Wenn das Erdbeereis mit dem Rad kommt

Sommer, Sonne, Freibad – das Leben kann so unbeschwert, so quietschfidel sein. Wenn du dann mit den Kindern nach einem verplanschten Gute-Laune-Nachmittag nach Hause radelst, wäre ein Eis die kühlende Krone auf diesem perfekten Tag. Die Sache hatte für Mine Uysal und ihre beiden Töchter nur einen kleinen, aber nicht unwesentlichen Haken: In Sickte gibt es kein Eiscafé. Weil die junge Mutter ihre Kinder aber nicht immer mit Flutschfinger und Co. aus den Eistruhen der Supermärkte abspeisen wollte, setzte sie ihre flugs auf der Freibadwiese entwickelte Idee binnen weniger Wochen in die Tat um: sie eröffnete einfach selbst eine Eisdiele. Eine höchst ungewöhnliche noch dazu!
Als wir uns im Dolce Vita auf dem Braunschweiger Kohlmarkt treffen, ist einer der ersten Sätze von Mine Uysal (33), dass es sich in Sickte wirklich gut leben lässt. Seit drei Jahren wohnt sie dort mit ihrer Familie, die Infrastruktur sei erstklassig. Nur leckeres Eis – das haben sie und ihre Töchter gerade im Sommer vermisst. Und für zwei Kugeln Vanille und Erdbeer in der Waffel mit dem Auto nach Salzdahlum oder gar Braunschweig zu gurken – das kommt für die umweltbewusste junge Frau nicht in die Tüte. Da das Radwegenetz „noch ausbaufähig sei“, sprich, es viel zu gefährlich gewesen wäre, mit dem E-Lastenrad über die Landstraße nach Salzdahlum zu juckeln, rundete sich der Freibadbesuch eben leider nicht mit einer köstlichen Eisspezialität.

Von der Idee bis zum Eisverkauf in wenigen Wochen

Und so sagte sich Mine Uysal eines schönen Sommertages, als sie im Freibad in die Sonne blinzelte: Dann muss ich eben einfach selbst Eis verkaufen.
Weil der Sommer zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht ins Land gegangen war, aber doch schon ein paar Tage auf dem Buckel hatte und sie unbedingt noch 2023 loslegen wollte, verwarf sie rasch die Überlegung, das Eis selbst herzustellen. Gerätschaften hätten dafür angeschafft, Rezepturen gewälzt und eine Vielzahl von Hygienevorschriften für die Produktion beachtet werden müssen.
So besann sie sich auf ihre freundschaftlichen Kontakte zum Eiscafé Bacio in Braunschweig. Eine Kooperation war schnell unter Dach und Fach. Die Idee kam auch in der Samtgemeindeverwaltung Sickte gut an. Aber wie nun und vor allem wo sollte das Eis an die Kunden gebracht werden?
Mine Uysal lacht: „Wir haben ganz viel im Internet recherchiert.“ Und dann kam die zündende Idee: „Ein E-Lastenrad hatten wir ohnehin schon. Die Vorstellung, damit mobil und umweltfreundlich zugleich Eis zu verkaufen, fand ich toll.“
Ein E-Lastenrad hatten wir ohnehin schon. Die Vorstellung, damit mobil und umweltfreundlich zugleich Eis zu verkaufen, fand ich toll.
Ein kleiner Marktstandanhänger wurde angeschafft, in dem die Eistruhe verschwindet. Auf einer abklappbaren Platte findet eine Siebträgerkaffeemaschine Platz. Denn Mine holte noch ihren Nachbarn und Hobby-­Barista Jan ­Lürken mit ins Lastenradprojekt, der die Eisauswahl mit Kaffeekreationen bereichert.

Im Park am Sickter Herrenhaus lässt es sich gut genießen

Das Logo für die mobile Eisdiele pinselte Mine selbst, Flyer gingen in den Druck, mit dem Park am Herrenhaus Sickte war ein idealer Standort gefunden. Mit schattigen Plätzchen unter Bäumen, schön zum Verweilen. Vielleicht nicht so belebt wie der Parkplatz am Sickter Nahversorgungszentrum. Aber eben um ein Vielfaches beschaulicher zum Genießen und Seele baumeln lassen. Zudem ist ein Spielplatz in der Nähe. Und dann ging es nach nur wenigen Wochen Planung im August 2023 los. Für die Eissaison gewissermaßen eine Spätzündung, aber das Wetter blieb bis in den Oktober hinein herrlich.
Und die Kunden kamen. „Unser Eis-Bicycle wird megagut angenommen“, sagt Mine und strahlt. Offensichtlich hätten nicht nur sie und ihre Töchter „diese Lücke“ empfunden. Mittlerweile hätten sie eine richtige „Stammkunden-Community“. Viele Kinder kenne sie mit Vornamen, wisse, wonach ihnen in der Waffel der Sinn steht. Bewohner des Seniorenheims schätzten das Angebot ebenfalls, mitunter kämen die Wohnbereichsleitungen mit langen Bestelllisten. Milch­allergiker müssen an Mines Eisfahrrad nicht enttäuscht abdrehen.
Die Truhe ist klein aber fein, hat Platz für vier Sorten. Erdbeere ist auch hier unschlagbarer Favorit, aber auch Schmand-Salzkaramell wird gern gewählt. Die Sorten wechselt Mine immer, so dass sie dienstags und sonntags immer etwas Neues zu bieten hat. Eine Kugel kostet 2 Euro, Topping inklusive. Nüsse und hochwertige Streusel gibt es oben drauf ebenso wie Erdbeer- oder Pistazienmus.

Macarons werden zu einem originellen Topping

Mittlerweile steht Mine Uysals Eismobil immer donnerstags in Braunschweig auf dem Wochenmarkt am Franzschen Feld. Die Marktbeschickerin, die dort Macarons verkauft, überlässt ihr den Keksbruch, der so auf dem Eis als originelles Topping noch nachhaltige und schmackhafte Wertschätzung erfährt.
Apropos nachhaltig: Für den Strom im Park am Herrenhaus hat Uysal einen Batteriespeicher angeschafft, der sowohl Truhe als auch Kaffeemaschine am Laufen hält. Aufgeladen wird dieser dann an der Photovoltaikanlage von Nachbar Lürken – eine umweltfreundliche Allianz.
Es macht Spaß, man hat immer mit glücklichen Kunden zu tun, Langeweile kommt nicht auf.
Und wenn es doch mal gießt wie aus Eimern? Dann gibt es ja zum Glück Instagram, wo Mine postet, wenn das Gefährt mal wetterbedingt in der Garage bleiben muss.
Zudem kann man die mobile Eisdiele buchen, sei es für die Einschulung oder Omas runden Geburtstag, für die Firmenfeier oder die goldene Hochzeit, fürs Sommerfest des Altenheims oder einfach, um der Belegschaft eine kühle Auszeit zu spendieren.
Auf dem Braunschweiger Markt sind Mine und Nachbar Lürken übrigens im November gestartet. Nicht mit Eis, sondern mit Risotto und Suppen. Zwei bis vier Jahre müsse man eigentlich auf solch einen Platz warten. Als sie im vergangenen Jahr überraschend schnell die Zusage bekamen, griffen sie zu und disponierten kurzerhand um. Im Sommer gibt’s natürlich auch hier: Eis.

Keine Langeweile und glückliche Kunden

Kugeln in Waffeln plumpsen lassen – eigentlich kein Hexenwerk. Oder? Mine lacht. „Naja, also ich habe noch nie in meinem Leben gekellnert, selbst wenn ich zu Hause mal ein Tablett in der Hand habe, ist das eine heikle Angelegenheit.“ Entsprechend gerieten ihr die ersten Kugeln nicht so doll. Aber das ist Schnee von gestern. Die Gutachterin für Pflegegradbeurteilungen im medizinischen Dienst hat ihre Elternzeit jedenfalls verlängert. „Es macht Spaß, man hat immer mit glücklichen Kunden zu tun, Langeweile kommt nicht auf.“ Sickte und Braunschweig werden die Eisdiele auf zwei Rädern also bis auf weiteres behalten.
suja
5/2024