Leitartikel

Eine runde Sache: Material- und Ressourceneffizienz

Von A wie Aluminium bis Z wie Zinn: Ohne Rohstoffe ist keine Produktion möglich. Doch die natürlichen Ressourcen sind endlich und werden immer teurer. Schon jetzt stellen die Material- und Rohstoffkosten des produzierenden Gewerbes in Deutschland mit durchschnittlich 45 Prozent den mit Abstand größten Kostenblock dar. Was können Unternehmen tun, um trotzdem wettbewerbsfähig zu bleiben? Wo können sie Ressourcen effizienter einsetzen und neue Materialien nutzen? Wie funktioniert Kreislaufwirtschaft, und was bringt das alles für den Klimaschutz?
© photodesign armin buhl
Sie sind klein, rund, langlebig und hochgenau – und sie werden seit vielen Jahren in Millionen von Haushalten in Deutschland und Europa installiert: die Wasserzähler der Lorenz GmbH & Co. KG aus Schelklingen bei Ulm. Das Sortiment reicht von Messgeräten mit mechanischen und elektronischen Zählwerken bis hin zu vollvernetzten Funkwasserzählern, den sogenannten Smart Water Meters. „Alle Geräte ermöglichen den Betrieb und die Überwachung öffentlicher Versorgungsnetze und dienen zur Steuerung von Industrieanlagen. So tragen wir dazu bei, die wertvollste Ressource unseres Planeten zu schützen: Wasser, die Basis allen Lebens“, erklärt Wilhelm Mauß, der seit genau 20 Jahren Geschäftsführer des mittelständischen Familienunternehmens ist. Als er den Betrieb im Mai 2003 übernahm, standen die Zeichen in der Branche gerade auf Sturm: „Fast alle Mitbewerber verlagerten ihre Produktionsstätten in Billiglohnländer und produzierten deutlich günstiger als wir“, erinnert er sich. Diesen Trend habe die Lorenz GmbH & Co. KG „aus tiefster Überzeugung“ nicht mitmachen wollen und sich damals sehr bewusst dafür entscheiden, weiterhin ausschließlich am Firmenstandort in Deutschland zu produzieren. „Die große Frage war jedoch, wie wir damit wettbewerbsfähig bleiben“, so Mauß. Also überlegte der Geschäftsführer hin und her – und eines Tages kam ihm die rettende Idee, als er leere Flaschen in den Glascontainer warf: Auch Wasserzähler können recycelt werden.
“Kreislaufwirtschaft ist gut für Kunden, Hersteller, Umwelt und Gesellschaft.”
- Wilhelm Mauß

Kreislaufwirtschaft hat viele Vorteile

„Heute klingt das ganz selbstverständlich, aber vor 20 Jahren war das noch eine ziemlich verrückte Idee“, erinnert sich der gelernte Maschinenbauer. Doch von Anfang an war er von der Machbarkeit überzeugt, sprach mit langjährigen Geschäftspartnern darüber und konnte schließlich einen großen Kunden für ein erstes Pilotprojekt gewinnen. Als das richtig gut funktionierte, war das neue Geschäftsmodell der Firma Lorenz gefunden: Seitdem produziert der Betrieb nicht nur Wasserzähler, sondern nimmt sie auch zurück, wenn sie nach sechs Jahren Eichdauer ausgebaut werden müssen. „Wir bereiten die Wasserzähler auf und bringen sie wieder in den Produktionskreislauf zurück. Das ist echte Kreislaufwirtschaft, und ich hoffe sehr, dass dieses Konzept bald zum Normalfall in allen Bereichen wird“, erklärt Wilhelm Mauß. Für alle, die noch zweifeln, zählt er die wichtigsten Vorteile auf: „Kreislaufwirtschaft ist gut für Kunden und Hersteller, weil das Material nur einmal beschafft und bezahlt werden muss, gut für die Umwelt und das Klima, weil die Ressourcen mehrfach verwendet werden – und gut für die Gesellschaft, weil Arbeitsplätze in Deutschland erhalten bleiben und sogar neue entstehen.“ Den besten Beweis dafür liefert Lorenz selbst: Zu den 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Jahr 2003 kamen im Lauf der Zeit viele neue Kolleginnen und Kollegen hinzu. Heute produzieren und bearbeiten knapp 330 Beschäftigte am Firmenstandort Schelklingen jährlich mehr als 1,5 Millionen hochwertige Messgeräte. Für diesen effizienten Umgang mit natürlichen Ressourcen und für die übernommene unternehmerische Verantwortung erhielt die Firma Lorenz inzwischen mehrere Auszeichnungen – vom Wertesiegel „Ethics in Business“ des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen bis hin zum Deutschen Innovationspreis für Klima und Umwelt des Bundesumweltministeriums und des Bundesverbands der Deutschen Industrie.

Auch Kunststoff geht ressourcenschonend

Auf Kreislaufwirtschaft in der Kunststoffbranche setzt die Scheplast GmbH in Schwendi. Der Traditionsbetrieb in der Nähe von Ulm wurde vor mehr als 40 Jahren gegründet und entwickelte sich von der kleinen Dorfschmiede hin zum mittelständischen Spezialisten für anspruchsvolle Spritzgusstechnik. „Unsere 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bringen für unsere Kunden Kunststoff in jede gewünschte Form. Dafür stehen uns 22 moderne Spritzgießmaschinen zur Verfügung, und wir produzieren nahezu abfallfrei“, erklärt Personalleiter Thilo Klaiber. Er weiß natürlich, dass sein Lieblingsmaterial bei den meisten Menschen kein besonders grünes Image hat, also betont er von Anfang an: „Kunststoff ist aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken, und wir von Scheplast möchten den Umgang mit diesem Material positiv und ressourcenschonend mitgestalten.“ Seit vielen Jahren setze das Unternehmen bei der Herstellung von Formteilen auf recycelte, biobasierte und biologisch abbaubare Kunststoffe. Letztere bestehen aus bis zu 100 Prozent nachwachsenden, natürlichen Rohstoffen – beispielsweise aus pflanzlichen Ölen oder Zuckerrohr – und verschwenden keinerlei fossile Ressourcen. „Wir haben uns verpichtet, unsere Produkte im Einklang mit der Natur so ökologisch und sinnvoll wie möglich zu entwickeln, zu produzieren und zu vertreiben und bekamen dafür im Jahr 2018 den Umweltpreis für Unternehmen des baden-württembergischen Umweltministeriums“, ergänzt sein Kollege Jens Astfalk. Der ist seit 2020 als Vertriebs-, Marketing- und Projektleiter bei Scheplast tätig und beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Branche. Richtig begeistert ist er von Mehrweglösungen. „Die wieder verwendbaren Cups für Kaffee und die Bowls für Suppe oder Salat kennen und nutzen inzwischen ja sehr viele“, freut sich Astfalk. „Ich hoffe, dass ich das auch bald über mein Herzensprojekt, THE BOX vom Startup Living Packets, sagen kann.“
Diese intelligenten Mehrwegversandboxen hat ein deutsch-französisches Startup entwickelt und will mit ihnen die Unmengen an Wegwerf-Kartons ersetzen, die Tag für Tag im Versandhandel unterwegs sind. „Das ist ein klasse Produkt, und wir fertigen fast alle Kunststoffteile an, die in der Box enthalten sind“, schwärmt der Vertriebsleiter. „Beim aktiven Spritzschäumen setzen wir recycelten Kunststoff ein und benötigen durch unser modernes Spritzgussverfahren insgesamt 30 bis 40 Prozent weniger Material.“
“Wir setzen recycelten Kunststoff ein und benötigen insgesamt 30 bis 40 Prozent weniger Material.”
- Jens Astfalk

3D-Drucker sparen Material

Mit ganz anderen Werkstoffen arbeitet die Neher Group in Ostrach-Einhart und spart dabei ebenfalls Material ein. Der Familienbetrieb stellt seit über 30 Jahren Präzisionswerkzeuge für die unterschiedlichsten Bereiche und Anwendungen her. „1990 gründete mein Vater das Unternehmen als Ein-Mann-Betrieb in der elterlichen Mühle in Einhart. Er startete mit Werkzeugen für die Holzbearbeitung, und später kamen Werkzeuge für den Metallbereich hinzu“, erzählt Geschäftsführer Gerd Neher. „Heute sind wir weltweit in der Metall- und Holzbearbeitung ein fester Begriff für hochwertige PKD-Sonderwerkzeuge.“ Die Abkürzung PKD steht für polykristalliner Diamant, das ist ein synthetisch hergestelltes und außergewöhnlich widerstandsfähiges Material für Werkzeuge, die vor allem in der Automobilindustrie, aber auch in der Baubranche oder in der Medizintechnik zum Einsatz kommen.
Gerd Neher leitet als Sohn des Gründers das Unternehmen seit 2006 und trieb vor allem seine Expansion und Internationalisierung voran. Mit Erfolg: Seit 2016 verfügt die Neher Group über zahlreiche Standorte in Europa, ist in den USA und Mexiko vertreten und beschäftigt weltweit 110 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Inzwischen produzieren wir nicht nur Werkzeuge, sondern bieten unseren Kunden auch Komplettlösungen an, von der Spannvorrichtung über die Programmierung bis hin zur Dichtheitsprüfung und Montage“, erklärt Neher. Seit knapp fünf Jahren sei seine Firmengruppe darüber hinaus in der additiven Fertigung – in Deutschland besser bekannt als 3D-Druck – vertreten und habe schon 2016 in einen ersten 3D-Metalldrucker investiert. „2019 folgte eine große 3D-Druckanlage der neuesten Generation. Mit der können wir große Bauteile und Werkzeuge herstellen, die im Moment vor allem von der Automobilindustrie stark nachgefragt werden, um vor allem die großen Bohrungen in den Elektromotoren für die E-Autos zu bearbeiten“, erklärt Neher. Seine Firma trage mit ihren Produkten also zum Ausbau klimafreundlicher Mobilität bei – und sie spare durch den 3D-Druck jede Menge Ressourcen ein: „Im Gegensatz zu herkömmlichen Fertigungsverfahren, bei denen Material durch Drehen und Fräsen entfernt wird, fügen wir beim 3D-Druck schrittweise Material hinzu und bauen das gewünschte Endprodukt Schicht für Schicht auf“, erläutert der Geschäftsführer. Dabei falle kaum noch Materialabfall an, und die Firma habe ihren Bedarf an Rohstoffen deutlich minimieren können. Gleichzeitig arbeiten die 3D-Drucker nur mit einem Bruchteil der Leistung im Vergleich zu Fräs- und Drehzentren. Das spart je nach Dimension der Werkzeuge und Auslastung der Baukammer viel elektrische Energie ein, und gleichzeitig vermeidet Neher den damit verbundenen CO²-Ausstoß.

Vitacard checkt Nachhaltigkeit

Um weniger Materialabfall und mehr Ressourceneffizienz geht es auch Paul Flintrop von der Konrad Knoblauch GmbH in Markdorf. Das Unternehmen startete 1909 als kleine Schreinerei und baute Haustüren, Fenster, Treppen und Schränke. Heute ist Knoblauch ein international tätiges Unternehmen mit rund 260 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und setzt Raumkonzepte für Läden, Büros, Wohnräume, Hotels und Gastronomiebetriebe ganzheitlich um. „Egal, was wir machen, gut soll es sein. Gut für den Mensch, für die Umwelt und die Wirtschaft. Dieses Selbstverständnis ist der Mittelpunkt all unserer Betrachtungen und Überlegungen, es prägt unser Tun“, betont Flintrop. Als Materialscout und Nachhaltigkeitsexperte ist er bei Knoblauch immer auf der Suche nach guten Materialien, die den hohen Ansprüchen des Unternehmens an Handwerk und Design – und an Nachhaltigkeit – genügen. „Material ist was Lebendiges“, schwärmt er. „Und der Erfindergeist ist gerade enorm.“ Fast jeden Monat komme ein neuer Werkstoff dazu, und es sei eine große Kunst, den Überblick zu bewahren und für die Kunden immer genau auf die richtige Innovation zu setzen.
Deshalb habe Knoblauch eine eigene Systematik entwickelt, um alle Materialien einem Check zu unterziehen. „Wir haben unsere sogenannte Vitacard entworfen und vergeben anhand von verschiedenen Kriterien Nachhaltigkeitspunkte“, erklärt der Materialscout. „Stammt das Material hier aus unserer Dreiländerregion, wird das mit 20 Punkten belohnt. Ist der Rohstoff biobasiert, kommen 20 Punkte dazu. Ist das Material recycelt, gibt es zehn Punkte, ist es selbst recycelbar, kommen noch einmal zehn dazu. Schließlich schauen wir uns noch die Langlebigkeit und die CO²-Bilanz an und vergeben sogar Bonuspunkte, etwa für eine Rücknahmegarantie oder für Zertifikate.“ Neue Baumaterialien – wie die gut dämmenden Hanfsteine, die Knoblauch für die Akustik und Schalldämmung beim Ladenbau einsetzt – kommen da schon mal auf sehr gute 120 Punkte. „Das ist also ein neues Material, das wir unseren Kunden uneingeschränkt empfehlen können und das bestens zu unserer nachhaltigen Philosophie passt“, so Flintrop.
Diese Verantwortung für einen nachhaltigen und bewussten Umgang mit natürlichen Ressourcen und Materialien übernimmt die Konrad Knoblauch GmbH natürlich auch im eigenen Unternehmen – genauso wie die Neher Group, die Scheplast GmbH und die Lorenz GmbH & Co. KG. Sie alle haben schon seit vielen Jahren Photovoltaikanlagen auf allen Firmendächern, um fossile Rohstoffe zu sparen. Knoblauch setzt zusätzlich auf eine Hackschnitzelanlage, Lorenz auf die Abwärme einer Biogasanlage aus der Nachbarschaft, Neher investierte gerade in eine große Freiflächensolaranlage. Und dass alle ihren Abfall so weit wie möglich reduzieren und Material recyceln, versteht sich fast von selbst.
Elke Zapf lebt und arbeitet als freie Journalistin in Berg bei Ravensburg

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