Fliegenlarven statt Sojaimport
Für die Fütterung von Haus- und Nutztieren wird enorm viel Eiweiß benötigt. Weil es davon in Europa nicht genug gibt, wird dieses in großen Mengen importiert. Das Pfungstädter Unternehmen Probenda gewinnt hochwertiges tierisches Protein aus den Larven der Schwarzen Soldatenfliege. Das Vielversprechende daran: Das Insekt kann problemlos gezüchtet werden, denn es stellt keine großen Ansprüche.
Autor: Stephan Köhnlein, 28. November 2022
Wie kann eine gute Nahrungsmittelversorgung dauerhaft funktionieren, ohne dabei Ressourcen zu verschwenden und wichtige Lebensräume zu zerstören? Insekten gelten als eine wichtige Proteinquelle für die Zukunft. Für unseren Kulturkreis klingt das ungewöhnlich, in Afrika, Asien oder Südamerika hingegen gelten Heuschrecken, Ameisen, Raupen oder Mehlwürmer nicht nur als günstige Eiweißlieferanten, sondern vielfach als Delikatesse. Und so finden Produkte wie Brote oder Burger mit Insektenmehl immer wieder den Weg in unsere Supermarktregale oder auf die Speiseteller exklusiver, experimenteller Restaurants.
Doch nicht nur für den Menschen haben die Insekten Potenzial. „Wir haben gerade bei Futtermitteln für Nutztiere eine große Eiweißlücke in Europa und müssen deshalb unter anderem unglaublich viel Soja importieren“, erklärt Luisa Benning. „In anderen Ländern werden für den Sojaanbau die Regenwälder abgeholzt. Und die langen Transportwege sind nicht nur klimaschädlich, sondern auch sehr störanfällig, wie die Corona-Pandemie gezeigt hat.“
Als Luisa Benning und ihr Mann Christian in der Elternzeit drei Monate mit dem Wohnmobil in Osteuropa unterwegs waren, standen sie in der Mitte ihres Berufslebens und wollten etwas Neues machen. Die gelernte Tierarzthelferin und studierte Agrarwissenschaftlerin war Produktmanagerin für Tierfutter. Christian Benning hatte zunächst als Heizungs- und Lüftungsmonteur gearbeitet, später Betriebswirtschaftslehre studiert und war Produktions- und Logistikleiter bei einem Fahrradhersteller in Südhessen. Da kam ihnen die Idee, die Eiweißlücke auf dem europäischen Futtermittelmarkt mit einer Insektenlarve zu verkleinern.
Als Luisa und Christian Benning während ihrer Elternzeit mit dem Wohnmobil in Osteuropa unterwegs waren, kam ihnen die Idee, beruflich noch mal etwas Neues zu wagen.
© IHK Darmstadt / Markus Schmidt
Ein anspruchsloser Allesfresser
Hermetia illucens – so lautet der wissenschaftliche Name der Schwarzen Soldatenfliege. Das bis zu 17 Millimeter lange Insekt stammt aus den tropischen und subtropischen Breiten Amerikas. Heute ist es wegen der Verschleppung durch den Menschen nahezu weltweit verbreitet. Was diese Fliege von anderen essbaren Insekten wie Mehlwürmern oder Grillen unterscheidet: Ihre Larven fressen alles. Und weil die Tiere in der Kinderstube so viel Energie sammeln, muss später die erwachsene Fliege – anders als etwa die Stubenfliege - nichts mehr fressen. Mit einem Anteil von 60 Prozent tierischem Protein sind die Larven als Eiweißträger zudem sehr gehaltvoll.
Nach der Wohnmobiltour begannen die Bennings mit der Zucht – zunächst im heimischen Keller. Obwohl Luisa Benning von ihrer Arbeit in der Tierklinik einiges gewohnt war, musste selbst sie etwas schlucken, als das erste Paket mit Larven ankam. „Ich habe gedacht: Echt jetzt, damit wollen wir arbeiten?“ Ohnehin sei die Startphase „gewöhnungsbedürftig“ gewesen. „So eine Nutztierhaltung stinkt schon ziemlich“, sagt sie. „Wir haben das bei uns im Haus dann abgebrochen, als die Großeltern an Weihnachten zu Besuch kamen.“ Bis dahin hatten sie jeden Tag eine Kiste mit Insekten gezüchtet.
Die Ergebnisse haben sie jedoch überzeugt. Sie kündigten ihre sicheren Jobs, mieteten eine 1.200 Quadratmeter große Halle in Pfungstadt und begannen mit den Umbauarbeiten. Im Sommer 2021 zogen dann die ersten Fliegen ein. Aktuell wird dort der größte Teil der Larven verarbeitet, nur zwei bis vier Prozent lässt man derzeit schlüpfen. Doch wenn man diese Quote erhöhen würde, ließe sich die Produktion schnell hochfahren.
Produziert wird quasi ohne Abfälle
Zur Verarbeitung werden die Larven bei großer Hitze getötet und dann hygienisiert. Die getrockneten Larven gehen in den Haustierfutterbereich oder ins Urban Farming, bei dem Menschen zum Beispiel Hühner in der Stadt züchten. Ein Teil der Larven wird zudem durch Entfetten und Pressen weiterverarbeitet. Der Presskuchen, der so entsteht, wird gemahlen und ebenfalls als Haustierfutter verwendet. Das Öl ist momentan für Wildvogelfutter wie Meisenknödel gefragt. Von der Zusammensetzung ist es vergleichbar mit dem umstrittenen Palmöl. Man könnte das Insektenlarvenöl auch als nachhaltige Alternative für die Produktion von Kosmetika verwenden oder für Seifen und Waschmittel. Doch mehrfach bekamen die Bennings von Bio-Anbietern schon den Einwand zu hören, dass ihr Produkt ja nicht vegan sei.
Was dann noch übrig bleibt, ist das Restfuttersubstrat, also die Ausscheidungen der Larven. Diese eignen sich laut dem Unternehmerehepaar hervorragend als organischer Dünger. Insgesamt handele es sich um eine Zero-Waste-Produktion, bei der so gut wie kein Abfall entstehe. „Wir haben eine kleine Restmülltonne, die alle zwei Wochen geleert wird. Das reicht völlig aus“, sagt Luisa Benning.
Seit November 2021 dürfen die Bennings verkaufen. „Es gibt zwar einige Anbieter, die Futter auf Insektenbasis für Hunde oder Katzen verkaufen. Aber wir sind die Ersten, in Deutschland die eine Zulassung für Nutztiere haben“, sagt sie nicht ohne Stolz. Für die Landwirtschaft seien die Proteine aus den Fliegenlarven allerdings noch zu teuer. Zwischen 3,50 Euro und 4 Euro koste das Kilo Futter auf Larvenbasis. Bei Soja würden die Bauern schon stöhnen, wenn der Preis über 70 Cent gehe.
Mit den Larven der Schwarzen Soldatenfliege will das Pfungstädter Start-up Probenda die Eiweißlücke auf dem europäischen Futtermittelmarkt schließen.
© IHK Darmstadt / Markus Schmidt
Unerwartete Hürden bei der Haltung
Bei der Fütterung der Laven gibt es zahlreiche Möglichkeiten, wie Luisa Benning sagt. Aber sie und ihr Mann seien zunächst etwas blauäugig gewesen, was die rechtlichen Vorgaben angehe: „Wir mussten lange mit den Behörden verhandeln, weil wir tierische Nebenprodukte verarbeiten. Da gibt es sehr strenge Verordnungen für die Zulassung.“
Weil die Larven als Nutztiere zählen, darf man ihnen nur zugelassenes Futter geben. Damit fielen zum Beispiel Reste aus Großkantinen weg. Auch Schlachtnebenprodukte, die heute größtenteils verbrannt werden, seien nicht erlaubt. Gleiches gelte für Bioabfälle, die auf Kompostieranlagen landeten, obwohl sich durch die Larven der Kompostierprozess um etwa die Hälfte verkürzen ließe. „Die Nutztierverordnung hat Insekten einfach nicht auf dem Schirm“, sagt Luisa Benning. Derzeit bekommen die Larven zum Beispiel Ausputz aus Mühlen zu fressen, dazu etwa Abschnitte von Champignons aus Konservenfabriken oder die Obst- und Gemüseabfälle von Supermärkten.
Noch stecke in der Produktion vieles in den Kinderschuhen. In der Pilotanlage werden momentan pro Tag 600 Kilogramm Larvenlebendmasse verarbeitet. Die Bennings aber wollen wachsen und streben eine effizientere und stark automatisierte Großanlage an, die solche Mengen nicht pro Tag, sondern in der Stunde produzieren können. Das würde auch die Insekten als Tiernahrung günstiger und zu einer Option für eine nachhaltigere Landwirtschaft machen.
Für den menschlichen Verzehr ist die Schwarze Soldatenfliege allerdings keine Option. „Natürlich haben wir sie mal probiert und auch schon Lebensmittel mit dem Öl aus der Larve angebraten. Uns hat das geschmacklich nicht überzeugt“, sagt Luisa Benning lachend. Haus- und Nutztiere sind zum Glück nicht ganz so wählerisch.
Von der Geschäftsidee sind die Bennings weiter überzeugt, und auch andere haben sie für das Modell begeistern können: Probenda wurde in der Kategorie „Innovative Geschäftsidee“ mit dem Hessischen Gründerpreis 2022 ausgezeichnet. Die Bennings hoffen, dass so die gesamte Thematik von Insekten als Proteinbasis, aber auch allgemein von organischem Upcycling mehr Präsenz in Öffentlichkeit und Politik erhält. „Es gibt keinen Abfall, sondern nur Reststoffe, die für andere wieder Rohstoffe sind“, sagt Luisa Benning.
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