unserer IHK interessieren und bei uns mitmachen wollen. Die IHK ist eine Top-Institution und ein wichtiger Player im Spannungsfeld zwischen Politik und Wirtschaft – dabei sind wir auf Input durch unsere Mitgliedsunternehmen angewiesen.
Darüber hinaus sind wir ein Spitzen-Netzwerk für unsere Unternehmerinnen und Unternehmer. Wer wissen will, was wir alles tun und wo und wie man sich bei uns engagieren kann, erfährt dies auf den folgenden Seiten. Es lohnt sich auch, in unseren IHK-Podcast KammerSutra – aus Liebe zur Wirtschaft reinzuhören. Außerdem informieren wir über Instagram, Facebook und LinkedIn über unsere Arbeit, über die offiziellen Kanäle der IHK Köln und über meine Accounts.
Das Tagesgeschäft einer IHK hat sich stark verändert. Statt Pressemitteilungen und Stellungnahmen zu versenden, sind wir zu unseren Themen täglich multimedial im direkten Dialog mit den relevanten Playern aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Und an der Diskussion können sich alle beteiligen.
8. Fünf oder zehn Jahre?
Meine Amtszeit als Präsidentin dauert fünf Jahre. Laut Satzung ist eine Wiederwahl möglich. Wir haben in den vergangenen Jahren unglaublich viel angestoßen, und die Arbeit mit den Mitarbeitenden macht sehr viel Freude. Und auch, wenn der Change-Prozess gut läuft – der Wandel einer großen Institution wie der IHK Köln vollzieht sich nicht im Handumdrehen, und Stabilität ist mir sehr wichtig. Unser Umbauvorhaben ist auf einem sehr guten Weg, muss aber stringent umgesetzt werden.
Deshalb kandidiere ich im Oktober wieder für die nächste Vollversammlung, und wenn ich gewählt werde, für eine zweite Amtszeit als Präsidentin. Denn ich möchte mich auch in Zukunft mit viel Herzblut und Engagement für Köln und unsere Region einsetzen!
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Dr. Nicole Grünewald
Präsidentin