„Vielfalt am Arbeitsplatz unterstützen“

Wie Unternehmen für internationale Arbeitskräfte attraktiv werden
Professorin Dr. Maike Andresen und Anh Nguyen forschen an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg zu internationalem Personalmanagement. Im Gespräch mit der „Oberfränkischen Wirtschaft“ beleuchten sie die Bedeutung internationaler Fach- und Arbeitskräfte für unsere Wirtschaft und beantworten die Frage, welche Faktoren zum Kommen und Bleiben bewegen.

Zunächst ganz allgemein gefragt: Welche Bedeutung haben internationale Arbeitskräfte für unseren Wirtschaftsstandort? (gerne in Bezug auf Oberfranken)
Das Bundesland Bayern weist in Deutschland den zweitgrößten Anteil an erwerbstätigen Migrantinnen und Migranten auf. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Arbeitsmigrantinnen und -migranten in Bayern um fast eine Million gestiegen, von 5,7 Millionen im Jahr 2013 auf 6,6 Millionen (vgl. Daten der Bundesagentur für Arbeit).

Innerhalb Bayerns sticht Oberfranken als die Region mit der höchsten Konzentration an erwerbstätigen Arbeitskräften aus dem Ausland hervor. Hier ist die Zahl der Arbeitskräfte mit Migrationshintergrund zehnmal so hoch wie in Regionen wie Unterfranken oder der Oberpfalz.

Ein bemerkenswerter Aspekt Oberfrankens ist der im Vergleich hohe Anteil älterer Bevölkerungsmitglieder, was die verbesserte Zugänglichkeit zu Arbeitsplätzen für Migrantinnen und Migranten und die erhöhte Nachfrage nach Arbeitsmigrantinnen und -migranten in dieser Region erklären könnte.

Wie profitieren Unternehmen von internationalen Arbeitskräften?
Die internationalen Arbeitskräfte spielen eine zentrale Rolle bei der Behebung des Arbeitskräftemangels – sowohl auf nationaler als auch auf Organisationsebene. In Europa stellen Migrantinnen und Migranten 13% der benötigten Arbeitskräfte in verschiedenen Sektoren wie beispielsweise Bildung, Landwirtschaft, Wissenschaft und Technik, Körperpflege und Reinigungsdienste (Berg et al., 2023). Sie decken nicht nur Arbeitskräftebedarfe, sondern bringen darüber hinaus vielfältige Vorteile mit sich. Arbeitsmigrantinnen und -migranten fördern Innovationen, erleichtern den Wissensaustausch, steigern die Produktivität und tragen zur Expansion ihrer Arbeitgeber bei. So haben in Deutschland lebende Erfinderinnen und Erfinder mit Migrationshintergrund zu mindestens 12,2 % der Patente in verschiedenen Bereichen beigetragen (Haag et al., 2022). Auch wenn diese Zahl im Vergleich zu Ländern mit hohem Migrationsanteil wie den Vereinigten Staaten, wo 23 % der Innovationen von internationalen Erfinderinnen und Erfindern stammen (Bernstein et al., 2022), bescheiden erscheinen mag, ist der Trend in Deutschland über die Jahre hinweg stark ansteigend (Haag et al., 2022). Es ist erwähnenswert, dass internationale Arbeitskräfte nicht nur durch ihre eigenen Erfindertätigkeiten Innovationen vorantreiben, sondern auch durch die Verbreitung ihres Wissens die Innovationsfähigkeit einheimischer Arbeitnehmender fördern (Diodato et al., 2022).

Der Einfluss von Arbeitsmigrantinnen und -migranten findet sich über alle Qualifikationsniveaus hinweg. Hochqualifizierte Migrantinnen und Migranten stärken die Wirtschaft und Leistung von Unternehmen, während geringqualifizierte Migrantinnen und Migranten den Wettbewerb in Berufen mit niedrigeren Qualifikationen erhöhen und derart einheimische Arbeitnehmende motivieren, sich um höhere Positionen zu bemühen. Diese Dynamik bereichert nicht nur die Qualität der Belegschaften, sondern fördert auch die Aufwärtsmobilität der einheimischen Arbeitnehmenden.

Gibt es Branchen, die klassischerweise besonders international sind?
In der Vergangenheit waren internationale Arbeitskräfte in Europa vor allem in Sektoren wie Beherbergungsdienstleistungen, Gastronomie, Verwaltungs- und Unterstützungsdienstleistungen, Haushaltsarbeiten und Bauwesen vertreten (Europäische Kommission, 2024).

Wie können Unternehmen für internationale Arbeitskräfte attraktiv sein, sodass diese kommen und auch bleiben wollen? Welche Faktoren sind hierfür wichtig?
Bei der Diskussion über die Anwerbung und Bindung internationaler Arbeitskräfte sind zwei verschiedene Gruppen zu unterscheiden. Die erste Gruppe umfasst diejenigen, die sich bereits in Deutschland aufhalten und in der Regel über eine gültige Arbeitserlaubnis verfügen. Für diese Personen sind Aspekte wie die Arbeitgeberattraktivität ähnlich wichtig wie für einheimische Arbeitnehmende. In diese Gruppe der internationalen Arbeitskräfte spielen Faktoren wie organisatorische Passung, Arbeitswerte und Entwicklungsperspektiven eine zentrale Rolle für die Entscheidung zu kommen und zu bleiben. Für sie sind insbesondere Unternehmen attraktiver, die eine vielfältige Belegschaft aufweisen, da sie hier auf soziale Netzwerke bei ihrer Arbeitssuche und Bewerbung zurückgreifen können, die sich häufig nicht nur lokal, sondern auch transnational oder gar global erstrecken. Vielfalt signalisiert eine potenzielle Übereinstimmung zwischen den kulturellen, ethnischen und sprachlichen Hintergründen der internationalen Arbeitskräfte und der Unternehmenskultur.

Die zweite Gruppe besteht aus Personen, die noch nicht nach Deutschland umgezogen sind und deren Anziehungs- und Bindungsfaktoren in erster Linie außerhalb des Unternehmenskontextes liegen. Zu diesen Faktoren gehören die Kultur des Aufnahmelandes, der Lebensstil, die Migrationspolitik, der Grad der Internationalisierung und Digitalisierung, das wirtschaftliche Klima und die emotionale Bindung an das Zielland. Die Attraktivitätsfaktoren variieren je nach Beruf. Beispielsweise legen internationale Akademikerinnen und Akademiker Wert auf Arbeitsmöglichkeiten und Gehalt, Fachkräfte im Gesundheitswesen schätzen fortschrittliche Arbeitsumgebungen und Karriereentwicklung, Individuen auf Managementebene suchen Verantwortung und Herausforderungen und digitale Nomaden legen Wert auf Flexibilität. Darüber hinaus zieht es internationale Arbeitskräfte, die aus demselben Herkunftsland kommen, oft an Zielorte, die eine gewisse Nähe schaffen wie eine gemeinsame Religion, Sprache oder bestehende Diaspora.

Um internationale Arbeitskräfte zu halten, muss sichergestellt werden, dass sie sich sowohl in ihrer Heimat- als auch in ihrer Gastlandgemeinschaft eingebettet fühlen. Diese Einbettung resultiert aus ihren sozialen Beziehungen, ihrer Kompatibilität mit sozialen und kulturellen Normen und ihrer emotionalen Bindung an beide Länder. Unsere Forschung zeigt, dass Arbeitnehmende, die sowohl in ihrem Heimat- als auch in ihrem Gastland eingebettet sind, im Vergleich zu denjenigen, die ausschließlich im Gastland integriert sind, bessere Arbeitsergebnisse erzielen. In statistischen Zahlen bedeutet dies, dass wenn Arbeitgeber einen Vergleich zwischen einer internationalen Arbeitskraft, die sowohl in ihr Heimat- als auch in ihr Gastland eingebettet ist, und einer Arbeitskraft, die ausschließlich mit dem Gastland verbunden ist, vornimmt, sie erwarten kann, dass Mitglieder der ersten Gruppe in 62 % der Fälle länger in ihrem Job bleiben, in 66 % der Fälle ein besseres Wohlbefinden aufweisen und ihre Karriere in 76 % der Fälle weiter entwickelt ist. Ein Erklärungsfaktor ist, dass internationale Arbeitskräfte, die sich erfolgreich im Ausland integrieren und gleichzeitig Verbindungen zu ihrem Heimatland aufrechterhalten, häufig von zusätzlichen Ressourcen wie familiäre Unterstützung und berufliche Netzwerke profitieren, welche ihre Arbeitseffizienz steigern. Umgekehrt kann die Förderung der Integration ausschließlich im Arbeitskontext die Bindung an das Gastland behindern. So finden wir unter internationalen Arbeitskräften, die sich in erster Linie durch Arbeit und Karriereaussichten mit ihrem Gastland verbunden fühlen, niedrigere Bindungsquoten. Dieses Ergebnis unterstreicht die Wichtigkeit, ein Gefühl der Zugehörigkeit sowohl im persönlichen als auch im beruflichen Bereich zu fördern, um internationale Arbeitskräfte effektiv zu binden (Nguyen & Andresen, 2023).

Daran anschließend: Welche praktischen Implikationen für Unternehmen ergeben sich hieraus?
Arbeitgeber können die Attraktivität ihres Unternehmens für internationale Arbeitskräfte und deren Bindung an das Unternehmen fördern, indem sie Vielfalt (Diversität) am Arbeitsplatz unterstützen und internationale Arbeitskräfte derart ihre Kultur und Wurzeln wahrnehmen/leben können. Beispielsweise zögern einige Unternehmen, wenn kulturelle Eigenheiten von Mitarbeitenden gegenüber Kunden sichtbar werden (z. B. das Tragen des Hijab), weil sie sich Gedanken um Einstellungen und Reaktionen der Kundschaft machen. Die Erlaubnis, dies zu tun, kann sich jedoch positiv auf die Arbeitsergebnisse von internationalen Arbeitskräften auswirken (z. B. Karriereentwicklung, Mitarbeitendenbindung). Hier gilt es folglich seitens der Arbeitgeber die Unternehmensziele zu gewichten, um eine Entscheidung zu treffen. Ebenso erlaubt das Gesetz in einigen Ländern internationalen Arbeitnehmenden, zu bedeutenden Anlässen in ihrer Heimatkultur (z. B. Unabhängigkeitstag, Neujahr) Urlaub zu nehmen, so dass Arbeitgebende hier freiwillig Angebote unterbreiten können. Unternehmen können transnationale Gruppen am Arbeitsplatz zudem weiter fördern, indem sie neue Mitarbeitende aus dem Ausland über bestehende Netzwerke ihrer internationalen Arbeitskräfte rekrutieren und, wenn möglich und sinnvoll, Geschäftsreisen in das Heimatland anbieten, um die doppelte Einbettung (siehe oben) zu fördern. Weitere Empfehlungen sind die Förderung von Integration und Antidiskriminierung sowie die Vermeidung von Konflikten zwischen internationalen Arbeitskräften und Einheimischen. Unternehmen können Veranstaltungen zum gegenseitigen Kennenlernen, Aufgaben, bei denen Mitarbeitende aus verschiedenen Kulturgruppen zusammenarbeiten, und kulturelle Austauschmöglichkeiten anbieten.

Unternehmen profitieren von der Umsetzung eines langfristigen und umfassenden Integrationsplans für ihre internationalen Arbeitskräfte sowohl innerhalb als auch außerhalb des Arbeitsplatzes. Diese Unterstützung umfasst häufig die Hilfe bei der Erledigung von Formalitäten und der Wohnungssuche, Umzugsbeihilfen, Sprachkurse, kulturelle Einführungen und Studiengebühren für Kinder. Einige dieser Maßnahmen sind in der Praxis einer kleinen (Elite-)Gruppe unter den Beschäftigten vorbehalten oder bislang ausschließlich in multinationalen Unternehmen verfügbar, wohingegen KMUs bislang tendenziell deutlich geringere Angebote haben und sich auf persönliche Unterstützung und lokale Netzwerke konzentrieren. Arbeitgeber können informelle Veranstaltungen zur sozialen Vernetzung und Kulturführer organisieren, die Informationen über die Lebensweise, das rechtliche und politische System des Gastlandes bereitstellen, berufliche und akademische Unterstützung für die Familienmitglieder (z. B. Ehepartner, Kinder) und soziale Unterstützung (z. B. psychologisches Coaching, Beratung, Selbsthilfegruppe usw.) anbieten.

Es ist von Vorteil, wenn Unternehmen diese Maßnahmen in Zusammenarbeit mit politischen Entscheidungsträgern, Ämtern, Sozialdiensten (z. B. Arbeitsämtern, Familien- und Jugendämtern) und relevanten Nichtregierungsorganisationen (z. B. Vereine, die sich für Migrantinnen und Migranten, Flüchtlinge usw. einsetzen) ergreifen. Hilfreich sind zudem Regelungen, welche die Attraktivität des Landes für globale Talente (z. B. Global Talent Competitiveness Index) und die Beschäftigungsfähigkeit von internationalen Arbeitskräften fördern, wie z. B. Regelungen zur Anerkennung der Qualifikationen von internationalen Arbeitskräften. Neben der Integration in den privaten und organisationalen Kontext können Unternehmen externe Schulungen anbieten, die Mitgliedschaft in Berufsverbänden fördern und Kooperationen zwischen Unternehmen etablieren, um gemeinsam Angebote zu entwickeln, welche die Karriereperspektiven von internationalen Arbeitskräften unterstützen und so ihre Bindung an das Aufnahmeland und ihre spätere Bindung stärken.

Bei Unternehmensgründungen sticht der Anteil von Menschen mit Einwanderungsgeschichte hervor. Haben Sie eine Erklärung hierfür?
Wie oben belegt, spielen internationale Arbeitskräfte eine entscheidende Rolle bei der Förderung von Innovationen und der Erleichterung des Wissenstransfers, da sie sich in verschiedenen globalen Kontexten bewegen und ihre sich daraus ergebende Wissensbasis einbringen können. Diese Fähigkeit ist besonders für Unternehmensgründungen von Vorteil, da sie förderlich ist, um innovative Ideen zu generieren, Wettbewerbsvorteile zu erkennen und zu verbessern sowie das Geschäft international auszuweiten.

Darüber hinaus verkörpern internationale Arbeitskräfte, insbesondere diejenigen, die auf eigene Initiative in ein neues Land gegangen sind, das Konzept einer sogenannten „grenzenlosen Karriere“, die durch eine hohe Mobilität über Funktionen, Organisationen und Länder hinweg gekennzeichnet ist. Ihre Kompetenzen gehen über spezifische Rollen hinaus und fördern Flexibilität und Agilität - Eigenschaften, die für den Erfolg einer Unternehmensgründung oft unerlässlich sind.

Unsere Daten zeigen darüber hinaus, dass aus der Gruppe der Personen, die ihre Berufstätigkeit im Ausland fortführen, insbesondere diejenigen ein Unternehmen gründen, die eine höhere Eigeninitiative haben (welche bereits in der Initiative, ins Ausland zu gehen, zum Ausdruck kommt). Diese Initiative erlaubt es ihnen, selbst eine Lösung zu generieren, um die Schwierigkeiten beim Einstieg in den Arbeitsmarkt mittels einer Selbstständigkeit zu bewältigen.

Wie bewerten Sie die Aktion der IHKs „27 Prozent von uns – #KeineWirtschaftOhneWir“? Oder anders gefragt: Wie ist es um die Weltoffenheit und Einstellung zu Vielfalt in Deutschland bestellt, brauchen wir da ein solches – und weitere – Signale in diese Richtung?
Laut dem Global Talent Competitiveness Index ist Deutschland für globale Talente durchschnittlich attraktiv innerhalb West- und Nordeuropas. Deutschland rangiert nach Ländern wie der Schweiz, den nordischen Ländern, den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich, Irland und Luxemburg. Global gesehen liegt Deutschland auf Platz 12 (Lanvin & Monteiro, 2023).

Während Deutschland über Stärken wie eine solide berufliche und technische Ausbildung, einen Fokus auf Nachhaltigkeit und einen attraktiven Lebensstil verfügt, stellt der relativ niedrige Digitalisierungsgrad ein erhebliches Hindernis für die Anziehung globaler Talente dar (Lanvin & Monteiro, 2023).

Bemühungen zur Förderung der Vielfalt, insbesondere in Regionen wie Oberfranken, sind im Gange, wobei die Regierung Anreize für Institutionen und Organisationen schafft, welche die Integration von internationalen Arbeitskräften aktiv fördern. Die Einwanderungspolitik hat verschiedene Programme eingeführt, die auf bestimmte Sektoren wie das Gesundheitswesen, die Gastronomie und die Informatik ausgerichtet sind, um Talente anzuziehen. Allerdings sind die Wirksamkeit und die Wahrnehmung dieser Maßnahmen bei den globalen Arbeitskräften und potenziellen Arbeitgebern nicht zufriedenstellend. Förderlich sind weitere Bemühungen zur Markenbildung des Landes und Initiativen zur digitalen Transformation, um Signale für Vielfalt und Integration zu verstärken und damit Deutschland zu einem attraktiveren Ziel für globale Talente zu machen.

IHK für Oberfranken Bayreuth
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