Sustainable Finance
1. Um was geht es?
Um die Ziele des europäischen Green Deal zu erreichen, sieht die EU-Kommission im Finanzsektor eine Schlüsselrolle und veröffentlichte im März 2018 den “Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums”.
Es ist somit von entscheidender Bedeutung, dass Kapitalflüsse in nachhaltige Projekte und Aktivitäten gelenkt werden.
Der Finanzsektor soll im Rahmen einer zukünftigen Sustainable Finance Strategie zum Green Deal beitragen indem:
- Investitionen auf nachhaltigere Technologien und Unternehmen umorientiert werden sollen.
- Das Wachstum langfristig auf nachhaltige Weise finanziert wird.
- Ein Beitrag zur Schaffung einer kohlenstoffarmen, klimaresistenten und kreislauforientierten Wirtschaft gegeben ist.
Zur Umsetzung bedarf es einer einheitlichen Sprache und einer eindeutigen Definition was “nachhaltig” ist. Aus diesem Grund wurde im die Schaffung eines gemeinsamen Klassifizierungssystems für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten - "EU-Taxonomie" gefordert.
2. Was bedeutet die Taxonomie?
Die Taxonomie legt den Rahmen für die Entwicklung und die Anwendung einer einheitlichen Klassifizierung nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten in der EU fest. Sie richtet sich an Unternehmen und Finanzmarktakteure wie Banken und Versicherungen und legt sehr genaue Kriterien für verschiedene Branchen fest.
Gemäß der EU-Taxonomie werden Wirtschaftstätigkeiten als umweltfreundlich oder ökologisch nachhaltig anerkannt, wenn sie
- einen wesentlichen Beitrag zu mindestens einem der sechs Umweltziele leisten
- keinem dieser Umweltziele nennenswert widersprechen
- und im Sinne der EU-Taxonomie soziale Mindeststandards erfüllen (diese sind bisher nicht definiert)
Die sechs EU-Umweltziele sind:
- Klimaschutz
- Anpassung an den Klimawandel
- nachhaltige Nutzung und Schutz der Wasser- und Meeresressourcen
- Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
- Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
- Schutz und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme
Gleichzeitig müssen soziale Mindeststandards in den Bereichen Arbeitsstandards und Menschenrechte eingehalten werden und es muss belegt werden, dass zugleich keinem der anderen Umweltziele erheblich entgegenwirkt wird.
Um Nachhaltigkeit bewerten zu können, wurden für die einzelnen Wirtschaftsbereiche technische Screening-Kriterien entwickelt, an Hand derer beurteilt werden kann, ob die jeweilige Aktivität nachhaltig ist oder nicht. Dabei handelt es sich in den meisten Fällen um Grenzwerte für CO2- oder andere Emissionen einzelner Produktionsbereiche.
Für die ersten beiden Ziele - Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel - stehen seit dem 21. April 2021 die Kriterien fest, an denen für jede einzelne Tätigkeit bemessen wird, ob und inwieweit sie als „nachhaltig“ gilt. Hierzu werden in Anhängen von mehreren hundert Seiten detaillierte und meist quantitative Bewertungsmaßstäbe für die Nachhaltigkeit von etwa hundert Wirtschaftsaktivitäten festgelegt. Diese ersten beiden Ziele werden ab 2022 Anwendung finden. Für die weiteren vier Ziele stehen die finalen Fassungen der delegierten Rechtsakte mit den technischen Kriterien noch aus, ihre Anwendung ist jedoch schon ab 2023 vorgesehen.
3. Für wen gilt die Taxonomie?
Seit 10.03.21 gilt die Offenlegungsverordnung (Sustainable Finance Disclosure Regulation, kurz SFDR). So müssen Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater, die "grüne" Finanzprodukte anbieten, offenlegen ob und wie sie nachteilige Auswirkungen von Investitionsentscheidungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren (bei der Beratung) berücksichtigen. Spätestens ab dem Jahr 2023 müssen Offenlegungspflichten gemäß der Taxonomie inklusive ihrer Bewertungskriterien für jedes Finanzprodukt angewendet werden.
Zugleich betrifft die EU-Taxonomie-Verordnung folgende Unternehmen:
alle großen Unternehmen, unabhängig von einer Kapitalmarktorientierung,wenn sie zwei der drei folgenden Kriterien erfüllen:
- Mehr als 250 Beschäftigte
- Bilanzsumme über 20 Millionen Euro
- Nettoumsatz über 40 Millionen Euro
alle kapitalmarktorientierten kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), mit Ausnahme börsennotierter Kleinstunternehmenals Kleinstunternehmen gelten Unternehmen, die zwei der drei Merkmale nicht überschreiten:
- 10 Beschäftigte
- 350.000 Euro Bilanzsumme
- 700.000 Euro Nettoumsatz
Folgendes Stufenmodell kommt zur Umsetzung:
- ab 1. Januar 2024 für Unternehmen, die bereits der NFRD* unterliegen
(erste Berichterstattung 2025);- ab 1. Januar 2025 für große Unternehmen, die derzeit nicht der NFRD unterliegen
(erste Berichterstattung 2026);- ab 1. Januar 2026 für börsennotierte KMU sowie für kleine und nicht komplexe Kreditinstitute und firmeneigene Versicherungsunternehmen (erste Berichterstattung 2027).
Diese kapitalmarktorientierten KMU können für Geschäftsjahre, die vor dem 1. Januar 2028 beginnen, beschließen, auf einen Nachhaltigkeitsbericht zu verzichten und müssen dies jedoch begründen.
* NFRD = Non-Financial Reporting Directive (bereits bestehende EU-Richtlinie zur CSR-Berichterstattung)
4. Was müssen Unternehmen jetzt beachten?
Im Rahmen von Sustainable Finance zeichnen sich aktuell drei Handlungsfelder ab, die dazu führen, dass sich alle Unternehmen zukünftig verstärkt mit dem Thema einer nachhaltigen Berichterstattung auseinander setzen müssen.
- Verpflichten neue Gesetze und Verordnungen Unternehmen direkt und unmittelbar zu einer nachhaltigen Berichterstattung. So müssen größere, kapitalmarktorientierte Unternehmen, Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute und Versicherungsunternehmen, die unter den Anwendungsbereich der Corporate Social Responsibility (CSR)-Richtlinie fallen, ab 2022 in ihrem Lagebericht angeben, inwiefern ihre Tätigkeiten im Geschäftsjahr 2021 den neuen Taxonomie-Kriterien entsprachen.
- Es ist zu erwarten, dass große Unternehmen die neuen Anforderungen in der Berichtspflicht in der Lieferkette weitergeben. Für Unternehmen, die nicht direkt unter den Anwendungsbereich der Taxonomie-Verordnung oder der CSR-Richtlinie fallen, bedeutet dies mittelbar ebenfalls Auskunft über ihre Tätigkeiten mit Blick auf Nachhaltigkeits-Kriterien geben zu können.
- Banken sind in diesem Kontext angehalten, Nachhaltigkeitsrisiken, inklusive Klimarisiken und Risiken aus dem Übergang in eine nachhaltige Wirtschaft, in angemessener Weise zu berücksichtigen. Entsprechend ist davon auszugehen, dass Banken, Kreditinstitute und Versicherungen verstärkt Kundebeziehungen auf Transformationsrisiken hin überprüfen und entsprechende Berichte von Unternehmen bei der Unternehmensfinanzierung einholen werden. Im schlimmsten Fall werden an Betriebe, deren Geschäftszweck die oben benannten Ziele nicht eindeutig befördert, keine Kredite mehr vergeben.
Abzusehen ist bereits, dass europäische und nationale Förderprogramme an den Kriterien der Taxonomie ausgerichtet werden. Auch in zukünftigen Gesetzgebungen sind Verweise auf die Taxonomie zu erwarten.
Im Ergebnis führt dies dazu, dass alle Unternehmen zukünftig Angaben zur Nachhaltigkeit ihres Unternehmens machen können müssen. Unternehmen die sich frühzeitig darauf einstellen haben die Chance neue Kunden zu gewinnen, die sich abzeichnenden Bürokratiekosten zu begrenzen und gute Konditionen bei der Unternehmensfinanzierung zu erzielen.
5. Welche Herausforderungen kommen auf die Unternehmen zu?
Die Herausforderung einer politischen Regulierung zu Sustainable Finance ist enorm. Denn eine indirekte Lenkungswirkung über den Finanzmarkt auf das Thema Nachhaltigkeit, stellt eine neue Reichweite in der Finanzmarktregulierung dar. Bisher war die Finanzmarktregulierung in ihrer Funktion auf die Stabilisierung von Märkten beschränkt. Mit der Ausdehnung auf das Thema Nachhaltigkeit und insbesondere Klimaschutz drohen nicht beabsichtigte Nebenwirkungen. Eine der großen Gefahren ist beispielsweise, dass „Sustainable Finance“ zum Verhinderungsinstrument von Investitionen in andere Sektoren und Zukunftsfeldern wie beispielsweise der Digitalisierung wird.
In jedem Fall sind nachfolgende vier Herausforderungen klar zu identifizieren, welche zukünftig von Unternehmen zu bewältigen sein werden und das Kerngeschäft zusätzlich belasten könnten:
- Mehr Bürokratie durch zusätzliche Reportings und umfangreichere Berichterstattung
- Zusätzlicher Ressourcenaufwände für Datenerfassung und Aufbereitung
- Höhere Kreditkosten, wenn Transformations- oder Klimarisiken vermutet werden
- Einschränkung oder Kreditverweigerung aufgrund fehlender Unternehmensberichte oder einer ungünstigen Taxonomiezuordnung
6. Wie können sich Unternehmen vorbereiten?
Um die Bürokratiekosten zu reduzieren, ist es für Unternehmen empfehlenswert auf bestehende und im Betrieb etablierte Berichte und Audits zurückzugreifen und diese in einem übergeordneten Nachhaltigkeitsbericht zusammen zu führen.
In vielen Fällen bestehen bereits Zertifizierungen und Audits, welche sich den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit (Ökonomie, Ökologie und Soziales) zuordnen lassen. So ist etwa der ganze Bereich des Arbeitsschutzes und der Mitarbeiterförderung der sozialen Dimension von Nachhaltigkeit zuzuordnen.
Maßnahmen und Managementinstrumente, wie beispielsweise EMAS im Themenfeld der Energie- und Ressourceneffizienz, sind hingegen Bestandteil der ökologischen Perspektive. Aber auch europäische Vorgaben wie beispielsweise mit Blick auf die Informationspflichten nach REACH Art. 33 können der ökologischen Dimension zugeordnet werden.
Letztlich sind insbesondere auch die wirtschaftlichen Kennzahlen von Interesse für die ökonomische Perspektive, denn nur ein wirtschaftlich gut aufgestelltes Unternehmen kann in die sozialen und ökologischen Dimensionen von Nachhaltigkeit dauerhaft investieren.
Die vorhandenen Informationen können anschließend in einem gebündelten Bericht zusammengeführt werden, welcher zukünftig gegenüber Kunden, Banken und Versicherungsinstituten als Nachhaltigkeitsbericht zur Verfügung gestellt werden kann.
Für manche Unternehmen kann es sinnvoll sein, ihr Engagement darüber hinaus im Rahmen einer CO2-Bilanz, einem externen Auditing nach ISO 14064 zur Reduktion von Treibhausgasen oder im Rahmen eines anerkannten Kodex wie dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) zu verdeutlichen (siehe unten).
7. Berichterstattung
Die Non-financial Reporting Directive (Richtlinie 2014/95/EU) war ein Aufschlag. Jetzt macht sich die Europäische Union mit neuen Richtlinien und Verordnungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und Sustainable Finance an den nächsten Satz.
Die delegierte Verordnung (EU) 2023/2772 mit den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) ist im Amtsblatt veröffentlicht und formal in Kraft getreten. Sie gilt ab dem 1. Januar 2024 für Geschäftsjahre, die am oder nach dem 1. Januar 2024 beginnen; beachten Sie hierzu bitte die gestaffelte Anwendung für die betroffenen Unternehmen nach Art. 5 der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) 2022/2464 (Link: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:32022L2464).
Link zum Amtsblatt der EU vom 22. Dezember 2023, Reihe L: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=OJ:L_202302772
Für die aktuell bestehende CSR-Berichtspflicht gibt es bereits bestehende Rahmenwerke diese können zur Orientierung dienen:
Nutzbar sind beispielsweise folgende nationale, europäische oder internationale Rahmenwerke:
- Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK)
- UN Global Compact
- ISO 26000
- EMAS (Eco-Management und Audit Scheme)
- G4-Leitlinien der Global Reporting Initiative (GRI)
Ausführlichere Informationen finden Sie unter CSRD-Berichtspflichten.
8. Hilfestellung für Unternehmen
In der Praxis wirft das komplexe Zusammenwirken der Themen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG) sowie die Betrachtung firmenindividueller Nachhaltigkeitsaspekte viele Fragen auf. Die IHK für München und Oberbayern hat in Zusammenarbeit mit der Value Balancing Alliance (VBA) und Deloitte einen praxisorientierter Leitfaden entwickelt. Er kann als Orientierungshilfe dafür dienen wie sich KMUs in fünf pragmatischen Schritten mit dem Themenfeld Nachhaltigkeitsmanagement und der nichtfinanziellen Berichterstattung auseinandersetzen können.
Auch die IHK Darmstadt hat einen Beratungsleitfaden für kleine und mittlere Unternehmen zum Thema Green Deal entwickelt. Dieser Beratungsleitfaden unterstützt dabei, das eigene Marktpotenzial im Kontext des „Green Deal“ zu erkennen und Chancen für die eigene Geschäftsentwicklung abzuleiten. Chancen können sich im Idealfall organisch aus dem bisherigen Geschäft entwickeln lassen. Es kann aber auch sein, dass eine Bewertung der Handlungsfelder eine disruptive Geschäftsentwicklung als Option aufzeigt.
Die Publikation "Sustainable Finance - Auswirkungen für kleine und mittlere Unternehmen" der IHK Darmstadt (Stand Juni 2021) enthält weitere Ausführungen zu den Themen
- Status quo der Finanzierung kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU)
- Gefahren für KMU
- Chancen und Stellschrauben für Sustainable Finance bei KMU
Zudem enthält sie eine Checkliste mit Hinweisen, was Unternehmen selbst tun können, um zu Klimaschutz, Nachhaltigkeit, sozialer Entwicklung und guter Unternehmensführung beizutragen.