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Nr. 6108648
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Wirtschaft fordert: Weniger bürokratische Belastungen aus Brüssel
Oberfränkische Unternehmen im Gespräch mit EU-Kommissar Dr. Johannes Hahn
Wird die EU-Wahl am 9. Juni zur Schicksalswahl für Oberfrankens Wirtschaft? Wie unmittelbar die Politik aus Brüssel die heimischen Unternehmen betrifft, wurde jedenfalls überaus deutlich beim Wirtschaftsgespräch zwischen Unternehmerinnen und Unternehmern und dem EU-Kommissar Dr. Johannes Hahn, der auf Einladung der IHK für Oberfranken Bayreuth nach Thurnau gekommen war. Ganz oben auf der Liste der drängenden Themen: die Entbürokratisierung.
Als überzeugte Europäer müssen wir gemeinsam dafür eintreten, dass Europa geeint und stabil bleibt. Aber die EU muss sich auch reformieren und weiterentwickeln – und sie muss Lösungen für die wirtschaftspolitischen Probleme der Gegenwart bereitstellen.
Dr. Michael Waasner
Anschaulich schilderten Wirtschaftsvertreterinnen und -vertreter den alltäglichen Bürokratie-Wahnsinn und die Auswirkungen so manch praxisferner Regelungen, ob auf regionaler, nationaler oder europäischer Ebene, auf ihre Unternehmen. In der Aussprache machten unter anderem Stefan Soiné (Ireks, Kulmbach), Nikolaus Wiegand (Wiegand-Glas, Steinbach am Wald), Wolfgang Schubert-Raab (RAAB Baugesellschaft, Ebensfeld) und Nathalia Rašek-Abach (EMCCons Dr. RAŠEK GmbH & Co. KG, Ebermannstadt) an konkreten Beispielen deutlich, vor welchen Herausforderungen ihre Unternehmen derzeit stehen.
Einig waren sich Politik und Wirtschaft, wie wichtig es ist, dass beide Seiten im Gespräch bleiben. So bedankte sich Hahn bei den Unternehmerinnen und Unternehmern für die Statements, die er gerne mit nach Brüssel nehme. Auch die oberfränkische Europaabgeordnete Monika Hohlmeier betonte, dass für die Politik der Input aus der Praxis wesentlich sei, um die Auswirkungen geplanter Gesetze auf die unternehmerische Wirklichkeit abschätzen zu können.
Europas Wettbewerbsfähigkeit in der Welt schwindet
„Wir teilen das Ziel, nachhaltiges und verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln zu fördern“, sagte IHK-Präsident Dr. Michael Waasner. „Aus Perspektive der Betriebe sind viele Regelungen jedoch weder praxistauglich noch verhältnismäßig. Bei der EU-Lieferkettenrichtlinie sehen sich Unternehmen vielmehr mit großer Rechtsunsicherheit, Bürokratie und kaum kalkulierbaren Risiken konfrontiert.“
Waasner: „Als überzeugte Europäer müssen wir gemeinsam dafür eintreten, dass Europa geeint und stabil bleibt. Aber die EU muss sich auch reformieren und weiterentwickeln – und sie muss Lösungen für die wirtschaftspolitischen Probleme der Gegenwart bereitstellen.“ Es gelte, sich in einer neuen globalen Weltordnung gut aufzustellen. Denn die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Europa gerate im globalen Wettbewerb immer stärker unter Druck.
Der Ankündigung Hahns, die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit in den Vordergrund der nächsten Legislaturperiode zu stellen, konnten die Anwesenden deshalb nur zustimmen. Gerade in Sachen Bürokratie könne er den Unmut der Unternehmen verstehen, sagte Hahn. „Wir haben eine Manie entwickelt, dass alles in einen Report münden muss. Davon müssen wir loskommen“, sagte er. Das Prinzip „one in, one out“ – kommt ein neues Gesetz, muss ein anderes dafür weichen – versuche man zu praktizieren, nicht immer gelinge es jedoch. Hahn selbst befürwortet es, Gesetze mit einem „Ablaufdatum“ zu versehen, zu dem überprüft werden müsse, ob die Regelung noch sinnhaft und notwendig sei.
Die EU ist der größte Wirtschaftsraum der Welt mit mehr als 450 Mio. Menschen und 27 Mitgliedstaaten. Die Grundfreiheiten Dienstleistungsverkehrsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit, Personenverkehrsfreiheit und Warenverkehrsfreiheit sind die großen Vorteile, von denen die deutsche Wirtschaft und damit die Menschen in Deutschland stark profitieren.
Sollte dieser Markt zerfallen, würde Deutschland als Exportnation – gerade in den aktuellen Zeiten – wirtschaftlich unbedeutend werden und großen wirtschaftlichen Schaden erleiden, der Wohlstand für die Menschen in Deutschland würde massiv einbrechen.
Unser Unternehmen EMCCons DR. RAŠEK ist in der ganzen Welt tätig. Wir erfahren jeden Tag, wie schwierig der Export von Dienstleistungen sein kann – und wie gut, trotz unnötiger Bürokratien wie dem A1-Verfahren, der Dienstleistungsverkehr in der EU läuft.
Wir sehen, wie das Vereinigte Königreich wirtschaftlich stark durch den Austritt aus der EU betroffen ist. Deutschland würde m. E. noch stärker betroffen sein. Für unser Unternehmen als „global Player“ wäre ein Austritt sehr negativ und mit noch höherem Verwaltungsaufwand als jetzt verbunden.
Die EU sollte sich, um das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen, auf den Ausbau der Grundfreiheiten sowie den Ausbau von Wirtschaftsabkommen mit Drittländern fokussieren. Insbesondere mit dem Vereinigten Königreich – hier muss endlich mehr passieren, schon alleine, weil es auch als enger Partner in der Verteidigung für die EU und Deutschland sehr wichtig ist. Das TCA-Abkommen muss dringend nachgebessert werden und noch viel weiter gehen.
Auch eine gemeinsam EU-Verteidigungsstratege ist notwendig – wir müssen hier unabhängiger werden, um die Menschen und natürlich auch den Wirtschaftsraum zu schützen.
Die EU sollte weniger philosophisches Mikromanagement betreiben, sondern die vier Grundfreiheiten sowie gemeinsame Verteidigung ausbauen. Nur so kann die EU das Vertrauen der EU-Bürger zurückgewinnen.
Die europäische Bauwirtschaft ist ein wichtiger Treiber der Klimawende und Umsetzer des Green Deals. Sie steht für 9,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU. Rahmenbedingungen werden auf EU-Ebene gesetzt, aber sie müssen auch in der Umsetzung machbar bleiben. Für die Unternehmen wichtigstes Thema ist der Bürokratieabbau. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen ist die Fülle an bürokratischen Anforderungen nicht mehr handhabbar. Das deutsche Baugewerbe ist in vielerlei Hinsicht von den Entscheidungen der EU-Organe in Brüssel betroffen. Ein Beispiel: Die Vorgaben der Taxonomie sehen vor, dass Abbruchmaterial zu 70 Prozent wiederverwendet werden soll. Ohne eine entsprechende Kreislaufwirtschaft dahinter, die die Materialen wieder aufbereitet und dem Herstellungsprozess zuführt, führt die Vorgabe ins Leere und überfordert den mittelständisch geprägten Bausektor. Mit Blick auf die dringend anstehenden Aufgaben im Wohnungsbau, bei der energetischen Sanierung und der Instandsetzung der Verkehrsinfrastruktur müssen wir dringend zu praktikableren Regelungen kommen, sonst wird deutlich weniger, oder regelwidrig, gebaut werden. Beides kann nicht unser Ziel sein.
Am 10. Juni 1979 – einen Tag vor meinem Geburtstag – fand die erste direkte Europawahl statt.
Seitdem ist die Zahl der Mitgliedsstaaten von neun auf 27 gestiegen. Die Zollunion, der Schengenraum und die Währungsunion sind entstanden. Grenzkontrollen sind weggefallen und der Euro wurde eingeführt.
Wir haben gemeinschaftlich über Landesgrenzen hinweg über die Gurkenkrümmung den Kopf geschüttelt. Wir ärgern uns über bürgerferne Bürokratie aus Brüssel, freuen uns über Schüler- und Studentenaustausch, den Austausch der Wissenschaften und die finanzstarken EU-Förderungen in den unterschiedlichsten Bereichen.
Wir sehen, wie nationalstaatliche Interessen in der EU wieder mehr Gewicht bekommen, der Konsens für das Gute nicht gesehen wird und immer mehr (sinnbefreite) EU-Vorgaben und Regularien auf uns zukommen. Nur wenige wissen, wie man das erfüllen kann, und noch weniger erkennen den Sinn darin.
Es ist Zeit, die teilweise gefühlte Arroganz der EU als Weltverbesserer abzulegen und sich der Dinge bewusst zu werden, die in der Vielfalt der Nationen liegen. Frieden, Freiheit und Fortschritt gehen nur zusammen. Die EU, also wir Bürger der 27 Staaten, müssen uns darüber bewusstwerden, welch wertvolles Gut wir haben. Gleichzeitig gilt es, befreit von bürokratischen Fesseln, mutig und agil in die Zukunft zu blicken und gute Visionen Realität werden zu lassen.
Der EU-Binnenmarkt bietet für Unternehmen große Vorteile wie freier Warenverkehr, keine Zollabfertigungen für EU-Lieferungen, einheitliche Normen und Gesetze. Gerade Deutschland als exportorientierte Wirtschaftsnation mit weltweiter Vernetzung im Handel hat große wirtschaftliche Vorteile aus der EU, die unser aller Wohlstand sichern. Auch für Privatpersonen gibt es viele Vorteile wie freier Reiseverkehr, in vielen Ländern einheitliche Währung, Regelungen zum Verbraucherschutz. Die Möglichkeit zu wählen, ist ein Grundrecht in Demokratien, das es zu bewahren gilt. Mit der EU-Wahl haben wir die Gelegenheit, die Zusammensetzung des EU-Parlamentes und die künftige EU-Politik zu beeinflussen. Wir alle sollten die Gelegenheit nutzen, mit der Wahl die Zukunft der EU positiv zu gestalten.
Souveränität statt Abkopplung
Zu lange habe Europa sich in einer dreifachen Komfortzone bewegt, so Hahn: billige Energie aus dem Osten, vor allem aus Russland; billige Technologie aus Fernost; Sicherheitsgarantien aus den USA. Keine dieser Sicherheiten gebe es noch. „Darauf müssen wir eine Antwort finden. Aus meiner Sicht muss diese lauten: verstärkte Souveränität. De-Risking, aber keine Abkopplung.“ Dazu sei Europas Wirtschaft zu eng mit der Weltwirtschaft verflochten. Weg müsse Europa jedoch von einer zu starken Abhängigkeit von einzelnen Märkten und Ländern.
IHK-Präsident Dr. Michael Waasner hofft nach der Europawahl im Juni auf eine stärker auf Unternehmen ausgerichtete Politik der EU. Ob es gelingen wird, eine funktionierende pro-europäische Mehrheit zu erhalten, die der Wirtschaft einen entsprechenden Stellenwert einräumt – das könne jeder Wähler und jede Wählerin bei der Europawahl ein Stück weit selbst mit beeinflussen.