11.09.2024

Wie Bürokratieabbau nicht gelingt

Region Bodensee-Oberschwaben:
Die Wirtschaft ächzt zunehmend unter Bürokratie. Ein Grund für die hohe Belastung sind trotz EU-Binnenmarkt noch immer zu kleinteilige Regelungen. Die Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben (IHK) erkennt keine Verbesserung.
Denkt man an aufwendige bürokratische Regelungen, denkt man vermutlich nicht zuallererst an Regeln für Verpackungen. „Die stehen im Unternehmen auch ziemlich am Ende langer Wertschöpfungsketten, haben es aber in sich“, weiß Stefan Kesenheimer, Geschäftsbereichsleiter Unternehmensförderung und Regionalentwicklung bei der IHK mit Sitz in Weingarten. Verpackungen müssen nämlich einiges leisten: Nicht nur müssen sie das Produkt beim Transport schützen, sie müssen in manchen Ländern auch verschiedene Kennzeichnungspflichten erfüllen, wie zum Beispiel aus welchen Materialien sie selbst bestehen.
Prinzipiell habe die IHK als Stimme der regionalen Wirtschaft auch kein Problem mit Regulierung und bestimmten Richtlinien. Kesenheimer: „So kann man beispielsweise beim Verladen der Waren erkennen, ob sie bestimmte Gefahrenstoffe enthalten. Dass Transport und Lagerung sicher erfolgen können, ist auch im Interesse der Unternehmen. Dass für alle dieselben Regeln gelten, sorgt für fairen Wettbewerb.“ Dann wird es aber immer komplexer. Denn die deutschen Unternehmen sind meist stark exportorientiert. Das bedeutet, dass sie sich bei der Ausfuhr ihrer Waren, auch in den europäischen Binnenmarkt, an die Regeln des Ziellandes handeln müssen. „Bisher hat das Ganze eine EU-Richtlinie geregelt, die den Mitgliedsstaaten freigestellt hat, wie sie in nationales Recht umgesetzt wird.“ Dadurch entstand ein wahrer Flickenteppich aus vielen nationalen Regelungen. „Das ist ein häufiges Problem bei Gesetzen in der EU: Wer als Unternehmen in mehreren Staaten tätig ist, muss oft mehrere verschiedene nationale Regelungen kennen. Das gilt schon, wenn Sie einen Mitarbeiter einfach zur Wartung einer Maschine über die Grenze nach Vorarlberg schicken, und eben zum Beispiel auch bei Verpackungen. Das verursacht eine große Arbeitsbelastung, die gerade für kleine und mittelständische Unternehmen kaum noch zu bewältigen ist.“ Linderung erhoffte sich die Exportwirtschaft davon, dass die Richtlinie nun in eine Verordnung umgewandelt werden sollte, die direkt in jedem Mitgliedsstaat gilt. Die Idee dahinter idealerweise: eine einzige Regelung für die gesamte EU, eine Kennzeichnung für jedes Land.
Stattdessen plant die EU-Kommission nun, auch in der Verordnung noch viel Spielraum zu lassen – der Flickenteppich wird sehr wahrscheinlich nicht verschwinden. Und es kommt noch dicker: Um die Einhaltung der richtigen Verpackung zu gewährleisten, sollen die Unternehmen nun zusätzlich noch in jedem Land, in das sie Güter ausführen möchten, einen Bevollmächtigten bestellen, der dies sicherstellt – unabhängig von der Größe des Unternehmens. „Jetzt stellen Sie sich vor, Sie sind ein Einzelhändler in Ravensburg und haben einen Kunden aus Österreich. Dieser möchte bei Ihnen vor Ort ein bestimmtes Buch kaufen, das aber an dem Tag nicht verfügbar ist“, führt Kesenheimer aus. „Wenn Sie dem Kunden das Buch jetzt per Post nach Vorarlberg schicken möchten, müssen Sie nicht nur schauen, wie genau es in Österreich verpackt sein muss, sondern auch einen Bevollmächtigten nachweisen können, der dort für Sie potenziell alles abwickelt. Unter bestimmten Voraussetzungen ist dies heute schon so.“ Der IHK-Experte sieht keine Besserung, sondern eine weitere Verschärfung: Statt Bürokratie abzubauen, wie die Wirtschaft gehofft hat, schafft die neue Richtlinie nun neue Belastungen.
Von der möglichen neuen Regelung sieht die IHK vor allem kleine und mittelständische Unternehmen überproportional betroffen. „Die arbeiten natürlich vor allem in Grenznähe oft auch international, haben Kunden in Österreich. Der EU-Binnenmarkt muss hier viel stärker entlasten und endlich einen echten ‚single european market‘ schaffen“, appelliert Kesenheimer. Er weiß auch genau, wo die Politik nachbessern kann: „Die Regeln in der EU müssen vereinheitlicht werden, wo immer es geht. Wo genau jemand davon profitiert, wenn man ein Gerät in Deutschland anders kennzeichnen muss als in Italien oder Polen, kann niemand sinnvoll erklären.“ Eines ist ihm auch noch besonders wichtig zu betonen: „Bei jeder Regulierung muss die Politik daran denken, dass viele kleine und mittlere Unternehmen davon betroffen sind. Den kleinen Mittelständler aber können die vielen aufwendigen Regeln zur Aufgabe von Absatzmärkten zwingen.“
Medieninformation Nr. 88/2024