50. Sitzung der Regionalkonferenz der TechnologieRegion Karlsruhe

Ein Land der Gegensätze

„Ein Land im Stress.“ So sieht Rudolf Scharping das China des Jahres 2024. Über 150 Mal hat der ehemalige Bundesminister der Verteidigung und Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz a. D. unter anderem in seiner Funktion als Vorstand der RSBK Strategie Beratung Kommunikation AG die Weltmacht im fernen Osten besucht. Auf der 50. Sitzung der Regionalkonferenz der TechnologieRegion in der IHK Karlsruhe, die er auf Einladung des IHK-Außenwirtschaftsausschussvorsitzenden Robert W. Huber, besuchte, klärt Scharping auf.
„Nur rund elf Prozent unseres Exports gehen nach China. Warum also spricht man von Abhängigkeit? Warum machen wir uns so klein? Warum sagen wir, dass wir von China abhängig sind? Wenn schon, sind die Chinesen in demselben Maß abhängig von uns wie wir von ihnen.“ Sein Rat: „Wir sollten selbstbewusster auftreten, unsere Stärken nutzen und unsere Schwächen verringern.“
Um Stärken und Schwächen Chinas, um ein Land der Gegensätze, ging es auch in seinem Vortrag. Wirtschaftsgeschichtlich betrachtet habe dieses Land zwar einen Aufstieg hingelegt wie nie zuvor ein Land in der der (Wirtschafts-) Geschichte der Menschheit. China befinde sich dennoch in einem Zustand vergleichbar dem Frühkapitalismus. Es sei immer noch ein Land, in dem die Kluft zwischen Arm und Reich so groß ist wie fast nirgends sonst.
Ein Land im Stress, trotz allen Aufschwungs: „18 Prozent der unter 24-Jährigen sind arbeitslos. Junge Menschen mit Bachelorabschluss arbeiten als Bedienung, Masterabsolventen sind in der Lebensmittelzustellung tätig. Praktisch alle Provinzen erwirtschaften nicht das, was sie brauchen und sind auf Ausgleichsmaßnahmen angewiesen.“ Eine Ausnahme bilde lediglich Shanghai.
Scharping hob gleichzeitig die Innovationsstärke und die Technologieführerschaft hervor, die China zum ernsthaften Konkurrenten mache. Der enormen inneren Schwäche stehe die Rolle des unglaublichen Innovationstreibers gegenüber.
„Ein weiteres Problem: Das Land altert schneller als Folge der langjährigen Ein-Kind-Politik. Auch fehlt den Menschen das Vertrauen in die Regierung. Sie sind skeptisch hinsichtlich der Zukunft. Das Gleiche könnte man allerdings auch von uns sagen. In den nächsten zehn bis zwölf Jahren gehen in Deutschland 20 Millionen Menschen in Rente, zwölf Millionen wachsen nach und müssen den potenziellen Ausfall von über 15 Prozent unserer Leistungsfähigkeit ausgleichen. Das werden wir nur mit einer Mischung aus verschiedenen Lösungswegen, KI, Fachkräfteeinwanderung und Automatisierung schaffen.“
Außerdem bestehe ein enormer Investitionsbedarf in die Infrastruktur. „600 Milliarden Euro würde die Modernisierung benötigen. Wie stemmen wir das? Wir müssen, sonst haben wir keine Chance gegenüber Ländern, in denen man 1200 km in nur viereinhalb Stunden mit der Bahn zurücklege und das ohne Geruckel und Verspätungen.“ Auch was die Freihandelsabkommen betrifft, hätte Europa einiges verbockt.
Ja, China sei eine gewaltige Herausforderung. Man werde diversifizieren müssen. „Wenn wir uns nicht besser aufstellen, werden wir zum Korken auf der aufgewühlten See, der von den Launen der Welt hin- und hergeworfen wird.“
In einem kurzen Exkurs machte Scharping aber auch auf die Risiken aus dem Westen aufmerksam: „Sollte Trump erneut ins Amt kommen, werden wir schnell eine ganze Reihe von sehr schwierigen, eventuell bedrohlichen geopolitischen und geoökonomischen Problemen erleben. Wir haben nur dann eine Chance, wenn wir das europäische Bein deutlich stärken, um eine regelbasierte Weltordnung einigermaßen erhalten zu können.“

Chinesische Puzzlestücke

Frisch aus China zurückgekehrt war auch Volker Hasbargen, 1. Vizepräsident der IHK Karlsruhe. In einzelnen Puzzlestücken, aufgesammelt bei seinen zwei bis vier jährlichen Chinareisen, ließ der Großhändler an seinen ganz persönlichen Eindrücken teilhaben. Hasbargen sprach von Pragmatismus, von Mopeds, die einfach mal in E-Mopeds umgebaut werden, um den Smog zu reduzieren, der teilweise für eine Sicht von unter 50 Metern sorge. Er erzählte von der krassen Digitalisierung, der Verbannung von Bargeld, dem ständigen Fotografiertwerden, vom chinesischen WhatsApp, das die E-Mails ersetzt habe und bei der Antworten unmittelbar erwartet werden. Von riesigen Verpackungsbergen, die bei einer einzigen Tasse Bubble Tea entstehen und die für Jobs in Sachen Mülltrennung im Niedriglohnsektor sorgen.
Abtreibung werde heute verhindert, wo sie früher gefördert wurde, Frauen gehen mit 50 in Rente, Männer mit 60. Alt werden möchte man nicht in einem Land, in dem die Familie ihre Verwandten selbst im Krankenhaus pflegen muss. Er erzählte von ganz neuen Vertriebswegen. „Influencer greifen sich einen Gegenstand auf einer Messe, bewerben ihn 20 Minuten lang und nehmen anschließend Bestellungen auf und kassieren die Provision.“ Ein spannendes Kaleidoskop von Widersprüchlichkeiten.

Baden-Württembergs Handelspartner

Auf den Boden der Tatsachen führte Johannes Jung, Leiter der Abteilung Strategie, Wirtschaftsrecht, Außenwirtschaft und Europa im Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg zurück. Er betrachtete die aktuelle Situation der Außenwirtschaft in Baden-Württemberg und warf dabei nur einen kurzen Blick in Richtung China, unserem noch immer wichtigsten Importmarkt, dem die USA als größter Exportmarkt gegenüberstehe. Wichtige Partner für das Ländle seien aber auch die Schweiz, Frankreich, UK und Polen. Zukunftschancen sieht Jung in Indien, Slowenien, aber auch der wachstumsstärksten ASEAN-Region, in Lateinamerika und im „Chancenkontinent Afrika“.

Blick in die Region

Den Blick aus der Ferne hin zu den derzeit wichtigsten regionalen Themen Mobilität, Energie und Bioökonomie lieferte Jochen Ehlgötz, Geschäftsführer der TechnologieRegion Karlsruhe GmbH. Er unterstrich das enorme wirtschaftliche Potenzial der Bioökonomie und erläuterte außerdem das Projekt H2iPort KA Mod, das die Karlsruhe Rheinhäfen zu einem Wasserstoffhub aufbauen soll. Dabei freute sich Ehlgötz über das am 22. Oktober 2024 beschlossene Wasserstoffkernnetz, in das eine Neubauleitung von Ludwigshafen bis Karlsruhe aufgenommen wurde. „Die Diversifizierung der Energieversorgung am Oberrhein ist uns ein wichtiges Anliegen. Daher arbeiten wir gemeinsam mit unseren deutschen und französischen Partnern an einem Konzept zur Bewerbung um das EU Clean Hydrogen Valley Programm 2025“. Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup betonte, dass die TRK ein ganz wichtiger Akteur in den Zukunftsfeldern grüner Wasserstoff und Bioökonomie sei. Zudem ist er stolz darauf, dass dieser freiwillige Zusammenschluss ohne staatliche Steuerung deutschlandweit zu einer der erfolgreichsten regionalen Zusammenschlüsse zählt.
Die wirtschaftliche Situation im IHK-Bezirk, präsentierte IHK-Präsident und Vorsitzender der Regionalkonferenz, Wolfgang Grenke als äußerst deprimierend: „Laut der aktuellen Konjunkturumfrage hadern vier von zehn Unternehmen mit den politischen Rahmenbedingungen und überbordenden Regularien.“ Davon kann Vizepräsident Hasbargen ein Lied singen. Und, um noch einmal auf China zurückzukommen: „Für die Werkbank der Welt sei Europa mit seiner Bürokratie und den Glitzerverordnungen und Topflappen, die zu Sicherheitskleidung zählen, nicht mehr sexy“, so der Großhändler.