„Ein starkes Netzwerk ist das größte Kapital“

Interview: Mirijam Trunk über Chancengerechtigkeit im Arbeitsleben und Lösungsansätze
Mirijam Trunk hatte ihre erste geschäftsführende Position im Alter von 27 Jahren inne. Sie ist Autorin des Buches „Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte”, für das sie mit 15 erfolgreichen Frauen gesprochen hat. Beim 2. Unternehmerinnen-Tag der IHK-Businesswomen Oberfranken am 9. November 2024 in Hof spricht Mirijam Trunk über weibliche Karrierechancen und strukturelle Ungleichheiten. Im Interview erzählt sie, welche Einsichten sich ihr besonders eingeprägt haben.

In Ihrem Buch schreiben Sie über die Hürden, die verhindern, dass alle Menschen die gleichen Chancen im Berufsleben haben. Wie hoch sind diese Hürden im Jahr 2024 noch immer?
Wir haben ein strukturelles Problem, das Chancengerechtigkeit in der Arbeitswelt verhindert. Die Wahrscheinlichkeit für eine Frau, in Deutschland erfolgreich Karriere zu machen, ist noch immer viel geringer als für einen Mann. Mir ist wichtig darauf hinzuweisen, dass wir dieses Problem nur miteinander lösen können – es geht nicht um ein Gegeneinander oder darum, einen Schuldigen zu finden oder zu sagen, die Männer seien schuld. Es geht darum, was wir – auch als Frauen – aktiv tun können, um die Situation zu verbessern, und wie wir dabei von Frauen lernen können, die es geschafft haben.

Wie kann ein Umdenken gelingen?
Zwei Aspekte sind mir besonders wichtig. Der eine sind die sogenannten unbewussten Vorurteile, die „unconscious bias“. Wir alle haben solche Vorurteile in uns. Wenn eine junge Frau und ein älterer Mann im Anzug in einen Raum kommen, denken die meisten von uns automatisch, dass sie die Sekretärin ist und er der Chef. Auch am Flughafen, wenn wir von der Crew begrüßt werden, haben wir direkt ein Bild im Kopf - wer ist Pilot, wer ist Stewardess. Das liegt an unserer Prägung, das liegt an den Erfahrungen, die wir gemacht haben, so ist unser Gehirn nun mal strukturiert. Das sollten wir versuchen aufzubrechen. Zum einen, indem man selbst Role Model ist, deswegen ist das Thema Sichtbarkeit so wichtig für Frauen. Zum anderen, indem man sich bewusst macht, welche Vorurteile man selbst hat, und wo diese herkommen.

Und der zweite Aspekt?
Der betrifft das Thema Netzwerke. Es gilt, die eigenen Netzwerkstrukturen zu überdenken und sie so zu formen, dass sie inklusiver werden, für Frauen, aber beispielsweise auch, was soziale Herkunft betrifft. Habe ich zum Beispiel nur Menschen in meinem Netzwerk, die Akademiker sind oder aus Akademikerhaushalten kommen?

Für Ihr Buch haben Sie mit 15 erfolgreichen Frauen gesprochen. Was hatten sie gemeinsam?
Für alle gehörte ein starkes Netzwerk zum größten Kapital. Die allermeisten haben dort auch Förderer gefunden – meistens in Männernetzwerken, denn das sind die mächtigen Netzwerke. Das kann ich ja auch über mich sagen. Eine weitere spannende Parallele: Die allermeisten, ganz unabhängig von ihrer Herkunft, haben schon von ihren Eltern sehr viel Selbstbewusstsein vermittelt bekommen. Da geht es auch um Sichtbarkeit, mit der Frauen meiner Erfahrung nach häufiger als Männer Probleme haben, zurückhaltender sind, sich seltener exponieren. Dieses Mindset – „komm‘, trau dich, geh‘ nach vorne“ – haben die Frauen, mit denen ich für das Buch gesprochen habe, sehr früh schon zuhause vermittelt bekommen. Das zeigt, wie groß die Hebel in Bildung und Erziehung sind.
Wir haben ein strukturelles Problem, das Chancengerechtigkeit in der Arbeitswelt verhindert.

Mirijam Trunk

Was raten Sie denen, die sich weiterentwickeln möchten?
Ich glaube, dass man nie aufhören sollte sich selbst zu reflektieren, sei es durch Coaching oder eine Therapie. Dabei geht es gar nicht darum, dass man Hilfe braucht – sondern darum sich zu fragen: Habe ich mein volles Potenzial erreicht? Zum Glück merke ich, dass es immer mehr Menschen leichter fällt, sich mit diesen Themen zu beschäftigen. Und: Ich tue auch anderen einen Gefallen, wenn ich mir ab und zu mal Zeit für mich nehme, mich selbst reflektiere und mir Offenheit und Neugierde bewahre. Also: raus aus dem Hamsterrad und ab und an in den Spiegel schauen.

Bei Ihrem Berufseinstieg sind Sie selbst auf Vorurteile gestoßen, sollten andere Aufgaben übernehmen als Ihre männlichen Kollegen. Wie sind Sie damit umgegangen und wie konnten Sie diese Dynamik durchbrechen?
In solchen Situationen kannst du natürlich hingehen und sagen, Mensch, das ist alles ungerecht und doof. Aber selbst, wenn es das ist – so ändert man nichts daran. Für mich war wichtig, diese Dinge für mich nicht so groß werden zu lassen. Ich muss ja auch sagen, dass ich privilegiert bin, was meine Herkunft betrifft – wie ist das erst für jemanden, der vielleicht nicht weiß ist, nicht aus einem Akademikerhaushalt kommt, vielleicht noch einen Akzent hat? Das potenziert sich ja. Dann habe ich angefangen zu versuchen, die Dynamiken zu verstehen und mir Menschen zu suchen, die mich unterstützen. Ich habe das Glück gehabt, Mentoren und Fürsprecher zu finden, die gesagt haben: Wenn deine Stimme nicht gehört wird, dann sage ich es nochmal, denn meine wird gehört. Unterstützer zu haben, war für mich das Wichtigste.

Häufig sind Frauen und Männer in der Ausbildung und beim Berufseinstieg noch gleichauf, bis zur Familiengründung…
In allen Unternehmen und auch in allen Daten, die ich ausgewertet habe, zeigt sich, dass der Karriereknick bei Frauen mit der Familiengründung kommt. Die traditionelle Rollenverteilung in der Familie ist weiterhin einer der Gründe dafür – die Frau bleibt in der Regel zu Hause. Das hat mit Rollenverteilung und Prägung zu tun, aber auch mit wirtschaftlichen Aspekten, den Betreuungskosten und dem Ehegattensplitting. Nach der Elternzeit landen Frauen dann häufig in der Teilzeitfalle. Mehr als jede zweite erwerbstätige Frau zwischen 35 und 45 arbeitet in Teilzeit.

Familie und Beruf sind oft noch immer schwer zu vereinbaren…
Wirtschaftlich gesehen ist das der größte Irrsinn: Wir haben 800.000 Mütter, die gut ausgebildet sind, die wir nicht in den Arbeitsmarkt integriert bekommen, weil es an der Betreuung hapert. Die Verantwortung, ausreichend Betreuungsplätze zu stellen, wird hin und her geschoben zwischen Bund und Kommunen. Wie kann es sein, dass wir über Fachkräftemangel an allen Ecken und Enden reden, aber unser System von Bildung und Betreuung nicht aufgestockt bekommen? Welche Potenziale wir damit ungenutzt lassen!

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Zur Person
Mirijam Trunk, geboren 1991 in Bamberg, studierte Psychologie, Kommunikationswissenschaft und Politik in München und Washington, D.C. Nach ihrem Master und der Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München arbeitete sie als Reporterin beim Bayerischen Rundfunk. 2019 wurde sie im Alter von 27 Jahren Geschäftsführerin der Bertelsmann Audio Alliance. 2022 wurde sie Teil des Führungsteams von RTL Deutschland und verantwortet dort die Bereiche Crossmedia und Nachhaltigkeit.
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