Konjunktur in Deutschland, Herbst 2024

Deutsche Wirtschaft verliert den Anschluss

Zu wenig Investitionen, zu viel Bürokratie, zu hohe Standortkosten - die deutsche Wirtschaft steckt fest. Sie verliert in Europa und international den Anschluss. Laut der in der vergangenen Woche veröffentlichten Prognose des Internationalen Währungsfonds liegt Deutschland von den 41 fortgeschrittenen Volkswirtschaften aktuell beim Wachstum auf Platz 39. Die Wirtschaft in Deutschland hat es nicht mit einer konjunkturellen, sondern mit einer hartnäckigen strukturellen Krise zu tun.
Für 2025 gibt es keine Zeichen für Optimismus. Im Gegenteil, an manchen Stellen lassen die Rückmeldungen der Unternehmen befürchten, dass es noch schlechter kommen könnte. Für 2024 wird die Prognose auf eine "rote Null" gesenkt. Auch für das kommende Jahr prognstiziert der DIHK lediglich mit Null-Wachstum. Das wäre das dritte Jahr in Folge ohne realen Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt!
Die schlechten Erwartungen aus dem Frühsommer sind tatsächlich betriebliche Wirklichkeit geworden. Sie werden auch nicht durch die Hoffnung auf eine Verbesserung der konjunkturellen Rahmenbedingungen oder durch einen wirtschaftspolitischen Befreiungsschlag aufgehellt wie beispielsweise mittel- bis langfristig sinkende Energiepreise oder steigende Einkommen. Deutschland wird zunehmen zur wirtschaftlichen Belastung für Europa und kann seiner Rolle als wirtschaftliches Zugpferd nicht mehr gerecht werden. Zu den hohen Kosten für Energie und Personal, der ausufernden Bürokratie und der Steuerbelastung kommen noch geopolitische Unsicherheiten und eine wegbrechende Nachfrage aus dem In- und Ausland hinzu.

Geschäftslage und -erwartungen verdüstern sich – vor allem in der Industrie

Nur noch 26 Prozent (nach zuvor 28 Prozent im Frühsommer) der Unternehmen bewerten ihre aktuelle Geschäftslage als "gut". Fast gleich hoch ist der Anteil, der seine Lage als "schlecht" bewertet (25
Prozent nach zuvor 23 Prozent). Der Saldo aus den positiven und negativen Lagebewertungen sinkt damit auf lediglich einen Punkt (nach fünf Punkten im Frühsommer).
Am schlechtesten ist die Lage in der Industrie. Die Optimisten sind hier in die Minderheit. Nur noch 19 Prozent der Betriebe bewerten ihre aktuelle Lage als "gut". 35 Prozent beantworten die Frage "gut oder schlecht?” mit "schlecht". Der Saldo sinkt um elf Prozentpunkte auf minus 16 Punkte und liegt weit unter dem langjährigen Durchschnitt von plus 21 Punkten. Eine solche Situation gab es zuletzt vor 20 Jahren während der schweren Krise in den Jahren 2002 und 2003. Das ist ein deutliches Alarmsignal. Damals hat die Regierung versucht, mit der Agenda 2010 die Krise zu überwinden. Tiefgreifende Reformen sind auch jetzt erforderlich.
Einen besonders dramatischen Einbruch bei der Geschäftslage verzeichnet der Kraftfahrzeugbau: Der Saldo stürzt um 27 auf minus 31 Punkte ab. Hier kommen die tiefgreifenden Herausforderungen, mit denen die Branche konfrontiert ist, zum Tragen: hohe Produktionskosten und vor allem die Transformation hin zur E-Mobilität, die zusätzliche Anpassungs- und Investitionsanforderungen mit sich bringt. Hinzu kommen der Trend, ‚local for local‘ zu produzieren, sowie eine wachsende und ernst zu nehmende Konkurrenz auf den Weltmärkten. Wie schwierig die Situation für viele Unternehmen hier ist, zeigt ein Blick auf die Finanzen. Jedes zweite Unternehmen im Kraftfahrzeugbau meldet aktuell ein Problem bei der Finanzlage. 30 Prozent der Hersteller von Kfz-Teilen und Zubehör haben einen erschwerten Fremdkapitalzugang.
Auch die Geschäftserwartungen für die kommenden Monate in der Gesamtwirtschaft geben keinen Anlass für Optimismus. Denn der Anteil der Unternehmen mit negativen Erwartungen nimmt spürbar zu: 31 Prozent rechnen mit schlechteren Geschäften (zuvor 26 Prozent), während nur noch 13 Prozent eine Verbesserung erwarten (zuvor 16 Prozent). Für die Betriebe zeichnet sich kein Licht am Horizont ab. Allenfalls könnte die kürzliche Zinssenkung der EZB ein erster Hoffnungsschimmer sein, wir sehen ihn aber noch nicht in unseren Zahlen.

Deutliche Hinweise auf Deindustrialisierung

Die Bruttoanlageinvestitionen liegen noch immer deutlich unter dem Vor-Coronaniveau. Es gibt auch keine Hinweise auf eine Verbesserung. Im Gegenteil, ein Drittel der Unternehmen will seine Investitionen am heimischen Standort zurückfahren. In der Industrie sind es sogar 40 Prozent. Die Anzeichen einer Deindustrialisierung erhärten sich damit. Die schlechten Investitionen zeigen, dass die industrielle Wertschöpfungsbasis sinkt. Für eine Gesellschaft, die auch noch Herausforderungen wie die Dekarbonisierung der Wirtschaft meistern will, ist Produktivitätsfortschritt der einzige Ausweg. Dazu braucht es aber massiv mehr Investitionen.

Die Beschäftigungsabsichten bröckeln

Die schwache Investitionsneigung spiegelt sich auch in den Beschäftigungsplänen wider. Es gibt zwar keinen flächendeckenden Personalabbau, aber die Zeit sinkender oder stabiler Arbeitslosenzahlen ist erst einmal vorbei. Ein Viertel aller Betriebe will die Anzahl der Beschäftigten senken. Mit einem Personalaufbau rechnet hingegen nur noch jeweils gut ein Zehntel. Der Strukturwandel ist im vollen Gange. Besonders deutliche Einschnitte gibt es in der Kfz-Branche und den energieintensiven Unternehmen. Anders als in den letzten Jahren wird es künftig auch vermehrt Arbeitsplatzverluste gegeben. Derzeit wird das noch durch die demografische Entwicklung gebremst. Der Fachkräftemangel sorgt trotz der schwachen wirtschaftlichen Lage für eine relativ stabile Beschäftigungslage.

Geschäftsrisiken weiterhin hoch

Jenseits der geopolitischen Spannungen und Krisen sorgen sich die Unternehmen um die Standortbedingungen in Deutschland: Mehr als jedes zweite Unternehmen sieht unsichere wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen (57 Prozent), Arbeitskosten (54 Prozent) oder Fachkräftemangel (51 Prozent) als brisantes Geschäftsrisiko. Trotz Rückgängen sind für knapp die Hälfte auch noch die Energie- und Rohstoffpreise ein Problem (49 Prozent). Verschlechterte Standortbedingungen belasten außerdem die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Deutschland droht auf den Weltmärkten an Boden zu verlieren. Trotz eines robusten Wachstums der Weltwirtschaft erwartet die Exportindustrie für die nächsten zwölf Monate keine Besserung: Nur jedes fünfte Unternehmen erwartet steigende Ausfuhren, knapp ein Drittel geht von einem Rückgang aus. Die Transmission zwischen guter oder halbwegs guter Auslandskonjunktur und dadurch guten Geschäften unserer Exportunternehmen, was wiederum die Konjunktur in Deutschland anschiebt, funktioniert immer weniger.
Ältere Konjunkturberichte der DIHK stellen wir Ihnen auf Anfrage gern zur Verfügung.