Studie zur Energiesicherheit

IHK Aachen fordert deutlich mehr Tempo bei der Energiewende

© IHK Köln/Claus Hallmann
Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine müssen die Pläne für einen vorgezogenen Kohleausstieg 2030 neu bewertet werden. Die Kapazitäten der Kohlekraftwerke im Rheinischen Revier müssen länger als Sicherheitsreserve vorgehalten werden, um auf Engpässe bei Gaslieferungen reagieren zu können. Zu diesem Schluss kommt die Studie “Energiesicherheit im Kern- und Wirkungsraum des Rheinischen Reviers”, die von den Industrie- und Handelskammern Aachen, Köln und Mittlerer Niederrhein in Auftrag gegeben worden ist. “Versorgungssicherheit und die Zukunft unseres Wirtschaftsstandorts dürfen nicht gefährdet werden, letztlich sind gut bezahlte Arbeitskräfte davon abhängig”, sagt Michael F. Bayer, Hauptgeschäftsführer der IHK Aachen. Die Politik müsse ein glaubhaftes Zeichen für die Versorgungssicherheit setzen, zum Beispiel durch ein Moratorium zum vorgezogenen Kohleausstieg. Bayer warnt, dass die bisherigen Planungen zum Kohleausstieg auch auf die Nutzung von russischem Gas setzen und diese Voraussetzung durch den Krieg nicht mehr gilt.
Bayer fordert: “Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss endlich massiv beschleunigt werden. Bisherige Denkmuster und kleine Anpassungen sind nett, werden der massiven Herausforderung aber in keinster Weise gerecht. Die Planungs- und Genehmigungsprozesse müssen drastisch vereinfacht und verkürzt werden.” Ob das verabschiedete “Osterpaket” der Bundesregierung die notwendige Beschleunigung schafft, wird derzeit geprüft. Denn auch das “Osterpaket” hat seinen Ursprung vor dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine.
“Wir brauchen deutlich mehr Tempo bei der Energiewende”, betont Bayer. “Einzelinteressen, Bräsigkeit und Kleinteiligkeit dürfen wir uns nicht mehr leisten. Unser großes gemeinsames Ziel lautet: Wir werden ein klimaneutraler, international wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort mit zukunftsfähigen Arbeitsplätzen – ein Morgen-Land.” Für das Rheinische Revier sei es deshalb wichtig, zügig Flächen für erneuerbare Energien festzulegen. Bei der Ausweisung dürften die kommunalen Gebietskörperschaften von der Landesregierung nicht alleine gelassen werden.
Die aktuelle Studie belegt: Beim Strom sind Unternehmen aus Industrie und Gewerbe schon jetzt vermehrt von Netzschwankungen betroffen. Mehrere der rund 50 befragten Unternehmerinnen und Unternehmer klagen über eine Verschlechterung der Versorgungsqualität und -sicherheit. Teil dieses Problems ist, dass die sogenannte “gesicherte Leistung” bei Photovoltaik-Anlagen 0 und bei Windkraft weniger als 10 Prozent beträgt, während sie bei Kohle- und Gaskraftwerken bei 90 Prozent liegt. Vor allem bei einer “Dunkelflaute” – in Zeiträumen, in denen die Sonne nicht scheint und gleichzeitig weitgehend Windstille herrscht – sorgt die fehlende gesicherte Leistung von Photovoltaik- und Windenergie für Probleme im Netz. Zusätzlich wird es immer herausfordernder, die notwendige Spannung und Frequenz im Netz aufrechtzuhalten, denn auch sie werden durch die Braunkohlekraftwerke im Rheinischen Revier maßgeblich unterstützt. Die Systemleistung dieser Kraftwerke zu ersetzen, benötigt Zeit.
Bei der Energiewende im Rheinischen Revier müssen deshalb nicht nur die erneuerbaren Energien massiv ausgebaut werden. Auch die Netzkapazität muss gesteigert werden. Eine Verschlechterung der Versorgungssicherheit, selbst geringe Netzschwankungen, können in der Industrie zu erheblichen Produktionsausfällen und Anlagenschäden führen. Bayer resümiert: “Eine sichere Stromversorgung ist auch während der Transformation unseres Energiesystems enorm wichtig.”
Eine weitere Erkenntnis der Studie: Die Wirtschaft in der Region ist wegen des sehr hohen Preisniveaus und des sinkenden Vertrauens in eine dauerhaft sichere Energieversorgung äußerst beunruhigt. Mit Blick auf die Diskussion, russisches Erdgas zu boykottieren, stellt die Untersuchung fest, dass viele Unternehmen, die derzeit auf Gas für Prozesswärme angewiesen sind, ihre Produktionsprozesse nicht kurzfristig umstellen können. Sollten sie von der Gasversorgung abgeschnitten werden, müssten sie ihre Produktion einstellen. Manche Anlagen würden dabei irreversibel geschädigt. Schon allein deshalb sollte Gas nur dann zur Stromerzeugung eingesetzt werden, wenn es aus unterschiedlichen Quellen ausreichend zur Verfügung steht.
Die Untersuchung “Energiesicherheit im Kern- und Wirkungsraum des Rheinischen Reviers” ist von der SME Management GmbH in Elsdorf-Heppendorf durchgeführt worden. Die Autorinnen und Autoren haben dafür eine Vielzahl von Studien zum Rheinischen Revier ausgewertet und rund 50 Vertreterinnen und Vertreter von vornehmlich mittelständischen Unternehmen aus den Bezirken der IHKs Aachen, Köln und Mittlerer Niederrhein befragt. Hier ist die IHK-Studie “Energiesicherheit” als Download zu finden.
IHK-Presseinformation vom 12. April 2022