Verkehr
Thesenpapier für Berufskraftfahrer
Die Straßenlogistik ist eine Kernbranche der deutschen Wirtschaft. Ohne sie gelangen die Produkte der Industrie nicht zum Kunden, kann der Außenhandel über die Seehäfen nicht funktionieren und werden keine Bestellungen an die Haushalte ausgeliefert. Speditionen und Fahrer sehen sich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben jedoch einer Vielzahl von Herausforderungen gegenüber, die den reibungslosen Ablauf der Transportketten beeinträchtigen.
- These 1: Das über europäische Lenkzeit-Vorgaben hinausgehende deutsche Arbeitszeitgesetz benachteiligt Speditionen aus Deutschland.
- These 2: Eine Ausweitung und Vereinheitlichung von Kontrollen führt zu gerechteren Marktverhältnissen.
- These 3: Die Anforderungen an Logistik und die infrastrukturelle Ausstattung passen in Deutschland noch nicht zueinander.
Der Verkehrsausschuss der Industrie- und Handelskammer Elbe-Weser hat daher im Mai 2016 eine Arbeitsgruppe eingerichtet, welche die Haupt-Konfliktpunkte in diesem Kontext herausarbeiten und Lösungsansätze aufzeigen sollte. Im Folgenden werden die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe in Form dreier Thesen dargestellt.
Mit diesem Thesenpapier möchte die IHK Elbe-Weser Politik und Verwaltung ein Gesprächsangebot machen, um Wege zu finden, die Situation für Berufskraftfahrer und Speditionen in Deutschland zu verbessern
These 1: Das über europäische Lenkzeit-Vorgaben hinausgehende deutsche Arbeitszeitgesetz benachteiligt Speditionen aus Deutschland.
Die EG-Verordnung 561 vom 15. März 2006 gibt eine maximale Lenkzeit von 9 Stunden pro Tag vor, die zweimal wöchentlich auf 10 Stunden verlängert werden kann. Das deutsche Arbeitszeitgesetz setzt eine Regelhöchstarbeitsdauer von 8 Stunden fest, die auf 10 Stunden erhöht werden kann, wenn die Durchschnittsarbeitszei in einem festgelegten Ausgleichszeitraum 8 Stunden beträgt. Arbeitsdauern über 8 Stunden sind also durch entsprechende „Wenigerarbeit“ auszugleichen.
Ein Berufskraftfahrer hat neben seinen Lenktätigkeiten weitere Aufgaben, wie Be- und Entladetätigkeiten, die Durchführung der Abfahrkontrolle und auch administrative Aufgaben. Diese zählen in Deutschland, wie die Zeit am Steuer, als Arbeitszeit, während sie in der EG-VO nicht als Bestandteil der Lenkzeit gewertet werden und damit außerhalb der maximal 10 Stunden erledigt werden können. In der Konsequenz müssen hier Fahrten so disponiert werden, dass ausreichend Arbeitszeit für lenkferne Aufgaben zur Verfügung steht; die laut EG-VO mögliche Lenkzeit kann also in der Regel nicht voll ausgeschöpft werden.
In den meisten anderen EU-Ländern ermöglichen die Arbeitszeitgesetze den Fahrern längere Arbeitszeiten und damit die vollständige Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Lenkzeiten gem. EG VO 561/2006 unter zusätzlicher Ausführung lenkferner Aufgaben. Das deutsche Arbeitsrecht setzt also andere Standards als die Gesetzgebungen der Nachbarländer. Unternehmen in Deutschland werden auf diese Weise im Vergleich schlechter gestellt, was zu wirtschaftlichen Nachteilen führt.
Im Sinne eines freien europäischen Binnenmarktes müssen die Regelungen für Lenk- und Arbeitszeiten in den EU-Staaten harmonisiert werden.
These 2: Eine Ausweitung und Vereinheitlichung von Kontrollen führt zu gerechteren Marktverhältnissen.
Das Regelwerk, unter dem der Straßengüterverkehr in Deutschland durchgeführt wird, ist dicht und umfangreich. Trotzdem gibt es Möglichkeiten, sie zu umgehen, was diejenigen Unternehmen, die regelkonform arbeiten, benachteiligt. Diese Schlupflöcher sind beispielsweise nicht ausreichend flächendeckende Kontrollen im fließenden Verkehr oder aber regional und personenabhängig unterschiedliche Inhalte der Kontrollen.
So ist bei allen Kontrollinstanzen eine zu geringe finanzielle und damit auch personelle Ausstattung zu konstatieren. Auch werden nicht alle Möglichkeiten der Technik genutzt, bspw. die Fernauslesung digitaler Tachografen seitens der Behörden, mit denen sich Kontrollaufwände verringern ließen. Kontrollen können aktuell von Polizei oder BAG nur punktuell, nicht aber flächendeckend durchgeführt werden. Oftmals lohnt es sich daher, Vorteile durch das Umgehen von Vorschriften gegen die Wahrscheinlichkeit, dabei „erwischt“ zu werden, aufzurechnen.
Hinzu kommt, dass unterschiedliche Standorte gleicher Instanzen, zum Beispiel verschiedene Gewerbeämter, unterschiedliche Schwerpunkte bei Kontrollen legen. Werden so beispielsweise in einer Region vorrangig die Lenk- und Ruhe-, in einer anderen die Arbeitszeiten überwacht, kann es sich lohnen, bei den Nicht-Schwerpunktthemen von den Vorgaben abzuweichen und so Vorteile gegenüber Unternehmen in anderen Regionen zu gewinnen.
Im Sinne einheitlicher Rahmenbedingungen für alle Marktteilnehmer ist es daher wichtig, die Kontrol-instanzen mit ausreichend finanziellen Mitteln auszustatten, um ihre Aufgaben sowohl personell als auch technologisch wahrnehmen zu können. Gleichzeitig muss aber auch gewährleistet sein, dass Behörden, die gleiche Kontrollaufgaben wahrnehmen, auch einheitliche Prüfungen vornehmen, da sonst regionale Ungleichbehandlungen entstehen.
These 3: Die Anforderungen an Logistik und die infrastrukturelle Ausstattung passen in Deutschland noch nicht zueinander.
Erfolgreiche Logistikketten hängen essenziell an der vorhandenen, nutzbaren Infrastruktur. In den letzten Jahrzehnten wurde in Deutschland zu wenig in Ausbau und Sanierung des Fernstraßennetzes investiert. Ein massiver Sanierungsstau hat sich aufgebaut. Die Folge sind Routensperrungen, Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen für Lkw mit der Wirkung, dass Lieferwege und -zeiten maßgeblich verlängert werden. Die im neuen Bundesverkehrswegeplan vorgesehenen Maßnahmen sind, vorbehaltlich ihrer Umsetzung, ein richtiger Schritt, um diesen Umstand zu verbessern.
Für Fahrer, insbesondere auf mehrtägigen Fahrten, sind die Autobahnrastanlagen und Autohöfe von einer besonderen Bedeutung. Nach Ausschöpfen ihrer Lenkzeiten haben Fahrer noch einen Großteil des Tages zur freien Verfügung, den sie dann auf solchen Anlagen verbringen müssen. Die Anlagen sollten dementsprechend angemessene Möglichkeiten bieten, sich zu waschen, zu verpflegen oder abzulenken. Dies kommt allerdings an vielen Anlagen zu kurz und vorhandene Angebote werden oft mit Preisen versehen, die für viele Fahrer prohibitiv wirken. Dies hat Auswirkungen auf die Speditionsunternehmen, von sinkender Moral der Angestellten bis hin zu fehlender Attraktivität des Berufes und damit einem Fachkräftemangel.
Aus Sicht der Branche müssen die Infrastrukturen den heutigen und zukünftigen Bedarfen angepasst werden: Das betrifft nicht nur die Straßen, sondern auch die Angebote an und auf Rastanlagen – nicht nur an Autobahnen, sondern auch an anderen stark frequentierten Trassen in der Fläche. Investitionen in Angebote an Rastanlagen könnten verringert werden, indem beispielsweise Buslinien eingerichtet werden, die zwischen den Rastplätzen und nahegelegenen Zentren pendeln. So können die Fahrer ihre Freizeit sinnvoll nutzen und müssten sie nicht innerhalb der Fahrzeuge verbringen. Auch die aktuellen Diskussionen um das Verbringen der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit in den Fahrzeugen könnte so Rechnung getragen werden.