Scheinselbständigkeit
Die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmern und Selbständigen ist oft schwierig. Sie hat aber weitreichende Folgen für die vertraglichen Beziehungen. Die Pflicht zur Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen (Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung) besteht nur bei Arbeitnehmern. Auch die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften (Kündigungsschutz, Entgeltfortzahlung etc.) müssen gegenüber selbständigen Auftragnehmern nicht beachtet werden. Erfolgt versehentlich eine unzutreffende Einordnung als Selbständiger, hat dies für den Auftraggeber hohe Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen und eventuell auch Bußgelder zur Folge.
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I. Begriffe
1. Scheinselbständigkeit
Tritt jemand als Selbständiger auf, obwohl er tatsächlich wie ein abhängig Beschäftigter arbeitet, spricht man von Scheinselbständigkeit.
Der Begriff der Scheinselbständigkeit wird im Sozialversicherungsrecht und im Steuerrecht an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft. Im Folgenden wird nur die Scheinselbständigkeit aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht dargestellt.
2. Arbeitnehmerähnliche Selbständige
Arbeitnehmerähnliche Selbständige sind zwar „richtige” Selbständige und nicht scheinselbständig, dennoch sind sie rentenversicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung. In den übrigen Zweigen der Sozialversicherung sind sie versicherungsfrei.
Arbeitnehmerähnliche Selbständigkeit liegt dann vor, wenn die Person zwar nach obiger, allgemeiner Definition selbständig tätig ist, aber
1. keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt, der mehr als 450 Euro monatlich verdient
- keine Rentenversicherungspflicht besteht, wenn bei Beschäftigung von mehreren geringfügig Beschäftigten insgesamt die Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro überschritten wird
- maßgeblich ist die tatsächliche Beschäftigung, nicht die Berechtigung zur Einstellung
- auch Auszubildende werden eingerechnet
und
2. auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist.
- Das Merkmal gilt als erfüllt, wenn der Selbständige wenigstens 5/6 seiner gesamten Einkünfte aus einer Tätigkeit erzielt.
- Eine Tätigkeit in nur unbedeutendem Umfang für einen/mehrere andere Auftraggeber ist unerheblich.
Der arbeitnehmerähnliche Selbständige muss sich innerhalb von drei Monaten nach Aufnahme der selbständigen Tätigkeit beim zuständigen Rentenversicherungsträger melden.
Von der Rentenversicherungspflicht gibt es in folgenden Fällen Befreiungsmöglichkeiten, aber nur auf Antrag:
- Existenzgründer werden die ersten drei Jahre nach Aufnahme der Tätigkeit auf Antrag befreit. Dies gilt auch bei der Aufnahme einer zweiten selbständigen Tätigkeit („zweiter Versuch”) für nochmals drei Jahre, wenn nicht die erste Tätigkeit lediglich umbenannt wird oder der Geschäftszweck nicht wesentlich verändert worden ist.
- Liegen die Voraussetzungen für die arbeitnehmerähnliche Selbständigkeit erstmals vor, wenn die Person bereits 58 Jahre oder älter ist, ist sie auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit. Hier wird angenommen, dass bereits eine anderweitige Vorsorge getroffen worden ist.
Die Befreiung tritt auf Antrag ein. Das Formular (V050) finden Sie auf der Internetseite der Deutschen Rentenversicherung.
Wird der Antrag in den ersten drei Monaten nach Eintritt der Versicherungspflicht gestellt, wirkt die erteilte Befreiung von Beginn an. Bei einer späteren Antragstellung tritt die Befreiung mit Eingang der Antrages beim Rentenversicherungsträger ein.
3. Sonderfall: Handelsvertreter
Handelsvertreter ist gemäß § 84 HGB, wer als Selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Der Handelsvertreter ist selbständig, wenn er im Wesentlichen seine Tätigkeit frei gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, können auch Handelsvertreter „scheinselbstständig“ sein. Indizien dafür sind beispielsweise Umsatzvorgaben, eng angelegte Kontrollen des Auftraggebers, Pflichtanwesenheit, vorgegebene Pflichttermine bei Kunden, Tourenpläne, Urlaubsabstimmung mit dem Auftraggeber sowie das Verbot, Angestellte einzustellen.
II. Anhaltspunkte für eine Scheinselbständigkeit
Die Beurteilung, ob eine Person abhängig oder selbständig beschäftigt wird, erfolgt nach dem Sozialgesetzbuch und der hierzu ergangenen Rechtsprechung. Sie richtet sich nach den tatsächlichen Gegebenheiten. Ob eine Person im Vertrag als „Angestellter” oder als „freier Mitarbeiter”, „Auftragnehmer” o. ä. bezeichnet wird, ist für die Einordnung des Vertrages unerheblich.
Die abhängige Beschäftigung unterscheidet sich von der selbständigen Tätigkeit insbesondere in folgenden Bereichen:
- Grad der persönlichen Abhängigkeit: Weisungsgebundenheit, Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers, Art und Organisation der Tätigkeit
- Tätigwerden in eigener Person, ohne Einsatz von Mitarbeitern. Dabei werden Beschäftigungsverhältnisse auf 400-Euro-Basis nicht berücksichtigt.
- Die Tätigkeit wurde beim Auftraggeber zuvor als Arbeitnehmer durchgeführt. Hier stand die Person zunächst in einem Arbeitsverhältnis und wurde dann durch eine Vertragsänderung zum „Selbständigen” erklärt, ohne dass sich die Tätigkeit, die er verrichtete, wesentlich geändert hat.
- Unternehmerische Entscheidungsfreiheit, unternehmerisches Risiko, unternehmerische Chancen:
Leistung im eigenen Namen und auf eigene Rechnung
eigenständige Entscheidung z. B. über Einkaufs- und Verkaufspreise, Warenbezug, Einstellung von Personal, Einsatz von Kapital, Art und Umfang von Werbemaßnahmen für das eigene Unternehmen (wie eigener Briefkopf, Visitenkarten, Homepage) - Die Möglichkeit, Aufträge abzulehnen.
III. Statusfeststellung durch die Deutsche Rentenversicherung
Die Entscheidung, ob eine Person selbständig oder abhängig beschäftigt ist, trifft zunächst die Krankenkasse als Einzugsstelle für die Sozialversicherungsbeiträge. Weiter entscheidet der Rentenversicherungsträger im Rahmen der Betriebsprüfungen. Streitigkeiten hierüber werden nach durchgeführtem Widerspruchsverfahren vor den Sozialgerichten ausgetragen.
Die Deutsche Rentenversicherung Bund hat eine Clearingstelle eingerichtet, bei der sozialversicherungsrechtliche Statusfragen geklärt werden können. Bestehen Zweifel, ob ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt oder nicht, kann ein Statusfeststellungsverfahren beantragt werden. Der Antrag kann sowohl vom Auftraggeber/Arbeitgeber als auch vom Auftragnehmer/Arbeitnehmer gestellt werden. Die Beteiligten müssen sich in der Beurteilung nicht einig sein. Wird der Antrag nur von einem Beteiligten gestellt, wird der andere Beteiligte von Amts wegen in das Verfahren miteinbezogen.
Das Verfahren wird durch einen Bescheid abgeschlossen, der für die Beteiligten bindend ist.
Die Bundesagentur für Arbeit ist an die Feststellung der Sozialversicherungspflicht gebunden. Dadurch wird sichergestellt, dass abgeführte Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auch zu einer Absicherung führen. Ist also die Sozialversicherungspflicht festgestellt, kann die Bundesagentur für Arbeit nicht deshalb keine Zahlungen leisten, weil aus ihrer Sicht keine Sozialversicherungspflicht vorgelegen hat.
Wichtig: Über die Statusfrage entscheiden letztlich die Sozialgerichte. Eine Feststellung durch ein Arbeitsgericht, ob ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt oder nicht, ist für den Sozialversicherungsträger nicht bindend. Dieser darf die Entscheidung eines Arbeitsgerichts nicht übernehmen, sondern muss selbst die Sozialversicherungspflicht überprüfen im Rahmen der Statusfeststellung.
Bestehen Zweifel über den Status, empfiehlt es sich, schon bei Arbeitsaufnahme ein Statusfeststellungsverfahren durchzuführen. So besteht Klarheit zwischen den Parteien und es wird vermieden, dass möglicherweise hohe Sozialversicherungsbeiträge nachgezahlt werden müssen.
IV. Folgen der Scheinselbständigkeit
Der Scheinselbständige ist Arbeitnehmer und damit sozialversicherungspflichtig, sein Auftraggeber ist Arbeitgeber. Beide tragen die Sozialversicherungsbeiträge grundsätzlich je zur Hälfte.
Die Sozialversicherungspflicht gilt vom Beginn der Beschäftigung an. Der Auftraggeber ist verpflichtet, rückständige Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile von Sozialversicherungsbeiträgen bis zu vier Jahre rückwirkend zu bezahlen. Außerdem kann unter Umständen zusätzlich ein Bußgeld gegen den Auftraggeber verhängt werden.
Ausnahme: Wenn innerhalb eines Monats nach Beginn der Beschäftigung ein Antrag auf Statusfeststellung gestellt wird, tritt die Sozialversicherungspflicht erst mit Bekanntgabe der Entscheidung ein, wenn der Scheinselbständige
- damit einverstanden ist und
- er für den Zeitraum zwischen Aufnahme der Beschäftigung und der Entscheidung eine Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit und zur Altersvorsorge vorgenommen hat, die der Art nach den Leistungen der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung entspricht.
Wird die Sozialversicherungspflicht anderweitig (z. B. im Rahmen einer Betriebsprüfung) festgestellt, tritt die Sozialversicherungspflicht grundsätzlich rückwirkend mit dem Tag des Eintritts in das Beschäftigungsverhältnis ein.
V. Zusammenfassung:
Ob ein Angestelltenverhältnis oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt, ist im Einzelfall oft schwer zu entscheiden. Bestehen Zweifel über das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit, ist zur Vermeidung von hohen Nachzahlungen an Sozialversicherungsbeiträgen die frühestmögliche Durchführung des Statusfeststellungsverfahrens ratsam.
Hinweis: Die Erstellung und Veröffentlichung von Merkblättern ist ein Service der IHK Hanau-Gelnhausen-Schlüchtern für ihre Mitgliedsunternehmen. Dabei handelt es sich um eine zusammenfassende Darstellung der rechtlichen Grundlagen, die nur erste Hinweise enthält und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Obwohl sie mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt wurden, kann eine Haftung für die inhaltliche Richtigkeit nicht übernommen werden.