Rechtliche Fragen zum Brexit
Update zum Abkommen zwischen der EU und dem UK: Am 24. Dezember 2020 haben sich die Unterhändler der EU und des UK auf einen Vertragsentwurf geeinigt. Da die Zustimmung der Staats- und Regierungschefs und der Parlamente noch bevorsteht, ist der Vertragstext noch nicht endgültig. Ausführlichen Informationen über das vorläufige Abkommen können Sie hier aufrufen. Die Europäische Kommission hat über das Europe-Direct-Kontaktzentrum einen zentralen Service für alle Fragen im Zusammenhang mit den künftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich eingerichtet. Über diese Kontaktstelle können Unternehmen ihre Fragen kostenlos per Telefon (00 800 6 7 8 9 10 11) oder per E-Mail (Webformular) stellen, in allen 24 EU-Sprachen.
Unternehmen aus dem Vereinigten Königreich und in Deutschland haben zahlreiche vertragliche Beziehungen über die Ländergrenzen hinweg. Der Brexit wird erhebliche Auswirkungen auf bestehende und neu abzuschließende Verträge haben.
Betroffen sind Vertragsregelungen beispielsweise zum Gerichtsstand und das anwendbare Recht ebenso wie vertragstypspezifische Fragestellungen zu Kauf- und Lieferverträgen oder auch Handelsvertreterverträgen.
Vertragsregelungen
Abgeschlossene Verträge sind nach dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ einzuhalten. Der Brexit wird den Vertragsparteien allerdings viele Neuerungen und vertragliche Änderungen bringen. Besonders bei Kauf- und Lieferverträgen werden möglichweise nach Ende der Übergangsphase wieder Zölle anfallen. Fehlt aber eine Regelung zur Kostentragung im Hinblick zum Beispiel auf Zölle, weil eine ausdrückliche einzelvertragliche Regelung fehlt oder keine Incoterms® 2020-Klausel vereinbart wurde, muss über eine Vertragsanpassung bei der Kostenregelung oder Änderung der Incoterms® 2020-Klausel nachgedacht werden. Zudem ist fraglich, was bei bestehenden Verträgen mit solchen unzumutbaren Kosten gemacht werden kann, wenn der Vertrag unter diesen Voraussetzungen nicht geschlossen worden wäre. Sofern die Auswirkungen auf die Kostenbelastung bedeutsam sind, kann eine „Störung der Geschäftsgrundlage“ in Betracht kommen und einen Anspruch auf Vertragsanpassung oder auch die Möglichkeit eines Rücktritts vom Vertrag gemäß § 313 BGB auslösen. An die Stelle des Rücktritts würde bei Dauerschuldverhältnissen die Möglichkeit einer vorzeitigen Vertragskündigung gemäß §§ 313 Absatz 3 Satz 2, 314 BGB treten. Bei zukünftig abgeschlossenen Verträgen ist es grundsätzlich einfacher: Man kann die Vertragsgestaltung anpassen und auch eine ausdrückliche Regelung treffen, wer letztlich eine etwaige Zollanmeldung vorzunehmen oder den finanziellen Aufwand für die Zollbelastungen zu tragen hat.
Handelsvertreterverträge
Die europäische Handelsvertreterrichtlinie 86/653/EWG wurde sowohl in Deutschland als auch im Vereinigten Königreich umgesetzt, so dass der Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen Anspruch auf Ausgleich oder Schadensersatz hat. Bei einem Brexit würde zwar das nationale britische Recht fortgelten, aber auch dann kann der Brexit Auswirkungen auf den Handelsvertreterausgleichsanspruch nach deutschem Recht haben. Das betrifft vor allem diejenigen Handelsvertreter, die ausschließlich im Vereinigten Königreich tätig sind. In Deutschland ist der Handelsvertreterausgleichsanspruch in § 89 b HGB geregelt. § 92 c HGB sieht dabei eine Öffnungsklausel für Handelsvertreter vor, die außerhalb der EU und dem Europäischen Wirtschaftsraum eine Tätigkeit ausüben. Hat der Handelsvertreter demnach seine Tätigkeit für den Unternehmer nach dem Vertrag nicht innerhalb des Gebietes der EU oder der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum auszuüben, so kann auch zum Beispiel hinsichtlich § 89 b HGB etwas anderes vereinbart werden. Das bedeutet, dass ein Handelsvertreterausgleichsanspruch für die Zeit nach dem Brexit sogar ganz ausgeschlossen werden könnte, wenn in dem Vertrag deutsches Recht vereinbart ist.
Rechtswahl
Verträge mit englischem Recht abzuschließen, ist in der Praxis nicht selten, insbesondere in Verbindung mit der englischen Vertragssprache. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass das englische Recht („Common Law“) sich nicht auf Gesetze, sondern auf Präzedenzfälle stützt und durch richterliche Auslegung weitergebildet wird. Im Gegensatz dazu basiert das in kontinentaleuropäischen Ländern und Deutschland heimische „Civil Law“ auf Gesetzen. Das Richterrecht spielt eine eher untergeordnete Rolle. Dies macht eine Vereinbarung englischen Rechts gegenüber dem deutschen Recht nicht unbedingt vorteilhafter. Außerdem würde die Wahl englischen Rechts einen Wandel nach dem Brexit erfahren, denn bisher umfasst englisches Recht auch das im Vereinigten Königreich anwendbare EU-Recht. Dies würde in Zeiten nach dem Brexit nicht mehr ohne weiteres gelten. Zudem folgt, dass die Vertragsauslegung im englischen Recht anderen Regeln folgt als im deutschen Recht. Sowohl vor- als auch nachvertragliches Verhalten spielt beispielsweise bei der Auslegung des Vertrags zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine Rolle. Im englischen Recht wird vielmehr der Wortlaut des Vertrags strikt beachtet. Schon allein aus diesen Gründen sollte ein Vertragsschluss mit Vereinbarung englischen Rechts im Vorfeld durchdacht werden und im Zweifel könnte die Vereinbarung deutschen Rechts vorteilhafter sein. Auch ein Rückgriff auf das UN-Kaufrecht (United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods, CISG) ist nicht möglich. Zwar ist das UN-Kaufrecht ein wichtiger Bestandteil des internationalen Handels und das CISG gilt in 89 Staaten der Welt (Stand April 2018), so auch in Deutschland. Allerdings ist das Vereinigte Königreich kein Vertragspartner des CISG und das UN-Kaufrecht somit nach derzeitigem Stand auch künftig kein im Vereinigten Königreich geltendes Gesetz.
Gerichtsstand
London ist einer der wichtigsten Gerichts- und Schiedsstandorte weltweit. Verträge werden häufig nicht nur in englischer Sprache entworfen, sondern enthalten oft auch eine Rechtswahl zugunsten des englischen Rechts mit einer Gerichtsstandsvereinbarung in London. Bisher können Gerichtsurteile aus dem Vereinigten Königreich nach der Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungs-VO (EuGVVO) in Form der Brüssel Ia-VO gemäß Art. 39 ohne gesonderte Vollstreckbarerklärung in jedem Mitgliedstaat der EU vollstreckt werden. Da das Vereinigte Königreich mit dem Abschluss des Austrittsverfahrens nach Art. 50 Vertrag über die Europäische Union im Verhältnis zur EU zu einem Drittstaat wird, findet auch die Brüssel Ia-VO keine Anwendung mehr. Bei britischen Urteilen wird man sich daher nicht mehr darauf verlassen können, dass diese künftig ohne weiteres auch in anderen EU-Mitgliedstaaten vollstreckbar sein werden. Entsprechendes gilt für Urteile von deutschen Gerichten oder von Gerichten verbleibender EU-Mitgliedstaaten bei einer gewünschten Vollstreckbarkeit im Vereinigten Königreich. Die Vollstreckung eines britischen Urteils würde sich dann nach den völkerrechtlichen Verträgen zwischen dem Vereinigten Königreich und dem anderen Staat richten, mithin dem Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ) von 1972, einem völkerrechtlichen Vertrag zwischen Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Irland, Luxemburg, den Niederlanden, Portugal, Spanien und Großbritannien. Zwar würden auch nach dem EuGVÜ Gerichtsstandsvereinbarungen, die heute gemäß der Brüssel Ia-VO gelten, weitgehend wirksam bleiben, allerdings würde nach der EuGVÜ wieder eine Vollstreckbarkeitserklärung verlangt werden, die durch die Brüssel Ia-VO abgeschafft wurde. Somit würde die Vollstreckung eines britischen Urteils in der EU mühsamer, kostenintensiver und langwieriger werden. Vertragsparteien sollten sich daher gut überlegen, welcher Gerichtsstand für sie in diesem Fall noch akzeptabel erscheint und es empfiehlt sich, nur dort den Gerichtsstand zu wählen, wo überhaupt vollstreckt werden kann.
Arbeitsverträge
Ein wichtiger Faktor für die Unternehmen wird die Personenfreizügigkeit sein. Problematisch wird es, wenn der Brexit Auswirkungen auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit bringt. Denn nach Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU wäre das Freizügigkeitsgesetz/EU nicht mehr anwendbar. Das würde britische Arbeitnehmer, die in Deutschland arbeiten, und Arbeitnehmer aus Deutschland, die im Vereinigten Königreich beschäftigt werden wollen, vor die Herausforderung eines Aufenthaltstitels stellen. Ein fehlender Aufenthaltstitel führt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts jedoch grundsätzlich nicht zu einer Nichtigkeit des Arbeitsvertrags, sondern ausschließlich zu einem Beschäftigungsverbot. Da jedoch eine illegale Beschäftigung nach dem deutschen Sozialgesetzbuch sanktionsbewehrt ist, könnte der deutsche Arbeitgeber möglicherweise eine Kündigung aussprechen. Umgekehrt ist auch die Dienstleistungserbringung deutscher Unternehmen im Vereinigten Königreich betroffen: Entsenden Sie einen Mitarbeiter ins Vereinigte Königreich, so gilt nach der EU-Entsenderichtlinie deutsches Sozialversicherungsrecht weiter, wenn die Voraussetzungen zur Ausstrahlung erfüllt sind. Kommt es nach dem Ende der Übergangsphase zu keinem Abkommen, ändert sich der Rechtsrahmen. Mit Wegfall der EU-Entsenderichtlinie gilt nur noch der Rechtsrahmen des WTO-Rechts. Das bedeutet, dass in einigen Fällen grenzüberschreitender Dienstleistungserbringung Einreisevisa und Entsendebewilligungen notwendig sein könnten.
Datenschutz
Der Brexit hat zudem Auswirkungen auf die Übertragung personenbezogener Daten in das Vereinigte Königreich. Zwischen den Ländern der EU, die ein gleichwertiges Datenschutzniveau aufweisen, dürfen nach der DSGVO personenbezogene Daten übermittelt werden. In ein Nicht-EU-Land können personenbezogene Daten nur dann übermittelt werden, wenn ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet ist. Die EU-Kommission kann feststellen, dass ein Drittland aufgrund seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder seiner internationalen Verpflichtungen ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet (vgl. Art. 45 der DSGVO).
Das Vereinigte Königreich und die EU haben sich auf einen Brexit-Deal geeinigt. Dies bedeutet, es gibt auch nach dem 1. Januar 2021 noch eine (weitere) Schonzeit. Für vorerst vier Monate – und damit bis Ende April 2021 – ist vereinbart, dass das Vereinigte Königreich nicht als Drittland gilt. Es ist zudem vorgesehen, dass sich diese Frist automatisch um zwei weitere Monate verlängert, wobei allerdings beide Seiten einer Verlängerung widersprechen können. Derzeit ist ein ein Datentransfer noch unter unveränderten Bedingungen möglich. Informationen zur Übergangsregelung stellt der Landesdatenschutzbeauftragte Baden-Württemberg zur Verfügung.
Gesellschaftsform
In Deutschland ansässige Gesellschaften nach britischem Recht, allen voran die „private companies limited by shares“, kurz Ltd./Limited, sollten die Brexitverhandlungen genau beobachten. Scheitern diese und verliert Großbritannien die Niederlassungsfreiheit, kann es passieren, dass sog. Briefkasten-Gesellschaften, die nur mit einer Zweigniederlassung in Deutschland tätig sind, ohne auch in Großbritannien aktiv zu sein, nach deutschem Gesellschaftsrecht nicht mehr anerkannt werden. Eine Ltd. könnte dann ihre beschränkte Haftung verlieren, weil sie nach der sog. Sitztheorie als deutsche Personengesellschaft oder als Einzelunternehmen mit unbeschränkter und persönlicher Haftung angesehen wird. Die damit verbundenen Risiken müssen sich betroffene Unternehmen bewusst machen und über alternative Gesellschaftsformen nachdenken. Wie der Brexit ausgeht und ob die Zweigniederlassungen britischer Gesellschaften in Deutschland eine Zukunft haben, ist heute nicht vorhersehbar. Fest steht: Das Verhandlungsergebnis für den Brexit wird auch Auswirkungen auf das deutsche Gesellschaftsrecht haben.
Brexit-Checkliste
Den Brexit-Online-Check der IHKn können Sie hier aufrufen.
Stand: Dezember 2020