Leitbild für Geschäftsleute

Was macht verantwortungsvolle Teilhabe am Wirtschaftsleben aus?

Menschliches Zusammenwirken jeglicher Art baut auf Vertrauen auf. Das gilt auch fürs Geschäft. Das, was allgemeiner Konsens für fairen Umgang im Wirtschaftsleben ist, beschreibt seit dem Mittelalter das Leitbild des „Ehrbaren Kaufmanns“. Braucht es ein solches Leitbild heute noch? Ja, entschied die Vollversammlung der IHK Darmstadt. Allerdings eines, das im Kontext der heutigen Zeit steht.
Autorin: Veronika Heibing, 4. Februar 2021
Die Wirtschaftskriminalität geht in Deutschland seit Jahren zurück. Das sagen offizielle Analysen wie etwa das Lagebild des Bundeskriminalamts (BKA). Zahlen lügen nicht. Doch bleiben trockene Berichte in der öffentlichen Wahrnehmung nicht so stark hängen wie reißerische Schlagzeilen über die frisierten Bilanzen eines Zahlungsverkehrsdienstleisters oder eine Abgasaffäre, die Manager mächtiger Automobilkonzerne aus dem Amt fegt. Und weil sich schlechte Nachrichten besser verkaufen als gute, findet man auch mehr Storys über menschliches Fehlverhalten, insbesondere auf Managementebene, als über verantwortungsvolle Unternehmensführung.
Das Fehlverhalten Einzelner schadet nicht nur deren Geschäft. Es schadet dem Image von Unternehmertum. So zeigt eine FORSA-Umfrage, dass das Ansehen von Unternehmern innerhalb der Bevölkerung und das Vertrauen in die Wirtschaft in den vergangenen Jahren stark gesunken ist. Auch hält die Politik stellenweise neue gesetzliche Regelungen für notwendig, um Fehlverhalten zu verhindern. So benennt Bundesjustizministerin Christine Lambrecht Skandale wie „Dieselgate“ als Grund dafür, ein Unternehmensstrafrecht in Deutschland einführen zu wollen. In diesem Zusammenhang irritiert nicht nur, dass das Bundesjustizministerium offenbar annimmt, dass Wirtschaftskriminalität derzeit nicht wirksam bekämpft werden könne, obwohl die Statistiken des BKA etwas anderes sagen. Der Gesetzesentwurf unterstellt zudem, dass mit der gewinnorientierten Betätigung von Unternehmen in einem von Konkurrenz geprägten Markt ein systemimmanentes Risiko einhergeht, Straftaten zu begehen. Eine Bewertung, die aus Sicht der IHK ein wirklichkeitsfremdes, negatives Bild von Unternehmertum zeichnet.

Es ist kaufmännisches Eigeninteresse, verantwortungsvoll zu wirtschaften

Die Frage, inwieweit Gewinnorientierung moralisch wünschenswertes Handeln zulässt, findet sich immer wieder in der öffentlichen Debatte. Ist Geldverdienen etwas Schlechtes und muss man sich dafür schämen, wenn man als Unternehmer den wirtschaftlichen Erfolg im Blick hat? „Das Gefühl kann man schnell bekommen, auch weil in der Debatte oft der Vorwurf mitschwingt, Unternehmern gehe der Profit vor das Wohl der eigenen Mitarbeiter oder der Umwelt“, sagt Christian Jöst, Vizepräsident der IHK Darmstadt und Vorsitzender des Lenkungskreises „Unternehmen Verantwortung“. „Dabei gebietet allein schon der kaufmännische Sachverstand, verantwortungsvoll zu wirtschaften, denn nur das garantiert langfristigen unternehmerischen Erfolg.“
Genau dieser Grundsatz findet sich auch in den Leitwerten des „Ehrbaren Kaufmanns“ – ein historisch gewachsenes Leitbild, das im Mittelalter seinen Ursprung nahm. Der „Ehrbare Kaufmann“ steht als Vorbild für das rational handelnde Wirtschaftssubjekt. Seine Grundsätze definieren, was redliches Verhalten im Wirtschaftsleben ausmacht. Doch ist dieses Leitbild vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen noch zeitgemäß? Bis heute haben die Industrie- und Handelskammern den Auftrag, sich für die Wahrung von Anstand und Sitte im Wirtschaftsleben einzusetzen. Der Lenkungskreis „Unternehmen Verantwortung“ der IHK Darmstadt hat sich deshalb mit dieser Frage auseinandergesetzt und kam zu dem Schluss: Die Grundsätze des ehrbaren Kaufmanns sind nach wie vor gültig, sie müssen jedoch in die heutige Zeit übersetzt und um zentrale Aspekte ergänzt werden.
Daraus entstand das „Leitbild für verantwortungsbewusste, vertrauenswürdige Geschäftsleute“ , das im vergangenen Jahr einstimmig von der IHK-Vollversammlung verabschiedet wurde.
„Der Begriff des ehrbaren Kaufmanns mag verstaubt wirken, die Ideen dahinter sind es nicht“, sagt Christian Jöst. „Menschliches Zusammenwirken jeglicher Art baut auf Vertrauen in gemeinsame Werte und Gepflogenheiten auf. Ohne ein solches Grundvertrauen entsteht auch kein Geschäft. Es ist also kaufmännisch klug, in dieses Sozialkapital zu investieren.“

Das Leitbild macht keine Vorgaben, sondern gibt Orientierung

Wer sich an den üblichen Regeln des menschlichen Miteinanders orientiere, baue sich einen Ruf als vertrauenswürdige Geschäftsfrau oder vertrauenswürdiger Geschäftsmann auf. Allein Gesetze einzuhalten, reiche nicht aus, meint Christian Jöst, denn: Nicht alles, was rechtlich korrekt sei, sei auch redlich. Das Leitbild der IHK Darmstadt macht keine Vorgaben, sondern soll in zehn Leitwerten Orientierung geben, was redliches Verhalten im Wirtschaftsleben ausmacht. Darunter finden sich klassische Grundsätze des ehrbaren Kaufmanns, wie etwa, zu seinem Wort auch zu stehen. Aber auch neue Leitwerte wurden hinzugefügt. „Besonders wichtig war es uns, klarzumachen: Gute Geschäftsleute lassen sich vom langfristigen und nachhaltigen Erfolg ihres Unternehmens leiten. Und der ist nur möglich, wenn sie den Auswirkungen ihres wirtschaftlichen Handelns auf ihr soziales Umfeld, die Umwelt und das Klima Rechnung tragen“, erklärt Christian Jöst.
Das neue Leitbild nimmt damit auch Bezug auf den Klimawandel, der Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen vor Herausforderungen stellt. Darüber hinaus unterstreicht es die besondere Verantwortung für die Region. Denn Geschäftsleute sind auch Bürger, leben mit ihren Familien hier und wünschen sich für sich selbst und ihre Kinder eine lebenswerte Zukunft, betont Christian Jöst: „Wir setzen uns für einen starken Wirtschaftsstandort und lebenswerte Städte und Gemeinden ein. Wir unterstützen Sportvereine, fördern Kulturprojekte, sind ehrenamtlich im Gemeinderat tätig und vieles mehr. Verantwortung für die Region gehört zu unserem Selbstverständnis.“ Unternehmer engagierten sich vielfach weit über gesetzliche Vorgaben und ihr eigentliches Geschäft hinaus – weil sie es wollen, nicht weil sie es müssen, meint der IHK-Vizepräsident. Diese Tatsache komme in den öffentlichen Debatten oft viel zu kurz.
Dass sich Geschäftsleute zudem als starke Solidargemeinschaft verstehen, habe die Coronakrise gezeigt. „In Krisenzeiten wird das eigene Wertegerüst auf eine harte Probe gestellt. Doch verantwortungsbewusste Geschäftsleute orientieren sich auch in schwierigen Zeiten an ihrem Wertekompass und bilden eine Gemeinschaft, die sich durch gegenseitige Unterstützung auszeichnet“, sagt Christian Jöst. Viele Unternehmen seien in der Coronakrise ihren Geschäftspartnern beispielsweise bei Liefer- oder Zahlungsfristen entgegengekommen, wenn sie konnten. Viele hätten Instrumente wie Kurzarbeitergeld genutzt, um ihre Mitarbeite zu halten. „Solidarität ist wichtig, um ein Wirtschaftssystem krisenresistent zu halten.“

Die Leitwerte sollen auch angehende Fach- und Führungskräfte erreichen

Das Leitbild wurde von Unternehmer entwickelt, richtet sich jedoch an alle, die in oder für Unternehmen Entscheidungen treffen.
„Als Unternehmer kann ich die Rahmenbedingungen für verantwortungsbewusstes Handeln setzen und mein Vorbild hat wesentlichen Einfluss auf meine Mitarbeiter. Letztlich ist jedoch jeder selbst für sein Handeln verantwortlich – von der Führungskraft bis zum Azubi“, erklärt Christian Jöst.
Um auch angehende Fach- und Führungskräfte aus der Region mit dem Thema verantwortungsvolle Teilhabe am Wirtschaftsleben vertraut zu machen, will die IHK Darmstadt ihren Prüfungsabsolvent das Leitbild künftig zusammen mit dem Abschlusszeugnis aushändigen. Zusätzlich wird bei den Absolventenfeiern der IHK-Aus- und Weiterbildungsprüfungen, die zweimal im Jahr stattfinden, auf die Leitwerte hingewiesen. Darüber hinaus wird aktuell geprüft, an welchen Stellen die Leitwerte in die Lehrinhalte der Berufsbildung einfließen können. Ebenso will die IHK auf Hochschuleinrichtungen in Darmstadt zugehen, um auch hier die Fach- und Führungskräfte sowie die Unternehmer von morgen zu erreichen.
„Mit der Modernisierung unserer Leitwerte wollen wir zeigen, dass wir uns als Unternehmerschaft sehr aktiv mit der Thematik auseinandersetzen, was verantwortungsvolles Wirtschaften für uns bedeutet. Zugleich wird die IHK ihrer Aufgabe gerecht, dass diese Leitwerte an Nachwuchs-, Fach- und Führungskräfte herangetragen werden. Das ist ein erster Schritt, um auch die öffentliche Debatte um die Rolle von Unternehmertum stärker in unserem Sinne zu begleiten“, sagt Christian Jöst.
Warum wir über die Rolle von Unternehmertum reden müssen
Zentrale Themen wie die Digitalisierung oder der Klimawandel stellen unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen. Die Erwartungen, die unter anderem die Verbraucher, die Politik und die allgemeine Öffentlichkeit dabei an Unternehmen stellen, sind in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Matthias Martiné, Präsident der IHK Darmstadt ist überzeugt: Nur mit der innovativen Kraft der Unternehmen und ihrer Mitarbeiter – und nicht gegen sie – können die Herausforderungen unserer Zeit gemeistert werden. Warum es ein strategisches Ziel der IHK-Vollversammlung ist, die öffentliche Debatte über die Rolle von Unternehmertum innerhalb der Gesellschaft stärker mitzugestalten, lesen Sie in diesem Kommentar.

Veronika Heibing
Geschäftsführerin
Bereich: Geschäftsstelle PERFORM - Zukunftsregion FrankfurtRheinMain
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