04.11.2024

Wasserstoff-Zukunft Bodensee-Oberschwaben

Region Bodensee-Oberschwaben / Friedrichshafen:
Auch in der Region Bodensee-Oberschwaben widmen sich immer mehr Unternehmen aus verschiedenen Branchen dem zukunftsweisenden Thema Wasserstoff. In einer Kooperationsveranstaltung von Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben (IHK), Stadtwerk am See GmbH & Co. KG und TWS Netz GmbH Ende Oktober im Graf-Zeppelin-Haus in Friedrichshafen gab es aktuelle Informationen zum Stand der Wasserstoff-Transformation und zur geplanten Anbindung der Region an das Wasserstoffnetz.
Wasserstoff sei ein unerlässlicher Baustein der klimagerechten Transformation der Wirtschaft, sagte IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Sönke Voss, in seiner Begrüßung. Die mit rund 70 Teilnehmern „erfreulich gut besuchte Veranstaltung“ zeige, dass das Thema Wasserstoff in der Region Bodensee-Oberschwaben angekommen sei. Zahlreiche regionale Unternehmen seien bereits in Sachen Wasserstoff tätig. So würden erste Elektrolyseure und Wasserstofftankstellen geplant, Geschäftsmodelle entwickelt, Innovationen erprobt und getestet. Viele Ideen und Initiativen lägen bereits in der Schublade, so Voss. Die IHK unterstütze Bedarfsabfragen, gebe Stellungnahmen ab, vernetze die regionalen Experten zum Thema Wasserstoff und behandle das Thema in ihren Ausschüssen. Dabei sei es in der internationalen Bodenseeregion besonders wichtig, grenzübergreifend zu agieren, so der IHK-Hauptgeschäftsführer.
Wasserstoff für Baden-Württemberg
Auch wenn viele fossile chemische Energieträger durch elektrische Energie ersetzt werden könnten, sei die Energiewende ohne molekülbasierte Energieträger nicht zu meistern, sagte Steffen Kirsch, Experte bei der terranets bw GmbH. Klimaneutralen Energieträgern wie Methan und Wasserstoff aus erneuerbaren Energien komme daher eine große Bedeutung zu. Als Betreiber eines Gas-Fernleitungsnetzes hat terranets bw an der Entwicklung und Realisierung des bundesweiten Wasserstoffnetzes mitzuwirken. Mit dessen Genehmigung am 22. Oktober 2024 sei der Startschuss für den Wasserstoffhochlauf erfolgt, so Kirsch. Mit einer Leitungslänge von 9.040 Kilometern und einem Investitionsvolumen von 18,9 Milliarden Euro entstehe in Deutschland das größte Wasserstoffnetz Europas.
In Baden-Württemberg werde das Kernnetz mit dem Großraum Stuttgart und der Region Rhein-Neckar, dem Hochrhein, der Region Mannheim / Karlsruhe, der Ostalb, Oberschwaben und dem östlichen Bodenseeraum zentrale Verbrauchsregionen anbinden, so Kirsch weiter. Beim Aufbau der neuen Infrastruktur zeige sich das Henne-Ei-Problem. „Ohne Netz keine Kunden, ohne Kunden kommt kein Netz.“ Das Leitungsnetz der terranets bw umfasst eine Leitungslänge von 400 Kilometern. Das geplante Investitionsvolumen liegt bei 600 Millionen Euro. Zu 70 Prozent könne Wasserstoff über umzustellende, bestehende Erdgasleitungen transportiert werden, so Kirsch. Für 30 Prozent seien Neubauleitungen erforderlich.
Der Netzaufbau in Baden-Württemberg soll schrittweise erfolgen: Ab 2032 soll die Wasserstoffversorgung bis nach Oberschwaben und zum Bodensee reichen. Eine große Herausforderung liege dabei in der Aufrechterhaltung der Erdgasversorgung in der Übergangszeit bei gleichzeitigem Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur aus dem Bestandsnetz heraus. Im Jahr 2026 soll daher erstmals ein integrierter Netzentwicklungsplan für Erdgas und Wasserstoff von der Bundesnetzagentur genehmigt werden, berichtete Kirsch. Dieser soll in der Folge alle zwei Jahre fortgeschrieben und an aktuelle Entwicklungen angepasst werden. Aufgrund erheblicher künftiger Wasserstoffbedarfe bei gleichzeitig eingeschränkten Möglichkeiten zur lokalen Erzeugung werde Deutschland aber auf Wasserstoff-Importe angewiesen sein, prognostizierte Kirsch.
Wasserstoff für die Region Bodensee-Oberschwaben
Über erste Arbeitsergebnisse für eine Transformation des Gas-Verteilnetzes in der Region Ravensburg – Friedrichshafen – Lindau informierten Alexander Honz, Stadtwerk am See GmbH & Co. KG, und Tobias Ederer, TWS Netz GmbH. Die Ergebnisse seien im Rahmen des vom Land Baden-Württemberg geförderten Projekts „H2 Schussen“ gewonnen worden. Projektpartner waren die Unternehmen TWS Netz und Stadtwerk am See, zusätzliche Projektteilnehmer die Stadtwerke Lindau und terranets bw.
Die Versorgungnetze der Projektpartner liegen entlang einer 53 Kilometer langen Hauptleitung der 1966 von den Städten Ravensburg, Friedrichshafen und Lindau gegründeten Gasversorgung Oberschwaben (GVO), berichtete Ederer. „Dies zeigt, wie wichtig die Zusammenarbeit schon in der Vergangenheit war, um die Region mit Erdgas zu erschließen.“ Die ersten Konzepte und Umstellungsszenarien würden jetzt mit allen Beteiligten und Behörden zur Ausführungsreife gebracht, um das GVO-Fernleitungsnetz in Zukunft auch für Wasserstoff nutzbar zu machen.
Die Transformation zur Wasserstoffversorgung ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Ausgangspunkt für die Transformation sind die städtischen Zentren und die dort angesiedelten Industriebetriebe, die nicht nur einen hohen Energiebedarf hätten, sondern auch eine sichere Erdgas- und Wasserstoffversorgung benötigten. „Grundsätzlich ist die Umstellung vorhandener Erdgasnetze auf Wasserstoff im städtischen Bereich aber technisch recht gut machbar, weil unsere Verteilnetze dort sehr gut ausgebaut sind“, so Honz.
Im Rahmen des Projektes „H2 Schussen“ werde man jetzt gemeinsam ein Netzmodell mit den wichtigsten Leitungen erstellen sowie mögliche Versorgungszenarien zusammenstellen und die besten Varianten konkretisieren. Dafür müssten Transportmengen und Leistungen sowie regionale und überregionale Bedarfe zusammen mit terranets bw detailliert betrachtet werden. Danach gelte es, den erforderlichen Netz-Neubau festzulegen und mit anderen Baumaßnahmen abzustimmen sowie die Finanzierung der notwendigen Neuinvestitionen zu klären. „Außerhalb städtischer Kerngebiete wird man aber auch mittelfristig über dezentrale Konzepte, also Biomethan, Biomasse und Wärmepumpen, nachdenken müssen“, meinte Honz. Denn die verfügbare Wasserstoffmenge im Netz werde erst allmählich steigen – und es seien ja heute schon nicht jede Gemeinde und jeder Ortsteil an das Gasnetz angeschlossen.
„Wichtig ist aber grundsätzlich bei allem die Zusammenarbeit“, betonten Ederer und Honz. Sie regten die Einrichtung von regionalen und lokalen Energiedialogen an, bei dem auch die Verbraucher mit einbezogen werden sollten. Die IHK kann wie bisher diese Plattform bilden. „Das bringt Information, Austausch, Klarheit und Transparenz. Die aktuell eher pessimistische Stimmung muss sich aufhellen.“
Regionale Wasserstoffstrategie Südwest BW
Über strategische Konzepte für den Wasserstoffhochlauf in der Grenzregion Frankreich, Schweiz, Deutschland berichtete abschließend Dr. Fabian Burggraf, Geschäftsführer von Klimapartner Südbaden. Für die Industrie in der Region Südbaden sei die Einbindung in eine europäische Energieversorgungsinfrastruktur essenziell. Klimapartner Südbaden beteilige sich aktuell an fünf Projekten, priorisiere Handlungsfelder sowie Maßnahmen und entwickle gemeinsam mit zahlreichen Partnern strategische Konzepte für den Wasserstoffhochlauf. „Wir sind beispielsweise an Projekten beteiligt, die den Wasserstoffbedarf der Industrie analysieren und untersuchen, wie er zukünftig in Unternehmen gelangen kann“, so Burggraf. Aber auch die Themen Kompetenzentwicklung und Weiterbildung sowie Wasserstoff und Mobilität stünden im Fokus. Die Bildung von Netzwerken und Partnerschaften sowie ein Wissensaufbau bei den relevanten Akteuren seien wichtige Voraussetzungen für den Wasserstoffhochlauf, betonte Burggraf. „Die Konkretisierung der Wasserstoffversorgung sollte in iterativem Prozess von beiden Seiten – Erzeuger und Abnehmer – erfolgen.“
Vernetzung aller Akteure
Bei der anschließenden Diskussionsrunde der Referenten, die mit zahlreichen Fragen aus dem interessierten Publikum konfrontiert wurden, zeigte sich, dass viele regionale Unternehmen in Sachen Wasserstoff in den Startlöchern stehen oder bereits Vorkehrungen für den Hochlauf treffen und dass der Informationsbedarf enorm ist. Die Umstellung auf Wasserstoff, darin waren sich alle einig, sei eine gemeinsame Aufgabe der ganzen Region. Neben einer Vernetzung und effektiven Zusammenarbeit aller Akteure sei es vor allem wichtig, eine neue gesamtenergetische Denkweise – Strom, Gas und Wärme national, regional und lokal – zu etablieren. „Die vielen Herausforderungen können nur gemeinsam angepackt und bewältigt werden“, sagte Stefan Kesenheimer, IHK-Bereichsleiter Unternehmensförderung und Regionalentwicklung, der die Veranstaltung und Diskussionsrunde moderierte. Es müsse eine positive Akzeptanz für das Thema Wasserstoff geschaffen werden. Umfassende Informationen sowie eine transparente und öffentliche Kommunikation seien unerlässlich.
Medieninformation Nr. 110/2024