Unternehmensnachfolge im Ungewissen
Die Zukunft vieler Unternehmen in Südhessen ist ungewiss. Das zeigt die PERFORM-Studie der Hochschule Mainz, die unter anderem in Zusammenarbeit mit der Industrie- und Handelskammer Darmstadt erstellt wurde. Die überwiegende Mehrheit (80 Prozent) der befragten Unternehmer hat das Thema der Nachfolge nicht auf dem Schirm. Selbst bei den über 65-jährigen Unternehmerinnen und Unternehmern hat sich lediglich die Hälfte mit diesem wichtigen Thema auseinandergesetzt. Die Politik muss hier wichtige Weichen stellen, sagt IHK-Präsident Matthias Martiné.
Pressemeldung vom 20. Februar 2023
„Nicht jedes Unternehmen ist für die Ewigkeit gemacht, aber viele Unternehmen verdienen es länger zu überleben, als ihre Gründerinnen und Gründer planen. Eine Unternehmensnachfolge bedarf einer sorgfältigen Vorbereitung, weswegen Unternehmerinnen und Unternehmer sich nicht erst dann mit der Übergabe beschäftigen sollten, wenn sie aussteigen wollen oder müssen“, sagt Studienleiterin Dr. Anna Rosinus, Professorin für BWL, Management, Strategie und Entrepreneurship der Hochschule Mainz. Die Studie, die von den Industrie- und Handelskammern Darmstadt und Rheinhessen mit der Unterstützung von PERFORM begeleitet wurde, offenbart, dass nur ein Fünftel der befragten Unternehmen das Thema Nachfolge im Blick haben. Befragt wurden Unternehmerinnen und Unternehmer, die 55 Jahre und älter sind. Über die Hälfte der Befragten aus den 521 verwertbaren Aussagen sind über 60 Jahre alt. Dreiviertel der Umfrageteilnehmer sind Männer.
Risikobewusstsein bei Kleinstunternehmen deutlich geringer
Was die Untersuchung auch darlegt: Je kleiner ein Unternehmen ist, desto weniger gibt es konkrete Pläne einer Nachfolgeregelung. Bei den Kleinstunternehmen (weniger als zehn Mitarbeiter) hat sich knapp die Hälfte (46 Prozent) überhaupt keine Gedanken zu einer Nachfolge gemacht, und nur 20 Prozent haben konkrete Pläne. Das sieht bei Unternehmen ab zehn Mitarbeitern deutlich anders aus. Hier geben 45 Prozent an, dass bereits konkrete Pläne existieren. Und je mehr die Unternehmer noch operativ selbst tätig sind, desto weniger finden sie die Zeit für die Nachfolgeplanung. Eine weitere Erkenntnis: Firmen mit einer Historie über mehrere Generationen hinweg, sind besser auf die Nachfolge vorbereitet als Unternehmen ohne eine Familienhistorie. Signifikant sind auch die Unterschiede zwischen Dienstleistungen, Handel und Produzierendem Gewerbe. Während im Produzierenden Gewerbe ein Drittel der Befragten (33 Prozent) konkrete Nachfolgepläne hat, sind es im Handel nur 15 Prozent und bei den Dienstleistungen nur 19 Prozent.
Befragte halten sich noch für zu jung
Bemerkenswert sind die wesentlichen Gründe, warum keine Nachfolge geplant ist: 25 Prozent haben sich mit der Frage nicht beschäftigt, 34 Prozent meinen, das Unternehmen soll aufgelöst werden und 29 Prozent halten die Fragestellung aufgrund ihres Alters für nicht relevant – nur zur Erinnerung: über die Hälfte der Befragten sind über 60 Jahre!
„Wir sind nicht unverwundbar“, sagt daher der Präsident der IHK Darmstadt, Matthias Martiné und appelliert an die Unternehmerinnen und Unternehmer, das Thema Nachfolge rechtzeitig anzupacken, „solange man noch gesund und handlungsfähig ist“.
„Die Studie belegt anschaulich die Bedeutung von Betriebsnachfolgen und die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten. Die zentrale Aufgabe für Handwerksbetriebe, wie für sämtliche Unternehmen, ist, geeignete Nachfolgerinnen und Nachfolger für Übergaben bzw. Übernahmen zu finden“, resümiert Susanne Haus, Präsidentin der Handwerkskammer Frankfurt Rhein-Main.
Babyboomer werden große Lücke hinterlassen
Die Metropolregion Rhein-Main lebt von starken Unternehmen. Ihre Wirtschaftskraft zählt mit einer Bruttowertschöpfung von 77.361 pro Einwohner zu den höchsten Deutschlands. Bundesweit liegt der Wert laut Statistischem Bundesamt bei 70.952 Euro. Die Bruttowertschöpfung allein dieser Region ist höher als die mancher EU-Staaten wie etwa Portugal. „Damit wir wirtschaftlich auch weiter die Nase vorn haben, muss auch die Politik beim Thema Nachfolge aktiv werden“, fordert IHK-Präsident Martiné. „Denn wenn sich die Babyboomer-Generation aus dem Erwerbsleben zurückzieht, wird das eine große Lücke auf den Chefsesseln hinterlassen.“ So schätzt die KfW, dass es bis Ende 2025 rund 600.000 nachfolgeinteressierte Unternehmen geben wird. „Die Nachfolger müssen aber erstmal gewonnen und überzeugt werden, dass es sich lohnt, die Nachfolge eines Unternehmens anzutreten“, sagt der IHK-Präsident. Hier gibt es Handlungsbedarf wie die Studie zeigt: Denn ein Viertel der Studienbefragten hält es für (sehr) schwierig, eine geeignete Nachfolge zu finden. „Daher müssen wir den Unternehmern helfen und die potenziellen Nachfolger befähigen. Aber es braucht auch konkrete Maßnahmen, die im Wesentlichen die Risiken für den Nachfolgeunternehmer reduzieren und Bürokratiehemmnisse abbauen“, so Martiné. Als Beispiele nennt er unter anderem: die Haftung für Beiträge in die Sozialkassen oder Berufsgenossenschaften aus der Zeit des Vorgängers allein beim Alteigentümer zu belassen und statistische Meldepflichten über fünf Jahre auszusetzen oder zu reduzieren.
Umfangreiche Beratungsangebote von IHK und Handwerkskammer
„Wir müssen aber auch die potenziellen Nachfolger fitmachen“, sagt Martin Proba, Geschäftsbereichsleiter Unternehmen und Standort der IHK Darmstadt. Daher sei eine 100-prozentige Förderung eines Übernahmecoachings von kleinen und mittleren Unternehmen notwendig. Er verweist auch auf das umfangreiche Beratungsangebot der IHK Darmstadt, wie etwa kostenlose Sprechstunden, individuelle Beratungen, die Unternehmenswerkstatt oder die Unternehmensbörse nexxt-change, eine Plattform, auf der sich Unternehmen präsentieren können, die einen Nachfolger suchen. Über das Suchwort „Nachfolge“ sind die Angebote auf der Internetseite der IHK Darmstadt zu finden.
Auch die Handwerkskammer Frankfurt Rhein-Main (HWK) verweist auf entsprechende Angebote für ihre Mitglieder: „Die Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main bietet für ihre Mitglieder eine passgenaue Beratung zu diesem Thema und darüber hinaus gibt es Betriebsbörsen, die Übergabe- und Übernahmewillige zusammenführen“, sagt HWK-Präsidentin Susanne Haus. Die Handwerkskammer listet ihre Beratungsangebote für Mitgliedsbetriebe zentral unter www.hwk-frankfurt-rhein-main.de/unsere-beratungsangebote auf.
„PERFORM Zukunftsregion FrankfurtRheinMain“ ist eine Initiative der Wirtschaftskammern der Metropolregion. Ziel ist es, die länderübergreifende Zusammenarbeit in der Metropolregion voranzubringen, zu der die Länder Rheinland-Pfalz, Hessen und Bayern gehören. Mitglieder von PERFORM sind die IHK Aschaffenburg, die IHK Darmstadt Rhein Main Neckar, die IHK Frankfurt am Main, die IHK für Rheinhessen, die IHK Gießen-Friedberg, die IHK Limburg, die IHK Wiesbaden sowie die Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main.
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Martin Proba
Geschäftsbereichsleiter
Bereich: Unternehmen und Standort