Biokunststoff für die Medizin
Das Gesundheitswesen hat in Deutschland einen Anteil von 5,2 Prozent am Klimagasausstoß. Ein Grund dafür ist die Verwendung von Einwegkunststoff auf fossiler Basis. Mit den biobasierten Kunststoffen des Darmstädter Unternehmens Biovox lässt sich der CO2-Fußabdruck deutlich reduzieren – davon sind die Gründer überzeugt. Bis zur Marktreife in der Medizintechnik ist es für diese Produkte jedoch ein langer und manchmal auch steiniger Weg.
Autor: Stephan Köhnlein, 4. Januar 2023
Biovox
Als Grundlage für biobasierten Kunststoff eignen sich alle Pflanzen, die Stärke und Zucker enthalten. „Das sind vor allem Mais und Zuckerrohr. Bei der Zuckerrübe werden die Lieferketten gerade aufgebaut, das dauert noch ein paar Jahre“, erklärt Carmen Rommel. Auch Ölpflanzen wie Rizinus seien eine Option – allerdings eher für Spezialkunststoffe, weil man dafür viel Anbaufläche benötige. Die Pflanzen werden in einen Bioreaktor gepackt, wo sich Bakterien darüber hermachen. So entstehen die benötigten Basismaterialien, die Biovox von Lieferanten bezieht. Aus diesen Bausteinen produziert das Unternehmen dann den entsprechenden Kunststoff.
Drei Maschinenbauer auf der Suche nach der richtigen „Backmischung“
„Kunststoff ist wie eine Backmischung“, erklärt Julian Lotz, ebenfalls Geschäftsführer von Biovox. „Beim Backen rühre ich als größten Bestandteil das Mehl ein. Das sind beim Kunststoff die Polymere – und die können ganz unterschiedlich sein, so wie man ja auch mit Weizen-, Roggen- oder Hafermehl backen kann.“
Bei Kunststoffen seien unterschiedliche Eigenschaften gefragt. Da kommt es zum Beispiel darauf an, wie weich oder steif er ist, wie die Oberfläche beschaffen ist oder ob er antimikrobiell ist. „Das erreichen wir durch bestimmte Additive und Füllstoffe. So stellen wir dann die entsprechenden Rezepte zusammen“, sagt Julian Lotz. Darüber hinaus sorge Biovox für die Qualitätssicherung, stelle zum Beispiel sicher, dass die Kunststoffe keine Hautreizungen auslösen oder gar krebserregende Stoffe absondern.
Gefunden haben sich Carmen Rommel und Julian Lotz an der TU Darmstadt. Als sie im Dezember 2019 ihre Idee dann beim „Startup & Innovation Day“ präsentierten, lernten sie ihren dritten Mitstreiter Vinzenz Nienhaus kennen. „Wir wollten alle selbst etwas gestalten“, erklärt Carmen Rommel. „Das hat dann ganz gut gepasst.“
Die Gründer von Biovox (von links): Julian Lotz, Vinzenz Nienhaus und Carmen Rommel
© IHK Darmstadt / Markus Schmidt
Alle drei sind studierte Maschinenbauer – allerdings mit sehr unterschiedlichen Ausrichtungen: Vinzenz Nienhaus hatte sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit dem 3-D-Druck von Knochenersatzmaterialien aus Biokunststoffen auseinandergesetzt. Der Schwerpunkt von Julian Lotz lag auf den Themen Produktentwicklung und Risikobetrachtung. Carmen Rommel hatte sich vor allem mit Nachhaltigkeitsthemen befasst.
Schon bevor Vinzenz Nienhaus dazustieß, hatten sich die beiden anderen für ein „Hessen-Ideen“-Stipendium beworben, das sie dann auch erhielten. Es folgte ein „Exist“-Stipendium, mit dem Gründungen aus der Wissenschaft vom Bund gefördert werden. Ende 2020 gründeten die drei schließlich ihre GmbH. Die Startphase fiel damit genau in den Beginn der Corona-Pandemie. „Natürlich haben die Lieferungen länger gedauert“, sagt Carmen Rommel. „Aber das Hauptproblem waren die fehlenden Messen. Man kann viel online machen, aber der persönliche Kontakt ist viel besser. Als wir später zum ersten Mal auf eine Messe konnten, hat uns das mehr Kundenkontakte und Interessenten gebracht als all die Monate mit unseren Online-Aktivitäten.“
In der Medizintechnik ist es ein langer Weg bis zur Marktreife
Anders als viele andere Start-ups benötigt Biovox einen ausgesprochen langen Atem. Vor Serienreife in der Medizintechnik stehen Machbarkeitsstudien, Produktentwicklung und Zulassung. Letztere umfasst oft klinische Studien, teilweise mit der Überprüfung, wie die Materialen in Echtzeit altern. „Da kommt man schon in Bereiche von zwei bis fünf Jahren, bis ein Kunde das Material tonnenweise benötigt“, sagt Julian Lotz.
Noch ist man deswegen vor allem auf Investoren angewiesen. Das entwickele sich gut, immer öfter kämen Interessenten auf das Unternehmen zu. Die nächste Investitionsrunde steht für Mitte 2023 an, vielleicht auch schon ein bisschen früher. „Wir können ein bisschen schneller wachsen als geplant. Und das muss finanziert werden“, erklärt Julian Lotz. „Da gilt der bekannte Start-up-Spruch: Nach der Runde ist vor der Runde.“
Das Potenzial für klimaschonende Medizintechnik ist groß. Julian Lotz verweist auf Berechnungen der Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Demnach ist der Gesundheitssektor in Deutschland für 5,2 Prozent der klimaschädlichen Emissionen verantwortlich. Dabei ist der Exportanteil − auch durch Medizintechnik − noch nicht eingerechnet.
Das Hauptprodukt von Biovox ist zu 100 Prozent biobasiert, was den CO2-Fußabdruck deutlich verringert.
© IHK Darmstadt / Markus Schmidt
„Weil in der Medizin Menschenleben gerettet werden, stand die Frage nach der Nachhaltigkeit der Gebrauchsartikel lange nicht im Vordergrund“, sagt Julian Lotz. „Doch schon seit einiger Zeit hat hier ein deutliches Umdenken eingesetzt.“ Einen zusätzlichen Schub habe dabei auch die EU-Gesetzgebung mit den verschärften Klimaschutzanforderungen gegeben.
Noch seien die biobasierten Kunststoffe teurer als ihre fossilen Konkurrenten. Das liegt unter anderem auch daran, dass noch geringere Mengen produziert würden. Allerdings schlage sich das im Endpreis oft nur um wenige Prozent nieder, weil die Produkte häufig zu großen Teilen aus anderen Materialien bestehen.
Und aktuell verkleinere sich das Preisdelta ohnehin. Zuletzt seien die Preise für fossile Rohstoffe stark gestiegen, während Biokunststoffe preislich relativ stabil geblieben seien. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck strebe an, die Befreiung fossiler Kunststoffe von der Mineralölsteuer abzuschaffen. „De facto gibt es im Moment noch eine staatliche Subvention für diese Kunststoffe“, sagt Julian Lotz.
Um den langen Weg bis zur Marktreife zu überbrücken, hat sich das Team bereits zu Beginn entschieden, mit Handy-Hüllen aus Biokunststoffen ein Consumer-Produkt auf den Markt zu bringen, um wenigstens ein bisschen Geld verdienen zu können. Doch die Hüllen konnten sich nicht durchsetzen. „Das hat uns ein bisschen Geld, aber vor allem viel Zeit gekostet“, räumt Julian Lotz ein. „Aber wir haben auch viel dabei gelernt.“
Insgesamt fühle es sich gut an, wenn die eigene Tätigkeit einen Sinn ergebe und positive Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft habe, sagt Julian Lotz. Das betreffe nicht nur die eigene Motivation. „Die Kombination aus Medizintechnik und Nachhaltigkeit trifft den Nerv der Zeit. Das merken wir immer wieder, wenn wir mit Talenten und guten Absolventen in Kontakt zu kommen.“
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