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Süße Versuchung, die die Seele streichelt
Solche Schlangen, in denen Menschen geduldig über Stunden ausharren, sieht man gemeinhin nur, wenn beispielsweise das iPhone 16 den Verkaufsstart feiert. Als in Braunschweig Ende August die Zimtschnecke ihren Siegeszug antrat, reihten sich Frauen und Männer am Eröffnungstag ebenso gelassen wie vorfreudig vor dem klitzekleinen Verkaufstresen des Cinnful Buns & Coffee in der Neuen Straße in Braunschweig in eine Schlange, die man ohne Übertreibung ausgesprochen außergewöhnlich nennen darf. Was hat diese süße Versuchung nur an und in sich, dass sie es auch einige Monate nach Eröffnung sonnabends immer noch schafft, dass Kunden sich dafür artig anstellen?
Im vergangenen August wagte Abdulmelik Musli den Schritt in die kulinarische Selbstständigkeit.
© Claudia Taylor
Geschäftsführer Abdulmelik Musli lächelt sanftmütig und zuckt mit den Schultern. Natürlich seien die Zimtschnecken extrem lecker, die Rezeptur, von Mutter und Schwester in ausdauernden, experimentierfreudigen Backsessions ausbaldowert, schon einzigartig. „Aber ganz ehrlich“, sagt der junge Mann, „so richtig erklären kann ich mir das auch nicht“. Wir spekulieren ein bisschen herum, warum die Zimtschnecke in ihren acht Varianten von Apple Crumble über Lotus Kekse bis Nutella einen regelrechten Hype in Braunschweig ausgelöst hat.
Delikate Süßigkeit zum Weiterziehen
Braunschweig hänge, was Trends angehe, ja gelegentlich etwas hinterher, meint Musli. So eine ebenso mächtige (nach einer Schnecke ist man pappsatt) wie delikate Süßigkeit „zum Weiterziehen, so einen auf hochwertig produzierte Süßigkeiten spezialisierten To go-Laden gab es bis dahin einfach nicht in Braunschweig“, versucht er dem Geheimnis seines Erfolges auf die Schliche zu kommen. Ein Erklärungsversuch, der das Phänomen auch nicht so recht enträtseln kann. Wir haben uns zum Interview auf einen Kaffee in die Bäckerei gegenüber gesetzt. Und während wir so plaudern, frage ich mich, ob Bäckereien letztlich nicht auch To go-Läden für Süßes sind? Darüber hinaus sind Zimtschnecken an sich nichts Exklusives: dieser Bäcker hat Zimtboller vom Blech im Angebot. Vielleicht verhält es sich auch so: Der Mensch ist eben nicht nur ein Gewohnheitstier, er lässt sich auch gern mal locken von etwas neu Gewandetem. Wie zum Beispiel einer Zimtschnecke, die aus einem schlichten Fenster heraus verkauft wird.
Keine Zukunft im Nine-to-five-Job
Musli war schon in seiner Jugend klar, dass er seine berufliche Zukunft nicht in einem Nine-to-five-Job finden wird. Im zarten Alter von 15 hat er seine ersten selbstdesignten T-Shirts im Dropshipping-Verfahren verkauft, noch während des Abiturs betrieb er in Braunschweig zwei Coronatestzentren. Dann ging‘s zum BWL-Studium an die Ostfalia nach Wolfsburg. „Das entsprach nicht so ganz meinen Vorstellungen“, erinnert sich der 21-Jährige. Währenddessen sprach er öfter mit seiner Schwester Aiša über die Geschäftsidee eines Frühstückscafés. Als sie dann in Hamburg zufällig an einem Laden mit Zimtschnecken vorbeikamen, stand für beide rasch fest: „Das machen wir in Braunschweig.“
Gute Leute zu finden ist das Schwerste gewesen beim Aufbau des Geschäfts.Abdulmelik Musli
Ein Jahr hat es von der Idee über die Planung bis zum Verkaufsstart gedauert. Es sei ein glücklicher Zufall gewesen, dass sie an das kleine Ladengeschäft in der Neuen Straße gekommen sind. „Der Standort ist ideal“, freut sich der gebürtige Braunschweiger. Im Keller ist Platz für Küche und Lager, die Inbetriebnahme der Küche war unkompliziert, weil sie nur einen Umluftofen haben und deshalb keine Gastronomie-Abluftanlage benötigen.
Acht bunte Sorten werden derzeit angeboten, darunter auch saisonale Varianten.
© Claudia Taylor
Kraftakt runter in den Keller
Obwohl: Gerade der Einbau des Ofens wäre fast gescheitert. Da eine Tür auf dem schmalen Abstieg zur Küche nur 80 Zentimeter misst, war es Millimeterarbeit, den Ofen nach unten zu bugsieren. Auch der 300 Kilogramm schwere Kühltisch war nicht nur eine logistische Herausforderung. Sondern auch eine wahrhaft wuchtige. Die 180 Kilogramm schwere Granitplatte ächzten Musli und vier Freunde in den Keller, für einen fünften Kumpel war der Gang einfach zu eng. Ein bisschen gemurrt hätten die Freunde schon, sagt Musli lächelnd. Aber ein paar süße Versuchungen später waren sie besänftigt.
Mütter bringen Erfahrung mit Teig mit in den Job
Freunde und Familie – darauf baut man im Cinnful Buns & Coffee. Seine Schwester, die einen Master im Personalmanagement hat und mittlerweile in Vollzeit bei Thyssen-Krupp arbeitet, zeichnet verantwortlich für das froh gelaunte, pastellige Design des kleinen Ladens und die munter geschwungenen Schriftzüge. Anfangs arbeitete auch seine Frau Pamela De Constanzo mit in der Küche, doch mittlerweile geht sie beim Bund ihrem Beruf als Dolmetscherin nach. In Voll- und Teilzeit sowie auf Minijobbasis beschäftigt Musli außer seiner Tante noch sieben weitere Mitarbeitende. „Gute Leute zu finden ist das Schwerste gewesen beim Aufbau des Geschäfts“, sagt Musli. Mittlerweile läuft’s, er habe sogar eine gelernte Konditorin einstellen können. „Und ganz ehrlich: die besten Erfahrungen habe ich bisher mit Müttern um die 50 gemacht. Die bringen jede Menge Erfahrung mit Teig mit, machen einen guten Job, sind verlässlich.“
„Ausverkauft“ schon nach zweieinhalb Stunden
Am Tag der Eröffnung ging Musli mit seinem Team mit zwölf Blechen an den Start. „Wir wussten ja absolut nicht, was auf uns zu kommt.“ Nach zweieinhalb Stunden waren sie ausverkauft. „Wir waren baff, damit hätten wir niemals gerechnet.“
Mehrere 10 000 Zimtschnecken sind seither im Zweischichtsystem produziert und verkauft worden. Noch heute hängt schon vor Ladenschluss oft das Schild „ausverkauft“ am Verkaufsfenster. Sollte dennoch mal etwas übrigbleiben, geht es an die Obdachlosenunterkunft oder wird bei Too Good To Go angeboten. 150 bis 300 Kunden kommen täglich, nicht nur aus Braunschweig, sondern auch aus dem Harz, Wolfenbüttel, Wernigerode. Knapp 6000 Follower hat das Cinnful Buns & Coffee mittlerweile auf Instagram. „Schon cool nach nicht mal vier Monaten.“
Die Expansion des Geschäfts kann sich der 21-Jährige über kurz oder lang gut vorstellen.
© Claudia Taylor
Der Name setzt sich zusammen aus den englischen Worten sinful (sündig) und Cinnamon (Zimt). So eine Schnecke (buns) ist wahrlich eine Sünde auf der Kalorienzähl-App wert – Soulfood, das die Seele streichelt. Je nach Füllung und Topping werden die Teiglinge unterschiedlich gerollt. Zu Weihnachten ist ein Topping mit der Geschmacksnote gebrannte Mandeln geplant. Die derzeit angesagte Dubai-Schokolade, die vielerorts ebenfalls das Zeug zum Schlangestehen hat, gibt es ebenso als Topping wie Pistaziencreme als Füllung. Diese wird aus Sizilien importiert. „Momentan gibt es da Lieferengpässe“, aufgrund der Nachfrage sei der Preis gestiegen. Apropos: Eine Zimtschnecke aus dem Hause Cinnful hat auch ihren Preis. Aber sie ersetzt ja durchaus eine vollwertige Mahlzeit.
Startkapital von den Coronatestzentren
Musli steht am Wochenende gern selbst in seinem Geschäft. „Macht einfach Spaß.“ Allerdings ausschließlich an der Kaffeemaschine, in deren Betrieb er sich akribisch eingefuchst hat. Es ist ein Profigerät der Wiener Rösterei Daniel Moser. Ein kostspieliges Stück, wie auch manch anderes Gerät. „Ich brauchte aber keinen Kredit, das Startkapital habe ich mit den Testzentren erwirtschaftet.“ Der junge Geschäftsmann kann sich gut vorstellen, in absehbarer Zeit weitere Läden zu eröffnen. Vielleicht in Hannover oder Wolfenbüttel. Immer nach dem To go-Prinzip. Das sei am besten planbar und deshalb am wirtschaftlichsten. Geschäftsleute aus der Neuen Straße haben Musli geraten, sich schon mal auf zusätzlichen Ansturm während des Weihnachtsmarktes vorzubereiten. „Da brummt es, mach dich auf was gefasst.“ Aber lange Schlange können Musli nicht schrecken. Die ist er mittlerweile gewöhnt.
suja
9/2024