Recht und Steuern
Gratifikationen
Eine Gratifikation ist eine Sonderzuwendung, die dem Arbeitnehmer zusätzlich zur normalen Arbeitsvergütung als Anerkennung für geleistete Dienste oder Betriebstreue gewährt wird. Neben diesen Zwecken kann eine zusätzliche Vergütung zu der im Bezugszeitraum geleisteten Arbeit oder ein künftiger Leistungsanreiz gewollt sein. Typische Beispiele sind Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie Jubiläumszahlungen.
Anspruch auf Gratifikation
Es besteht kein gesetzlicher Anspruch auf eine Gratifikation. Ein Anspruch auf eine Gratifikation kann sich aus einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung, einem Einzelarbeitsvertrag, aber auch aus einer Betriebsübung oder dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ergeben. Nach dreimaliger vorbehaltloser Gewährung der Gratifikation erkennen die Gerichte einen Anspruch des Arbeitnehmers kraft betrieblicher Übung an. Dies gilt dann nicht, wenn der Arbeitgeber seinen Bindungswillen ausgeschlossen hat. Ein Ausschluss kann etwa durch einen sogenannten Freiwilligkeitsvorbehalt erfolgen. Der Arbeitgeber kann sich beispielsweise bei Auszahlung der Gratifikation eine entsprechende Bestätigung von den Arbeitnehmern unterzeichnen lassen. Grundsätzlich wirkt sich eine bestehende betriebliche Übung auch zugunsten der neu in den Betrieb eintretenden Arbeitnehmer aus (BAG, Urteil vom 15. Mai 2012 – 3 AZR 610/11 –, BAGE 141, 222-258; BAG v. 10.8.1988 - 5 AZR 571/87), es sei denn, der Arbeitgeber hat gegenüber den neu eingetretenen Arbeitnehmern die Leistungen aus der betrieblichen Übung ausdrücklich ausgeschlossen (BAG, Urteil vom 24. Juni 2003 – 9 AZR 302/02).
Bei der Gestaltung von Vertragsklauseln ist seitens des Verwenders unbedingt das Transparenzgebot zu beachten. Klauseln sind gem. § 307 Abs.1 Satz 2 BGB klar, verständlich und eindeutig zu verfassen. Eine missverständliche Formulierung hat Unwirksamkeit zur Folge. Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 08.12.2010 (Az.: 10 AZR 671/09) entschieden. In dem dem Urteil zu Grunde liegenden Fall enthielt der Arbeitsvertrag die Klausel, dass Gratifikationen „freiwillig“ und ohne jede rechtliche Verpflichtung erfolgen und daher jederzeit und ohne Wahrung einer besonderen Frist widerrufbar seien. Das BAG hielt die Verknüpfung von Freiwilligkeit und Widerrufsmöglichkeit für nicht eindeutig. In einer weiteren Entscheidung des BAG vom 14.09.2011 (Az.: 10 AZR 526/10) hat dieses entschieden, dass ein vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt, der alle zukünftigen Leistungen unabhängig von ihrer Art und ihrem Entstehungsgrund erfasst, den Arbeitnehmer regelmäßig unangemessen benachteiligt i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BGB und deshalb unwirksam ist. Ein solcher Freiwilligkeitsvorbehalt bedarf zwar keiner besonderen Form, allerdings ist der einzelne Arbeitnehmer davon in Kenntnis zu setzen.
Für die Praxis bedeutet dies: Bei jeder Leistungsgewährung müssen sollte die Freiwilligkeit der Leistung und der Ausschluss künftiger Wiederholung der Leistung erklärt werden. Ein arbeitsvertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt allein genügt also nicht mehr.
Negativbeispiel einer unwirksamen Klausel:
„Bei Gratifikationen, Prämien und anderen Einmalzahlungen des Arbeitgebers, die nicht Bestandteil des laufenden monatlichen Arbeitsentgelts sind, handelt es sich um freiwillige Leistungen des Arbeitgebers, auf die auch bei wiederholter Gewährung kein Rechtsanspruch für die Zukunft besteht. Die Zahlung erfolgt unter dem Vorbehalt des vollständigen oder teilweisen Widerrufs. Die Ausübung des Widerrufs kann bei Vorliegen eines sachlichen Grundes erfolgen, insbesondere bei schlechter wirtschaftlicher Lage sowie Gründen in Verhalten oder Person des Arbeitnehmers. Dabei ist eine Frist von einem Monat einzuhalten.“
Höhe der Gratifikation
Die Höhe der Gratifikation ergibt sich aus der maßgebenden tariflichen, betrieblichen oder einzelvertraglichen Regelung. Ansonsten kann der Arbeitgeber nach freiem Ermessen die Höhe festlegen, (BAG, Urt. v. 16.01.2013, Az. 10 AZR 26/12, so auch: BAG, Urteil vom 19.03.2014, 10 AZR 622/13; demnach sind die Höhen der Bonuszahlungen ins Ermessen des Arbeitgebers gestellt, welche ggf. jedoch qualifiziert begründet werden müssen), ist jedoch dabei innerbetrieblich an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden. Bei Teilzeitarbeitnehmern wird die Gratifikation grundsätzlich anteilig gewährt. Nach der Rechtsprechung ist eine unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern nur bei Vorliegen eines sachlichen, also nicht willkürlichen Grundes zulässig. Abstufungen nach Betriebszugehörigkeit, Familienstand oder Kinderzahl werden aber anerkannt.
Kürzung der Gratifikation
a) Fehlzeiten
Der Arbeitgeber darf eine Jahressonderzahlung für Zeiten ohne Arbeitsleistung (Beispiel: Krankheit, Elternzeit, unentschuldigte Fehltage; nicht jedoch Mutterschutzfristen, da diese wegen des Geschlechts gelten) im Bezugszeitraum anteilig kürzen, wenn die Kürzungsmöglichkeit zuvor vereinbart wurde oder sich aus einer Betriebsvereinbarung beziehungsweise einem Tarifvertrag ergibt. Fehlt eine solche Kürzungsregelung, ist nach der Art der Gratifikation zu unterscheiden.
Soll die Zahlung ausschließlich Entgeltcharakter haben, ist der Arbeitgeber berechtigt, die Gratifikation anteilig zu kürzen. Dient die Gratifikation hingegen der Belohnung von Betriebstreue, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf die volle Zuwendung; dies gilt auch für Teilzeitbeschäftigte (BAG, Urt. v. 22.5.1996, Az. 10 AZR 618/95; LAG Köln, Urt. v. 21.05.2015, AZ. 7 Sa 1206/14).
Muster:
”Gratifikationen werden bei krankheitsbedingten Fehlzeiten gekürzt. Die Kürzung beträgt für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt. Ruht das Arbeitsverhältnis, etwa wegen Arbeitskampf, Wehr-/ Ersatzdienst, unbezahltem Urlaub oder Erziehungsurlaub, ist die Gratifikation in gleichem Maße anteilig zu kürzen.“
Kürzungsvereinbarungen sind unzulässig, wenn sie einzelne Arbeitnehmergruppen sachfremd und willkürlich benachteiligen oder zwingende Arbeitnehmerschutzrechte unzulässig beeinträchtigen (wie beispielsweise die Kürzung von Weihnachtsgeld wegen mutterschutzbedingter Fehlzeiten). Der Umfang der Kürzungsmöglichkeit bei Krankheit ist in § 4a Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgeltFG) gesetzlich geregelt, er darf für jeden Tag der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag fällt, nicht überschreiten.
Soll mit der Zahlung der Gratifikation die Betriebstreue honoriert werden, kommt es allein auf das Bestehen des Arbeitsverhältnisses im Bezugszeitraum an. Das hat zur Folge, dass eine Kürzung der Gratifikation ausscheidet, sofern das Arbeitsverhältnis bestanden hat.
b) Ausscheiden des Arbeitnehmers
Bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vor dem Stichtag oder Ablauf des Kalenderjahres hängt ein Anspruch auf Zahlung der anteiligen Gratifikation von der getroffenen Regelung ab.
Ist keine Regelung getroffen, kommt es darauf an, ob die Gratifikation als zusätzliche Honorierung geleisteter Dienste gedacht ist. Da der Leistungszweck vor dem Stichtag zumindest teilweise erbracht wurde, besteht in diesem Fall ein anteiliger Zahlungsanspruch (bestätigt durch Urteil BAG v. 13.11.2013, AZ. 10 AZR 848/12).
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte entschieden, dass der Anspruch auf eine Weihnachtsgratifikation vom ungekündigten Bestehen des Arbeitsverhältnisses zum Auszahlungszeitpunkt abhängig gemacht werden kann und eine entsprechende Klausel im Arbeitsvertrag einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich stand hält. Dies gelte auch dann, wenn die Klausel nicht danach differenziere, wer das Arbeitsverhältnis gekündigt hat (BAG, Urt. v. 18.01.2012, Az. 10 AZR 667/10). Voraussetzung ist allerdings, dass damit nicht die Vergütung von Arbeitsleistungen bezweckt ist.
Soll mit der Gratifikation hingegen die Betriebstreue honoriert werden, führt die mangelnde Betriebstreue am Stichtag dazu, dass ein Anspruch auf anteilige Zahlung nicht besteht (s. auch: BAG, Urteil vom 22.07.2014, 9 AZR 981/12: Dort entschied das BAG, dass die Zahlung von Urlaubsgeld an das Vorliegen eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses geknüpft werden darf).
Handelt es sich bei der Gratifikation um ein Jubiläumsgeld für die Vollendung einer bestimmten Beschäftigungszeit, so hat der Arbeitnehmer hierauf auch dann einen Anspruch, wenn dieser zeitgleich mit der Beschäftigungszeit aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet (BAG, Urteil vom 09.04.2014, 10 AZR 635/13). Dies bedeutet, dass der Beschäftigte am Fälligkeitstag nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis stehen muss, sofern die jeweilige Beschäftigungszeit vorher erreicht wurde.
Liegt Mischcharakter hinsichtlich der Zwecksetzung vor, kann eine Sonderzahlung, die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelt wird, nicht vom Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Stichtag abhängig gemacht werden. Dies stellt eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers dar (BAG, Urt. V. 13.11.2013, Az. 10 AZR 848/12).
Rückforderung der Gratifikation
Eine Rückforderung der Gratifikation wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses kurz nach Erhalt der Gratifikation scheidet aus, wenn die Sonderzuweisung ausschließlich Entgeltcharakter hat. Hingegen ist der Arbeitgeber zur Rückforderung berechtigt, wenn er diesbezüglich eine eindeutige Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer getroffen hat und mit der Zahlung ausschließlich künftige oder vergangene Betriebstreue entlohnt werden soll Der Rückforderungsvorbehalt muss vor oder spätestens mit der Auszahlung der Gratifikation erfolgen. Bei Gratifikation mit Mischcharakter kommt eine Rückforderung in Betracht, wenn der Gratifikationszweck eindeutig überwiegt.
Das BAG hat folgende Regeln für einzelvertraglich vereinbarte Rückzahlungsklauseln bei Weihnachtsgratifikationen aufgestellt:
- Rückzahlungsklauseln sind unzulässig bei Gratifikationen bis zu 100 Euro.
- Bei Gratifikationen über 100 Euro, aber weniger als einem Monatsgehalt, kann eine Rückzahlungsvereinbarung für den Fall getroffen werden, dass der Arbeitnehmer vor dem 31. März des folgenden Jahres ausscheidet.
- Bei einer Gratifikation in Höhe von mindestens einem Monatsgehalt sind Bindungen über den 31. März des Folgejahres hinaus zulässig. Die Rechtsprechung stellt hier auf die Kündigungsfristen für den Arbeitnehmer ab. Ein Arbeitnehmer mit einer Kündigungsfrist zum Quartalsende kann daher in der Regel bis zum 30. Juni gebunden werden, ein Arbeitnehmer mit der gesetzlichen Kündigungsfrist bis zum 30. April.
- Rückzahlungsklauseln über den 30. Juni des Folgejahres hinaus sind grundsätzlich unzulässig.
Dahingegen können Leistungen mit Vergütungscharakter und leistungsabhängige Prämien für bereits geleistete Arbeit keinen Rückzahlungsvorbehalt enthalten. Rückzahlungsvorbehalte sind in diesem Zusammenhang unzulässig, da sie dem Arbeitnehmer für die geleistete Arbeit den verdienten Lohn nehmen (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 08. Februar 2005 – 5 Sa 435/04; BAG v. 27.4.1982 - 3 AZR 814/79; BAG v. 13.9.1974 - 5 AZR 48/74).
Ohne eine eindeutig gefasste Rückzahlungsvereinbarung hat der Arbeitgeber keinen Anspruch auf Rückzahlung der Gratifikation.
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