Richtig oder gar nicht: Dr. Wildfried Berg sagt goodbye zum Ehrenamt und zu seinem Unternehmen

Eigentlich wollte er Olympiasieger über 800 Meter werden. Die Chancen standen gar nicht schlecht, denn der junge Wilfried Berg, Jahrgang 54, Schüler an der Kinder- und Jugendsportschule (KJS) in Brandenburg an der Havel, gehörte 1973 zu den zehn Schnellsten in der DDR auf den zwei Stadionrunden.
Ein Riss der Achillessehne setzte diesem ehrgeizigen Ziel ein jähes Ende. Brüche, Erfolge, Enttäuschungen, Lernphasen, Neuanfänge gehören – wie bei so vielen Menschen aus dem Osten – in die Biografie des promovierten Ökonomen und erfolgreichen Unternehmers, der ein nahezu inniges Verhältnis zu Zahlen hat. Nun ändert Wilfried Berg sein Leben nochmals radikal: Er übergibt sein Unternehmen GfP (Gesellschaft für Projektplanung und -steuerung, Sitz Schönefeld) und beendet sein rund 25-jähriges Ehrenamt in der IHK Cottbus, bei der er im Präsidium, in der Vollversammlung und im Haushaltsausschuss aktiv arbeitete. Viel Futter für ein Gespräch.
Der Leistungssport hat Sie in Ihrer Jugend geprägt. Was haben Sie davon in Ihrem Gepäck fürs Leben verstaut?

DR. WILFRIED BERG: Drei Dinge: Die Energie, alles dafür zu tun, ein Ziel zu erreichen. Das Zweite ist das Erkennen eigener Unzulänglichkeiten und daran zu arbeiten, diese zu überwinden, aber auch zu akzeptieren, dass es Grenzen gibt. Und natürlich die Selbstständigkeit, zu der auch das Zeitmanagement gehört.
Zu Ihren beruflichen Stationen gehörten vor der Wende ein abgeschlossenes Studium der Außenwirtschaft, die wissenschaftliche Tätigkeit am Institut für Internationale Beziehungen in Potsdam-Babelsberg, Auslandsaufenthalte in Angola und Mosambik, eine anstehende Professur. Dann kam die Wende …
DR. WILFRIED BERG: … und damit eine turbulente Zeit mit vielen Ungewissheiten. Das Institut wurde abgewickelt und vor mir stand die Entscheidung: Was machst du jetzt? Da geisterte mir viel im Kopf herum. Als ich mich fragte, was in diesem teilweise maroden Land am dringendsten gebraucht wird, war die Antwort einfach: Bauleistungen. Ahnung hatte ich davon nicht. Über die IHK bekam ich eine erste Weiterbildung. Anschließend erwarb ich praktische Erfahrungen, absolvierte weitere Schulungen, lernte Fachleute kennen. Am 2. Juni 1998 gründete ich mein Unternehmen GfP. Wir planen Gebäude und steuern Projekte für den Industrie-, Gesellschafts- und Wohnungsbau. Nach den ersten Holperschritten ging es konstant aufwärts.
Ein Glücksfall?
DR. WILFRIED BERG: Glück gehört dazu, aber wenn ich etwas anfange, mache ich das richtig oder gar nicht.
Das trifft voll und ganz auf Ihr IHK-Ehrenamt zu. Wann wurden Sie wie aktiv?
DR. WILFRIED BERG: Ich war bereits in der IHK Potsdam. Nach der Kreisgebietsreform im Land Brandenburg kam Schönefeld zum Landkreis Dahme-Spreewald und die GfP damit zur IHK Cottbus. 1998 wurde ich in die Vollversammlung gewählt. Ein Jahr später übernahm ich die Funktion als ehrenamtlicher Wirtschaftsprüfer. 2001 wählte mich die Vollversammlung zum Vizepräsidenten. Seit 2003 bin ich Vorsitzender des Haushaltsausschusses. 2015 war ich – bedingt durch die Krankheit des damaligen Präsidenten – ein halbes Jahr amtierender Präsident der Kammer. Wiederholt wurde ich angesprochen, als Präsident zu kandidieren. Ich habe das stets abgelehnt, weil der Zeitaufwand als Präsident für den Chef einer kleinen Firma zu hoch ist. Bis 2017 arbeitete ich in der Vollversammlung und im Präsidium der IHK Cottbus, meine Funktion als Vorsitzender des Haushaltsausschusses gebe ich am 30. Juni ab.
Was hat Sie zu diesen rund 25 Jahren Ehrenamt motiviert?
DR. WILFRIED BERG: Schwierige Frage. Es gab auch intensive Gespräche mit meiner Frau über die Fortsetzung des Ehrenamtes. Ich habe ihr geantwortet, dass ich dieses Ehrenamt angefangen habe, aber noch nicht an dem Punkt bin, wo ich hinmöchte.
Was waren diese besonderen Themen, die Sie intensiv begleitet haben?
DR. WILFRIED BERG: Naturgegeben die Zahlen, also die Haushaltslage der Kammer. Als ich den Haushaltsausschuss übernahm, hatte die Kammer sehr hohe Rücklagen. Hartnäckig vertrat ich die Linie, diese Rücklagen auf das erforderliche Maß zurückzuführen, bis wir den Punkt erreicht haben, an dem die Höhe der Rücklagen berechtigt war. Im Ergebnis harter Diskussionen haben wir die „sanfte Landung“ beschlossen. Es gibt Leute, die nannten das „Bergsche Kurve“. Dahinter stand, in jedem Jahr den Mitgliedsunternehmen einen gewissen Prozentsatz der Beiträge zurückzugeben. Im Ergebnis haben wir zum Beispiel mehrere Jahre hintereinander 40 Prozent des Beitrags nicht gezogen. In all den Jahren habe ich mit hohem Aufwand auf den sorgfältigen Umgang mit den finanziellen Mitteln der Kammer geachtet. Ich fühlte und fühle mich in der Verantwortung, die Verwendung der Mitgliedsbeiträge aufmerksam zu begleiten und alle finanziellen Themen der IHK fachlich zu bewerten. Bei Schieflagen handelte ich. Das führte unter anderem dazu, dass Wolfgang Krüger im Dezember 2021 interimsmäßig Hauptgeschäftsführer der Kammer wurde.
In all den Jahren habe ich viel Wert auf den Ausgleich zwischen Nord und Süd im Kammerbereich gelegt. Das Thema verliert nicht an Aktualität, nur gemeinsam sind wir stark. Und dann habe ich noch einen wichtigen Tagesordnungspunkt der IHK-Vollversammlung im September 2021 geleitet: die Wahl des Nachfolgers von Peter Kopf als Kammerpräsident, aus der Jens Warnken als Sieger hervorging. Die Vollversammlung IHK Cottbus war tief zerstritten und es bedurfte unkonventioneller Wege und Konsequenz, damit die Wahl letztendlich erfolgreich war. Die Erfahrungen aus all den Jahren half, in vielen Situationen Lösungen zu finden.
Hatten Sie Momente der Resignation?
DR. WILFRIED BERG: Nein, zu keinem Zeitpunkt. Sonst hätte ich anders gehandelt.
Wie hat sich die Arbeit der Kammer in den letzten 25 Jahren verändert?
DR. WILFRIED BERG: Die digitale Welt ist eingezogen, Haushaltausschuss- und Präsidiumssitzungen finden online statt, Prozesse und Abläufe haben sich verändert. Wolfgang Krüger begann, den Blick verstärkt auf die Außenwirkung der Kammer zu richten. Das setzt André Fritsche fort. Wir alle kennen die Diskussionen über die „Zwangsmitgliedschaft“, ohne dass die Schimpfenden wissen, was dieses Gremium für sie tun kann. Haben diese Unternehmerinnen und Unternehmer ein Problem, staunen sie, wie kompetent und verlässlich sie beraten werden. Wer die Kammer kennt, weiß, was sie leisten kann.
Noch mal zurück zu den Mitgliedsbeiträgen. Die „Zwangsbeiträge“ machen immer wieder die Runde.
DR. WILFRIED BERG: Im vergangenen Jahr haben zirka 36 Prozent aller Mitgliedsunternehmen der IHK Cottbus keine Beiträge gezahlt, weil sie Kleinstunternehmer oder Existenzgründer sind. Auf der anderen Seite gibt es eine kleine Gruppe Großbeitragszahler. Alle haben eine Stimme und das gleiche Recht, das Dienstleistungsangebot der Kammer zu nutzen.
Warum ist die IHK als Interessensvertretung der regionalen Wirtschaft weiterhin so wichtig?

DR. WILFRIED BERG: Die Situation wird durch das gesamte Umfeld, das wirtschaftliches Handeln beeinflusst – wie beispielsweise der Strukturwandel, Fachkräftemangel oder die Situation in Europa –, nicht einfacher. In dieser komplexen Gemengelage ist es wichtiger denn je, einen Interessenvertreter zu haben, der für 34.000 Unternehmen spricht. Und der gehört wird.
Welche Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft der IHK und die regionale Wirtschaft?
DR. WILFRIED BERG: Ein Prophet bin ich nicht, aber es ist und bleibt immens wichtig, die Interessen der regionalen Wirtschaft gegenüber Dritten stark zu vertreten. Prozesse wie wirtschaftliche Verflechtungen über Grenzen hinaus, Unternehmensnachfolge, Fachkräftemangel, Strukturwandel werden die Kammer noch über Jahre hinweg beschäftigen. Durch den engen Kontakt der Kammer zu ihren Mitgliedern erkennt sie Probleme frühzeitig und kann sich in die Lösungen aktiv einbringen.
Wie begeistern Sie junge Unternehmerinnen und Unternehmer fürs IHK-Ehrenamt?
DR. WILFRIED BERG: Durch das eigene Beispiel. Außerdem habe ich während dieser Tätigkeit Kollegen kennengelernt, mit denen ich heute befreundet bin.
Wie verläuft der Nachfolgeprozess? Wie geht es mit Ihrem Unternehmen weiter?
DR. WILFRIED BERG: Ich habe eine Nachfolgeregelung für den Fortbestand des Unternehmens gefunden. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen, wer das wird, aber nach außen kommunizieren werden wir das erst mit meinem Ausscheiden, damit die Prozesse kontinuierlich weiterlaufen.
Sie gehen in den Ruhestand. Welche Pläne haben Sie? Weltreise? Schaukelstuhl?
DR. WILFRIED BERG: Nichts gegen Reisen und Schaukelstuhl. Ruhe werde ich mir auf jeden Fall gönnen. Aber in erster Linie trage ich mich mit dem Gedanken, über meine eigenen Erfahrungen in zwei verschiedenen Gesellschaftssystemen ein Buch zu schreiben, insbesondere über die Transformation.
Das Intervierw führte: Interview: BMS/Brigitta Sonntag
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