Betriebliches Eingliederungsmanagement


Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ist in § 167 Absatz 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) geregelt. Danach müssen Arbeitgeber*innen ein BEM durchführen, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren. Ziel des Verfahrens ist die Überwindung der Arbeitsunfähigkeit, die Vermeidung einer erneuten Arbeitsunfähigkeit und somit der Erhalt des Arbeitsplatzes. Für Beschäftigte ist die Teilnahme am BEM freiwillig. Die zuständigen Interessenvertretungen müssen beteiligt werden.

Adressatenkreis

Das BEM gilt uneingeschränkt für alle Arbeitnehmer*innen und ist nicht auf Menschen mit Behinderung beschränkt. Beschäftigte im Sinne der Vorschrift sind auch Auszubildende.
Arbeitgeber*innen in Kleinbetrieben gemäß § 23 Kündigungsschutzgesetz sind ebenso verpflichtet wie größere Arbeitgeber*innen.

Voraussetzungen

Das BEM ist durchzuführen, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind. Die Durchführungspflicht besteht also auch, wenn mehrere kürzere Arbeitsunfähigkeitszeiten in der Summe mindestens 6 Wochen ergeben. Abgestellt wird nicht auf das Kalenderjahr, sondern auf die letzten zwölf Monate. Daher ergibt sich bei jeder neuen Arbeitsunfähigkeit zur Berechnung der 6-Wochen-Frist ein neuer 12-Monats-Zeitraum.
Hinweis für die Praxis: Die sechs Wochen entsprechen 42 Tagen. Alle Tage der Arbeitsunfähigkeit sind bei der Berechnung zu berücksichtigen, also auch Kuren und Rehabilitationsmaßnahmen. Auch Tage, an denen der Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung schuldet (Feiertage, Wochenende etc.) sind in die Berechnung einzubeziehen.

Ablauf und Inhalt des Verfahrens

Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 167 Abs. 2 SGB IX vor, müssen Arbeitgeber*innen tätig werden und dem Beschäftigten ein BEM anbieten. Da das Gesetz jedoch keine formalen Anforderungen an das Verfahren stellt, bleibt es Arbeitgeber*innen nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts überlassen, ob sie ein formalisiertes BEM einführen wollen, z. B. mit dem Abschluss einer Betriebsvereinbarung.
Arbeitgeber*innen schalten zunächst die Interessenvertretung im Sinne des § 176 SGB IX, also den Betriebsrat und, falls der Beschäftigte schwerbehindert ist, zusätzlich die Schwerbehindertenvertretung und „soweit erforderlich“ auch den Werks- oder Betriebsarzt ein. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die örtlichen gemeinsamen Servicestellen oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen, § 167 Abs. 2 Satz 4 SGB IX.
Alle Maßnahmen werden ausschließlich mit Zustimmung und Beteiligung des betroffenen Arbeitnehmers ergriffen. Das bedeutet, sowohl die Einleitung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements als auch jeder einzelne Schritt des Verfahrens hängt zwingend von der Einwilligung des betroffenen Beschäftigten ab. Die Einwilligung ist im Voraus zu erteilen. Der Rehabilitand oder sein gesetzlicher Vertreter*in ist vor Beginn jeder Maßnahme und vor dem Einholen seiner Zustimmung auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf die Art und den Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen (§ 167 Abs. 2 Satz 3 SGB IX).
Die Regelung des Datenschutzes ist eine zentrale Voraussetzung zur Vertrauensbildung im BEM. Fragen des Datenschutzes sind noch vor Einleitung des betrieblichen Eingliederungsmanagementverfahrens zu bearbeiten bzw. zu klären. Es gilt das Gebot der Datensparsamkeit (Artikel 5 DSGVO). Es dürfen nur solche Daten erhoben und verwendet werden, die für den Zweck des betrieblichen Eingliederungsmanagements unbedingt erforderlich sind. Die Erstellung eines Datenschutzkonzepts ist daher sinnvoll.
Hinweis für die Praxis: Im Betrieb sollte ein BEM-Team gebildet werden. Ein Team-Mitglied, das sich intensiv mit dem jeweiligen Einzelfall beschäftigt, sollte vom betroffenen Arbeitnehmer frei gewählt werden dürfen. Die zugehörige BEM-Akte, die alle auf den Fall bezogenen Unterlagen enthält, sollte räumlich und physisch getrennt von der Personalakte und zeitlich befristet geführt werden. Die Personalabteilung ist nur über Einleitung, Abschluss, Zustandekommen oder Abbruch oder Unterbrechung des BEM-Verfahrens zu informieren.
Im Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 2 SGB IX kommen sämtliche Maßnahmen in Betracht, die geeignet sind, die Arbeitsunfähigkeit zu überwinden und die erneute Erkrankung des Mitarbeiters zu verhindern, wie z. B.:
  • Anpassungsmaßnahmen am Arbeitsplatz
  • Leistungen der medizinischen Rehabilitation (§§ 42 ff SGB IX), wie z. B. die stufenweise Wiedereingliederung
  • Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§§ 49 ff SGB IX)
Rehabilitationsträger wie die Bundesagentur für Arbeit, Unfallversicherungen, Rentenversicherungen sowie das Integrationsamt sollen Arbeitgeber*innen durch Teilhabeleistungen beraten, unterstützen und den Rehabilitationsbedarf prüfen. Die Rehabilitationsträger sind für die Koordinierung sowie für eine nahtlose, zügige und einheitliche Erbringung verantwortlich. Arbeitgeber*innen müssen daher die örtlichen gemeinsamen Servicestellen bzw. das Integrationsamt hinzuziehen.

Förderung durch Prämien und Boni

Die Rehabilitationsträger und Integrationsämter können Arbeitgeber*innen, die ein BEM einführen, durch Prämien oder einen Bonus fördern (§ 167 Abs. 3 SGB IX). Prämien sind Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung oder des Integrationsamts. Boni sind Beitragsnachlässe, die von den gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherungen im Wege der Beitragssenkung für Arbeitgeber geleistet werden. Die Gewährung von Prämien und Boni steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörden.

Rechtsfolgen

Das Gesetz selbst gibt keine Rechtsfolgen vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Durchführung eines BEM nach § 167 Abs. Abs. 2 SGB IX keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine personenbedingte Kündigung wegen Krankheit. Eine unterlassene Durchführung hat aber Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess. Kommen Arbeitgeber*innen der Pflicht zur Durchführung des BEM nicht nach, darf er nicht pauschal behaupten, es bestünden keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten. Arbeitgeber*innen müssen vielmehr umfassend und konkret vortragen, warum auf dem bisherigen Arbeitsplatz keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr besteht, eine leidensgerechte Anpassung des Arbeitsplatzes ausgeschlossen ist und ein alternativer Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit nicht verfügbar ist.
Checkliste für die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements
  1. Feststellung der Erkrankung eines Beschäftigten für mehr als 6 Wochen und Vorliegen der weiteren Voraussetzungen für ein BEM.
  2. Kontaktaufnahme mit dem erkrankten Beschäftigten. Erstgespräch und Aufklärung über Ziele des BEM sowie über Art und Umfang der hierfür erhobenen und notwendigen Daten.
  3. Mitarbeiter*in erklärt schriftlich die Zustimmung zum BEM oder lehnt dieses ab.
  4. Bei Zustimmung Fallbesprechung und Situationsanalyse mit internen oder externen Beratern mit dem Ziel der Erstellung eines Maßnahmenplans
  5. Konkreten Maßnahmenplan schriftlich fixieren (Unterscheidung zwischen betrieblichen und außerbetrieblichen Maßnahmen) sowie Kontrolle der Maßnahmen verabreden und Zustimmung des Betroffenen einholen
  6. Zeitnahe Umsetzung der Maßnahmen, Begleitung des/der Betroffenen und notwendige Korrekturen vornehmen.
  7. Auswertung der Dokumentation und abschließende Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahme.
Stand: Januar 2021
Diese IHK-Information wurde mit der gebotenen Sorgfalt erarbeitet. Eine Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Erläuterungen kann jedoch nicht übernommen werden.