Vom Auto aufs E-Lastenrad umsteigen – unabhängig vom Geldbeutel
Ein E-Cargo-Bike ist schon praktisch, wenn man mal einen größeren Einkauf mit dem Fahrrad tätigen möchte oder einen Wochenendausflug plant. Doch nicht für jeden lohnt es sich, ein eigenes Lastenrad anzuschaffen. Das Start-up Sigo aus Darmstadt bietet hierfür mit seinem Sharing-Modell eine Alternative.
Autorin: Jule Mott, 12. April 2021
Als Student steht Tobias Lochen vor einigen Jahren mit einer Kiste Bier in der Hand vor dem Supermarkt und fragt sich, wie er das Ding nun ohne Auto nach Hause bekommen soll. Jetzt schnell ein Lastenrad leihen, das wär’s, denkt er. Und weil es ein solches Sharing-Modell bisher noch nicht gibt, entscheidet er sich, selbst einen solchen Service anbieten zu wollen. „Wir brauchen eine Alternative zwischen Auto und Fahrrad – und diese Lücke füllt das elektrische Lastenrad perfekt“, sagt der Jungunternehmer. Er ist sich sicher, dass viele gern aufs E-Cargo-Bike umsteigen würden, zum Beispiel für den Wocheneinkauf oder einen Picknick-Ausflug. Aber ein eigenes E-Lastenrad anschaffen? Bei einem Kaufpreis von um die 5.000 Euro müsse so mancher auf diese Frage mit Nein antworten, so Tobias Lochen. Und die, die es sich leisten könnten, hätten direkt das nächste Problem: den Stellplatz. „Ohne Garage oder ausreichend Platz im Hinterhof geht es nicht – und hier müssen die meisten passen.“ Auch vor diesem Hintergrund sei E-Lastenrad-Sharing attraktiv.
Zwischen dem Entschluss, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, und der Gründung von Sigo lagen zwei wilde Jahre. Tobias Lochen hatte nach seinem BWL-Studium zunächst bei verschiedenen Start-ups gearbeitet, bevor er sich selbst gemeinsam mit einer Bekannten ans Gründen wagte. Mit dem Geschäftsmodell in der Tasche ging es auf Investorensuche. „Das Klinken putzen auf der Suche nach Geldgebern zehrte schon sehr“, erinnert sich Tobias Lochen. „Ich habe ja noch nebenher für meinen Unterhalt gearbeitet.“
Kabellos Laden über ein Induktionssystem
Die Mühe hat sich jedoch gelohnt: 2017 konnte er in die Entwicklung des Prototyps einsteigen. Denn für den Sharing-Betrieb muss ein E-Cargo-Bike mehr leisten als die bis dahin am Markt erhältlichen Räder. Es muss besonders robust, nutzerfreundlich und kompatibel zur Station sein. Auch das Aufladen war ein großes Thema: „Im Gespräch mit einem Carsharing-Experten habe ich erfahren, dass viele das Auto nicht korrekt an die Ladestation stöpseln“, erzählt Tobias Lochen. „Wir brauchten also ein System, das einfach zu bedienen ist. Wir haben uns schließlich für Induktion entschieden, denn so kann das Rad ohne Kabel Strom tanken – und zwar an einer Station, an der es automatisch geladen und verschlossen wird.“
Vor dem Markteintritt erlebte Tobias Lochen einen personellen Rückschlag: Seine Mitgründerin entschied sich, aus dem Start-up auszusteigen. Doch er wusste: „Gründerteams sind erfolgreicher als Einzelgründer.“ Also holte er sich neue Verstärkung in die Geschäftsführung. Über einen Business Angel lernte er Edin Zekanovic kennen. Philipp Harter fand er über eine Stellenausschreibung. Beide verfügten damals schon über zehn beziehungsweise sieben Jahre Erfahrung bei Start-ups. Edin Zekanovic brachte neue Marketingexpertise, Philipp Harter umfangreiches Know-how in Sachen Finanzierung mit.
„Vertrauen ist bei einem solchen Schritt ganz entscheidend“, meint Tobias Lochen. „Bei den beiden weiß ich, dass ich mich auf sie und ihr Können verlassen kann.“ Doch auch die Hilfe von außerhalb sollte bei einer Gründung auf keinen Fall unterschätzt werden. Die erhielt Sigo unter anderem in Form einer Förderung des House of Logistics and Mobility in Frankfurt, von den Business Angels FrankfurtRheinMain und vom Land Hessen. „Gründen ist keine One-(Wo-)Man-Show. Man braucht ein großes Netzwerk – und das hatten wir.“
Dieser Gedanke spielte auch bei der Wahl des Standortes eine Rolle. Ein Coworking-Space sollte es sein, aber die meisten in der Region boten Büros ohne Werkstätten oder Lagerräume – für die Hardwareentwicklung ungeeignet. Die Gründer schauten sich schließlich das Technologie- und Gründerzentrum HUB31 in Darmstadt an und waren sofort begeistert. „Der Mix aus der Möglichkeit, sich als Unternehmen zu vergrößern, der angeschlossenen Werkstatt und der Lage zum Hauptbahnhof zentral im Rhein-Main-Gebiet ist einfach ideal. Zumal ein solches Umfeld ein ganz eigenes Ökosystem ist, in dem man gegenseitige Unterstützung erfährt“, meint Tobias Lochen. Besonders die Möglichkeit zur Vergrößerung hat Sigo bereits ordentlich genutzt: „Am Anfang hatten wir nur ein Büro, mittlerweile eine ganze Etage.“
App runterladen, Code scannen und losdüsen
Seit dem Markteintritt im März 2020 geht es steil bergauf. Aktuell ist Sigo in zehn Städten präsent und arbeitet dort mit Wohnungsunternehmen, der Stadt oder dem ÖPNV zusammen, die die Flächen für die Radstationen zur Verfügung stellen. Das Feedback der Kunden bisher: hochzufrieden. Über eine App können sie 30 Minuten bevor es losgehen soll, ein Bike reservieren. Wer es lieber spontaner mag, geht einfach zur Station und scannt den QR-Code eines Fahrrads ein. Das geht mittlerweile direkt über die Smartphone-Kamera, eine zusätzliche Scanner-App braucht man bei vielen Handys nicht mehr.
Jedes Rad ist mit einem Rahmenschloss ausgestattet, das über die App geöffnet und für sichere Zwischenstopps geschlossen werden kann. Bei der Rückgabe wird es wieder in die Station geschoben – damit endet die Buchung automatisch. So entfällt auch das Problem, dass Räder wild in der Stadt abgestellt und mühselig wieder eingesammelt werden müssen.
Für die Zukunft von Sigo heißt die Losung: mehr Städte, mehr Stationen, mehr Räder. „Wir wollen Marktführer werden, das ist für uns klar“, sagt Tobias Lochen. Nach eigenen Angaben ist Sigo aktuell einer der wenigen kommerziellen Anbieter in diesem Bereich. „Wenn man ein Full-Service-Angebot sucht, das sieben Tage die Woche rund um die Uhr verfügbar ist, dann sind wir der richtige Partner.“ E-Cargo-Bike-Sharing ist für Tobias Lochen jedoch nicht nur ein Geschäftsmodell. „Da steckt auch ein demokratischer Gedanke dahinter.“ Immer mehr Menschen wohnen in Städten, wo die Parkflächen kaum ausreichen. Hinzu kommt das steigende ökologische Bewusstsein der Verbraucher. „Das Fahrrad ist das Verkehrsmittel der Zukunft“, ist Tobias Lochen überzeugt. „Mit unserem Sharing-Angebot ermöglichen wir es allen, vom Auto aufs Lastenrad umzusteigen – unabhängig vom Geldbeutel.“
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Matthias Voigt
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