22.05.2024

Bundeshaushalt begegnet den aktuellen und künftigen Herausforderungen unzureichend

Nach Auffassung des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung Kay Scheller, der gleichzeitig Präsident des Bundesrechnungshofes ist, bedarf es einer schnellen, durchgreifenden und nachhaltigen Konsolidierung des Bundeshaushalts.
In seiner Stellungnahme an das Bundesministerium der Finanzen zur Aufstellung des Bundeshaushalts 2025 und der Finanzplanung bis 2028 weist der Bundesbeauftragte darauf hin, dass die sich weiter verschärfenden, weit zurückreichenden strukturellen Versäumnisse der Vergangenheit nun auf neue Problemlagen träfen, deren finanzielle Dimensionen selbst gesunde Staatsfinanzen vor große Belastungsproben stellen würden.
Seine Vorschläge konzentrieren sich auf folgende Punkte:
  • Das Verfahren zur Aufstellung des Bundeshaushalts und des Finanzplans sollte von vornherein an den finanzpolitischen Realitäten und nicht an Eigeninteressen der Ressorts ausgerichtet werden.
  • Für die Lösung der seit Jahren verschleppten strukturellen Probleme wichtiger Zukunftsbereiche sollte die Finanzplanung über den Drei-Jahres-Horizont deutlich hinauszugehen.
  • Eine Lösung für die mit den Tilgungsleistungen der Corona-Notlagenkredite ab dem Jahr 2028 eintretende Zuspitzung der Haushaltslage sollte bereits jetzt in der Finanzplanung abgebildet werden.
  • Die Verschuldung des Bundes sollte unter Kontrolle gehalten und keine Umgehungen der Schuldenbremse sollten zugelassen, sondern stattdessen sollte ein umfassender Konsolidierungsplan präsentiert werden, zu dem nach Ansicht des Bundesbeauftragten alle gesellschaftlichen Gruppen beitragen müssen, der es aber gleichzeitig ermögliche, sich auf Belastungen rechtzeitig einzustellen.
Die aktuell schwierige Diskussion um den Bundeshaushalt innerhalb der Bundesregierung zeigt aus Sicht des Bundesbeauftragten, dass der Verzicht auf das bis 2022 übliche Eckwerte-Verfahren in der Haushaltsaufstellung einen Mangel darstelle.

Eckwerteverfahren hat finanzpolitische Lenkungswirkung

Das Eckwerteverfahren beruht auf einem Kabinettbeschluss der damaligen Bundesregierung vom 7. Juli 2010. Erstmals wurde es bei der Aufstellung des Bundeshaushalts 2011 angewendet. Es ist gesetzlich nicht geregelt, wurde aber bis zum Jahr 2022 regelmäßig praktiziert. Ausgangspunkt des Eckwerteverfahrens ist die Ermittlung der erwarteten Einnahmen durch das Bundesministerium der Finanzen (BMF). Auf Grundlage der prognostizierten Einnahmenbasis wird im nächsten Schritt allen Ressorts ein grundsätzlicher, bindender Gesamtplafonds für die Ausgaben ihrer Einzelpläne vorgegeben. Hierzu fasst das Bundeskabinett regelmäßig im März den Eckwertebeschluss. In einem weiteren Schritt können die Ressorts in ihren Plafonds weitgehend frei die von ihnen als prioritär gewichteten Ausgabenbereiche in den Haushaltsentwurf einbringen.
Das Gesamtvolumen der Ausgaben folgt damit von Beginn an dem Gesamtvolumen der Einnahmen. Das Eckwerteverfahren hat finanzpolitische Lenkungswirkung. Nicht die Ausgabenwünsche der Ressorts prägen das Verfahren, sondern die begrenzten Mittel. Damit soll sichergestellt werden, dass sich der aufzustellende Bundeshaushalt im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten bewegt, insbesondere im Hinblick auf die Einhaltung der verfassungsmäßigen Verschuldungsobergrenze.
Der Bundesbeauftragte empfiehlt deshalb, das Eckwerteverfahren in der Bundeshaushaltsordnung gesetzlich vorzugeben, um dessen Anwendung für künftige Haushaltsaufstellungen sicherzustellen.

Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds hat weitreichende Wirkung

Nach Auffassung des Bundesbeauftragten konkretisiert das Urteil vom 15. November 2023 den verfassungsmäßigen Rahmen, innerhalb dessen sich die Haushaltsfinanzierung des Bundes bewegen muss. Danach sei die Schuldenbremse des Artikels 115 Absatz 2 Grundgesetz eingebettet in die tragenden Grundsätze des Haushaltsrechts wie Vorherigkeit, Jährlichkeit, Jährigkeit und kassenmäßige Fälligkeit (Artikel 110 Absatz 2 Grundgesetz).
Jährlichkeit, Jährigkeit und kassenmäßige Fälligkeit führen dazu, dass die Kreditermächtigungen den einzelnen Haushaltsjahren zuzuordnen sind und auf die im betreffenden Jahr gültige Verschuldungsobergrenze einzahlen. Der Bundeshaushalt und sämtliche der Schuldenregel unterworfene Sondervermögen sind dabei als Einheit zu betrachten. Das Bundesverfassungsgericht hat die Beachtung maßgeblicher Haushaltsgrundsätze unterstrichen und ihren Verfassungsrang herausgehoben. Es unterscheidet insbesondere bei der Finanzierung von Sondervermögen nicht zwischen den Krediten im Rahmen der nach der Schuldenregel grundsätzlich geltenden Höchstgrenze von maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandprodukts (Artikel 115 Absatz 2 Sätze 1 bis 3 Grundgesetz) und den Krediten, deren Aufnahme durch die Ausnahmeregelung (Artikel 115 Absatz 2 Sätze 6 bis 8 Grundgesetz) legitimiert sind. Das bedeutet im Kern, dass sämtliche zur Finanzierung von Sondervermögen erforderlichen Kredite in dem Jahr für die Schuldenregel relevant sind, in dem sie tatsächlich aufgenommen werden.
Der Bundesbeauftragte geht in seiner Zuordnung allerdings noch weiter und zählt auch weitere Kreditaufnahmen dazu. Das beträfe auch die kreditfinanzierten Entnahmen aus der Allgemeinen Rücklage sowie die kreditfinanzierte Zuweisung aus dem Sondervermögen Digitale Infrastruktur an den Bundeshaushalt 2024. In seiner Auslegung übersteigen die Kreditaufnahmen der Haushalte 2023 und 2024 den nach der Schuldenregel zulässigen Rahmen deutlich.

Strukturelle Probleme des Bundeshaushalts sind weiterhin ungelöst

Zu den strukturellen Problemen des Bundeshaushalts zählt der Bundesbeauftragte fehlende langfristige Tragfähigkeitskonzepte für die Sozialversicherungszweige sowie die hohe „Versteinerung“ des Haushalts: der Anteil der rechtlich gebundenen Haushaltsausgaben beträgt nahezu 90 Prozent. Deshalb würden kaum Spielräume bestehen, auf unerwartete größere Problemstellungen fiskalisch reagieren zu können. Dazu gesellen sich ungelöste Finanzierungsfragen für den klimaneutralen Umbau von Gesellschaft und Wirtschaft sowie die Landes- und Bündnisverteidigung. Die Mitfinanzierung des Bundes von Landes- und Kommunalaufgaben verharre auf hohem Niveau.
Deshalb regt der Bundesbeauftragte an, den Planungszeitraum zu verlängern, zum Beispiel auf eine mittelfristige Perspektive von fünf bis zehn Jahren.

2028 – „Schlüsseljahr für die Bundesfinanzen“ - Tilgungsverpflichtungen begrenzen Neuverschuldungsspielraum erheblich

Ab 2028 werden die Tilgungsverpflichtungen aus den in den Jahren 2020 bis 2022 eingegangenen Notlagenkrediten nach den vom Deutschen Bundestag beschlossenen Tilgungsplänen zunächst mit rund 9,2 Milliarden Euro jährlich für die folgenden 30 Jahre kassenwirksam. Außerdem wird nach den aktuellen Planungen das Sondervermögen Bundeswehr voraussichtlich ausgeschöpft sein und die politische Zusage, nach NATO-Kriterien jährlich mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung auszugeben, müsste dann vollständig aus dem Bundeshaushalt eingelöst werden. Das würde allein für den Haushalt des Bundesverteidigungsministeriums einen Anstieg der Ausgaben von 52 Milliarden Euro (Plan 2027) auf dann 75 bis 85 Milliarden Euro in 2028 bedeuten. Mit der vollständigen Inanspruchnahme der Kreditermächtigung des Sondervermögens Bundeswehr beginnt zudem die grundsätzliche Verpflichtung zur Rückzahlung der aufgenommenen Kredite. Zu guter Letzt setzt ab 2028 auch die Rückzahlung der von der Europäischen Union für die Finanzierung des Wiederaufbaufonds „NextGenerationEU“ aufgenommenen Kredite ein. Und ab 2031 kommt die Tilgung der zur Finanzierung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds-Energiekrise aufgenommenen Kredite in Höhe von jährlich rund 1,7 Milliarden Euro hinzu.

Mit Umsicht an der Schuldenbremse arbeiten

Der Bundesbeauftragte stellt in seinem Gutachten die Notwendigkeit zur Einhaltung der Schuldenbremse dar. Bei den Reformdiskussionen gelte es, wichtige Prinzipien zu beachten. Dazu gehören:
  • Bei einer Fortentwicklung der Berechnungsmethodik der Konjunkturkomponente sollten die alleinigen Maßstäbe hierfür wissenschaftliche Erkenntnisse zum Konjunkturbereinigungsverfahren sein. Die Symmetrie der Konjunkturkomponente sei weiterhin zu beachten: mehr Verschuldungsspielraum im Abschwung bedeute weniger Verschuldung im Aufschwung. Keinesfalls sollte eine neue Berechnungsmethode stets zu einem höheren Kreditaufnahmespielraum führen.
  • Das Instrument der Bereinigung um finanzielle Transaktionen sollte allein für vermögensneutrale Umschichtungen genutzt werden. Die geplante Eigenkapitalerhöhung des Bundes bei der Deutschen Bahn AG, unter anderem zur Finanzierung der Sanierung der Schieneninfrastruktur, sei daher kritisch zu sehen.
  • Weitere Ausnahmen von der Schuldenregel, wie nach dem Vorbild des Sondervermögens Bundeswehr, sollten nicht die Lösung für die aktuell haushaltspolitisch besonders herausfordernde Lage sein.
Aus dem Steuer-Newsletter der DIHK (Ausgabe Nr. 5/2024)