Wirtschaft International

EU-Lieferkettengesetz im Überblick

Der Vorschlag für ein europäisches Lieferkettengesetz geht sowohl im Geltungsbereich als auch hinsichtlich der zu erfüllenden Sorgfaltspflichten deutlich über das deutsche Pendant hinaus. So sollen bereits Unternehmen ab 500 Beschäftigten und 150 Millionen Euro Jahresumsatz in die Pflicht genommen werden, entlang der gesamten Wertschöpfungskette menschenrechts- und umweltbezogene Risiken zu identifizieren – in einer ganzen Reihe von Branchen auch noch kleinere Unternehmen. Der aktuelle Vorschlag kann sich im Gesetzgebungsprozess noch ändern.

Anwendungsbereich (Art.2)

Bei EU-Unternehmen sind zwei Gruppen zu unterscheiden:
  • Gruppe 1: Alle EU-Gesellschaften mit mindestens 500 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von mindestens 150 Mio. Euro weltweit.
  • Gruppe 2: Andere Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die mehr als 250 Arbeitnehmer haben und weltweit einen Nettoumsatz von mehr als 40 Mio. Euro erwirtschaften, sofern mindestens 50% dieses Nettoumsatzes in einem oder mehreren der folgenden Wirtschaftszweige erwirtschaftet wurden: Textil- und Lederindustrie, Land- und Forstwirtschaft, Nahrungsmittelproduktion, Gewinnung von Rohstoffen, Verarbeitung von metallischen und nicht-metallischen Erzeugnissen sowie der Großhandel mit mineralischen Rohstoffen.
In der EU tätige Unternehmen aus Drittstaaten sind betroffen, wenn sie einen Umsatz in Höhe von Gruppe 1 bzw. Gruppe 2 innerhalb der EU erwirtschaften. Diese müssen einen Bevollmächtigten (Art.16) mit Wohnsitz in der EU bestimmen, der bei der nationalen Kontrollbehörde bekanntgegeben werden muss.

Umsetzungsfristen (Art.30)

Die Pflichten aus dieser Richtlinie sollen für die Gruppe 1 der Unternehmen (über 500 Mitarbeiter und mehr als 150 Millionen Euro Umsatz) zwei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie wirksam werden. Für Unternehmen der Gruppe 2 (über 250 Mitarbeiter, 40 Mio. Euro Nettoumsatz, Risikosektor) wird diese Frist auf vier Jahre erweitert.

Umfang

Sorgfaltspflichten sind sowohl aufwärts auf allen Ebenen der Zulieferer als auch abwärts zu allen Ebenen der Kunden und Verwerter zu erfüllen. Der Finanzsektor ist ebenfalls betroffen. Entscheidend ist eine „etablierte Geschäftsbeziehung“: Laut Art. 3 ist eine direkte oder indirekte Geschäftsbeziehung gemeint, die aufgrund ihrer Intensität oder Dauer dauerhaft ist oder voraussichtlich dauerhaft sein wird und nicht nur einen unbedeutenden oder nebensächlichen Teil der Wertschöpfungskette darstellt.
Die geschützten Rechtspositionen speisen sich aus einer Reihe von internationalen Menschenrechts-, Grundfreiheits- und Umweltschutzabkommen, die im Annex zum Richtlinienvorschlag (Anlage) aufgeführt werden.

Sorgfaltspflichten

Gemäß Art. 5 sollen die Unternehmen bei allen Tätigkeiten einen Sorgfaltspflichtenprozess etablieren, dokumentieren und befolgen, um auf bestehende oder potenzielle „negative Auswirkungen“ auf Mensch und Umwelt zu reagieren. Dieser Prozess soll das durch das Unternehmen verfolgte Konzept, einen entsprechenden Verhaltenskodex sowie die Beschreibung des geplanten Verfahrens und seine Umsetzung umfassen. Bei den Vorgaben zur Vermeidung, Minimierung oder Beendigung von negativen Auswirkungen unterscheiden sich die Sorgfaltspflichten jedoch nach Grad des Einflusses (direkter vs. indirekter Partner). Der Sorgfaltspflichtenprozess soll dazu dienen, geeignete Maßnahmen zu treffen, um aktuell bestehende oder potentielle negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt entlang der Wertschöpfungskette zu identifizieren (Art. 6) sowie ihnen vorzubeugen, sie zu vermeiden, zu minimieren oder sie zu beenden (Art. 7 und Art. 8). Die Unternehmen der Gruppe 2 müssen sich dabei nur auf sektorspezifische negative Auswirkungen (Art. 6 Abs. 2) fokussieren.
„Gegebenenfalls“ sollte sich das Unternehmen von seinem Geschäftspartner vertraglich zusichern lassen, dass dieser den Verhaltenskodex des Unternehmens einhält, indem er auch von seinen Partnern entsprechende vertragliche Zusicherungen einholt (vertragliche Kaskadierung, Art.7).
Handelt es sich beim direkten Vertragspartner um ein KMU, so muss dieses „gezielte und angemessene Unterstützung“ durch das direkt betroffene Unternehmen erfahren (vgl. Art. 7 Abs. 4 bzw. Art. 8 Abs. 5), um die vertraglichen Bestimmungen zur Sicherung der Sorgfaltspflichten einzuhalten. Denkbar ist die Kostenübernahme für den Beitritt zu einer geeigneten Industrieinitiative oder für die Überprüfung durch unabhängige Dritte.

Managementpflichten

Die Unternehmensleiter der betroffenen EU-Unternehmen sind für die Einführung und Beaufsichtigung der genannten Sorgfaltspflichten verantwortlich, wobei Beiträge von Interessensgruppen zu berücksichtigen sind (Art.26). Bei der Erfüllung ihrer Pflicht, im besten Interesse der Gesellschaft zu handeln, soll die Unternehmensleitung gemäß Art.25 die Folgen ihrer Entscheidungen für die Nachhaltigkeit, gegebenenfalls auch für die Menschenrechte, den Klimawandel und die Umwelt berücksichtigen. Die Mitgliedstaaten sollen hierzu auch gesetzliche Rahmen für Verstöße gegen diese Vorgaben schaffen.

Beschwerde-Mechanismen

Zu unterscheiden sind ein unternehmensinternes sowie ein nationales Beschwerde-System: Um die Verletzung oder den Verdacht einer Verletzung der Sorgfaltspflichten anmelden zu können, soll das Unternehmen einen Beschwerde-Mechanismus (Art. 9) implementieren. Das Recht zur Beschwerde haben direkt betroffene Personen sowie Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen (NGO). Dem Beschwerdeführer soll neben einem Follow-Up zur Beschwerde auch ein Treffen mit Vertretern des Unternehmens eingeräumt werden. Mitgliedstaaten sollen außerdem nationale Stellen für die Bearbeitung von Verdachtsfällen aufbauen (Art. 19). Dabei sollen alle Personen, die sich an Beschwerdestellen wenden, unter die Hinweisgeberrichtlinie der EU fallen (Art. 22).

Überprüfungs- und Berichtspflichten

Art. 10 schreibt vor, das eigene Handeln, das Handeln der Tochterunternehmen und der Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette mindestens einmal pro Jahr zu überprüfen. Gemäß Art. 11 sollen betroffene Unternehmen regelmäßig über die Umsetzung der Sorgfaltspflichten berichten (Ausnahme sind Unternehmen, die unter die Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD, fallen). Die Kommission erarbeitet im Rahmen eines delegierten Rechtsaktes einen Kriterienkatalog für die Ausarbeitung der Berichtspflicht.

Weitere Pflichten für europäische Unternehmen der Gruppe 1

Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von mehr als 150 Mio. Euro sollen einen "Übergangsplan" erstellen (Art.15). Dieser soll aufzeigen, wie das Geschäftsmodell und die Strategie des Unternehmens mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und mit der Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C vereinbar sind. Falls der Klimawandel als Hauptrisiko für die Geschäftstätigkeit des Unternehmens identifiziert wird, muss der Plan Ziele zur Reduktion der Emissionen enthalten. Die Einhaltung des Plans soll bei der Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung berücksichtigt werden.

Managementpflichten

Die Leitung der betroffenen EU-Unternehmen ist für die Einführung und Beaufsichtigung der genannten Sorgfaltspflichten verantwortlich, wobei Beiträge von Interessensgruppen zu berücksichtigen sind (Art.26). Bei der Erfüllung ihrer Pflicht, im besten Interesse der Gesellschaft zu handeln, soll die Unternehmensleitung gemäß Art.25 die Folgen ihrer Entscheidungen für die Nachhaltigkeit, gegebenenfalls auch für die Menschenrechte, den Klimawandel und die Umwelt berücksichtigen. Die Mitgliedstaaten sollen hierzu auch gesetzliche Rahmen für Verstöße gegen diese Vorgaben schaffen.

Sanktionen (Art.20)

Die Mitgliedstaaten bestimmen über die Sanktionen, die wirksam, verhältnismäßig sowie abschreckend sein und sich am Umsatz des Unternehmens orientieren sollen. Bei der Bemessung der Sanktion soll das Bemühen des Unternehmens berücksichtigt werden. Falls ein Unternehmen sanktioniert wird, so muss die Entscheidung der nationalen Kontrollbehörde veröffentlicht werden und das Unternehmen gemäß Art. 24 bei öffentlichen Fördermaßnahmen ausgeschlossen werden.

Zivilrechtliche Haftung (Art. 22)

Unternehmen müssen für Schäden haften, wenn sie gegen die in Art. 7 und 8 beschriebenen Sorgfaltspflichten verstoßen haben UND infolge des Pflichtverstoßes eine „nachteilige Auswirkung“ eingetreten ist, die zu einem Schaden geführt hat. Die Mitgliedstaaten sollen dafür einen entsprechenden Haftungstatbestand für Schäden schaffen. Unternehmen müssen jedoch nicht für Schäden haften, die durch die Aktivitäten eines indirekten Geschäftspartners entstanden sind. Hier reicht es, ein ernsthaftes Bemühen zur Vermeidung des Schadens nachzuweisen.

Guidelines und weitere flankierende Maßnahmen (Art. 13 und 14)

Die Kommission plant Leitlinien, insbesondere für bestimmte Sektoren. Um Unternehmen bei der Erfüllung der Sorgfaltspflichten und Informationsgewinnung zu unterstützen, sollen die Mitgliedsstaaten Webseiten und Plattformen zur Verfügung stellen. Außerdem wird Ihnen gewährt, KMU finanziell zu unterstützen.