Wirtschaftspolitische Position der IHK Region Stuttgart

S-Bahn-Netz erweitern, Qualität stabilisieren, ergänzende Systeme einführen

Positionen:
  • Das Filstal sollte eine Anbindung des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) an die Kernregion in S-Bahn-Qualität erhalten. Dazu gehören aus IHK-Sicht sowohl ein langfristig verlässlicher Takt mit Anbindung an das übrige S-Bahnnetz als auch eine Versorgung des Kreises von fünf Uhr morgens bis in die Nachtstunden und an Wochenenden. Die Schienennahverkehrskonzeption 2025 des Landes biete durchaus Chancen für den Kreis. Damit ist aus IHK-Sicht die Frage einer S-Bahn oder S-Bahn-ähnlichen Anbindung nicht obsolet, denn ohne eine verlässliche und deutliche Verbesserung des SPNV besteht die Gefahr, dass sich der Abstand bei der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen dem Landkreis Göppingen und den restlichen Kreisen der Region eher noch vergrößert.
  • Eine Verbesserung der ÖPNV-Anbindung des nördlichen Schwarzwalds an die Kernregion Stuttgart ist ebenso wünschenswert wie ein Ringschluss zwischen Flughafen und Neckartal. Während die Verbindung nach Calw eine gute Möglichkeit bietet, Kunden und damit Kaufkraft aus dem Nordschwarzwald in die Region Stuttgart zu bringen und zugleich zusätzliches Fachkräftepotenzial erschließen würde, würde der S-Bahn-Ringschluss unter anderem eine schnellere ÖPNV-Erreichbarkeit der Landesmesse und des Flughafens für die Unternehmen im Neckar- und Filstal ermöglichen. Allerdings gilt es bei diesen Bemühungen - wie auch bei allen anderen potenziellen Erweiterungen des S-Bahn-Netzes - dass die Betriebsqualität/Stabilität im Bestandsnetz dadurch nicht verschlechtert werden darf.
  • Eine Erhaltung der Gäubahntrasse erscheint im Sinne einer Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Netzes auch bei Störungen im Bereich der Stammstrecke, aber auch als Option für zusätzliche Relationen sehr sinnvoll.
  • Maßnahmen zur Stabilisierung des Betriebs, wie sie im Rahmen des S-Bahn-Gipfels des Aufgabenträgers Verband Region Stuttgart angegangen werden, werden grundsätzlich begrüßt.
  • Es sollte geprüft werden, ob in der Hauptverkehrszeit Verstärker-S-Bahnen eingesetzt werden können. Mit einem verbesserten Platzangebot können zusätzliche Fahrgäste gewonnen werden.
  • Soweit Verkehrsbeziehungen identifiziert werden, die durch ein optimiertes ÖPNV-Angebot verbessert werden könnten, müssen dort nicht automatisch Ergänzungen des S-Bahn-Systems erfolgen. Im Sinne kurz- bis mittelfristiger Optimierungen zu adäquaten Kosten sollte vor allem auf den Busverkehr - bedarfsweise in Form von Schnell- oder Direktbussen wie dem Expressbus des VRS - gesetzt werden.
  • Eigene Fahrwege, die konsequente Bevorrechtigung des Busses und die Einrichtung dynamischer Fahrgastinformationssysteme (Echtzeitauskünfte) an den Haltestellen und in den Fahrzeugen in Verbindung mit rechnergestützten Betriebsleitsystemen sind Beispiele, wie Buslinien so aufgewertet werden können, dass sie als Teil eines hochwertigen ÖPNV-Systems wahrgenommen werden, ohne auch nur annähernd die Investitions- und Betriebskosten eines Schienenverkehrs zu verursachen. Aus Sicht der IHK besteht somit in Zukunft situationsbezogen auch die Chance für ein System, das qualitativ und von der Leistungsfähigkeit her zwischen einem klassischen Busverkehr und einem Schienenangebot liegt (Bus-Rapid-Transport - BRT).
  • Auch andere, lokal emissionsfreie Massenbeförderungsmittel wie Seilbahnen können aufgrund ihres geringen Flächenverbrauchs insbesondere in Gebieten mit anspruchsvoller Topografie, die bislang noch nicht oder künftig in stärkerem Maße durch öffentliche Verkehrsmittel erschlossen werden könnten, zur Stärkung des Umweltverbundes beitragen.
  • Der Einsatz des jeweiligen ÖPNV-Verkehrsträgers (Bus oder Schiene) in der Region sollte sich im jeweiligen Einzelfall an Nutzen-Kosten-Gesichtspunkten zu orientieren..


Hintergrund:

S-Bahn-Verkehre sind das Rückgrat des ÖPNV als zentrales Schienenverkehrsmittel in Ballungsräumen und Metropolregionen: Das Rückgrat des regionalen Schienenverkehrs ist die S-Bahn, für die der Verband Region Stuttgart (VRS) Aufgabenträger ist. Der Landkreis Göppingen ist der einzige Landkreis in der politischen Region Stuttgart, der noch nicht an das S-Bahn-Netz angeschlossen ist. Für die Wirtschaft in der Region Stuttgart geht es bei der S-Bahn-Erweiterung - wie bei der Entwicklung des ÖPNV insgesamt - vor allem um die Attraktivität von Unternehmensstandorten. Orte ohne einen leistungsfähigen ÖPNV haben vielfach Schwierigkeiten in der Wahrnehmung von außen. Das wiederum kann bei der Entscheidung für oder gegen einen Gewerbestandort den Ausschlag geben. Im Gespräch sind mehrere S-Bahn-Erweiterungen. Seit Jahren wird eine Verlängerung von Plochingen in den Kreis Göppingen hinein geprüft. Ferner ist eine Verlängerung der S-Bahn-Linie 6 über Weil-der-Stadt hinaus auf einem Teil der so genannten württembergischen Schwarzwaldbahn bis nach Calw in der Diskussion. Auf dieser - auch als Hermann-Hesse-Bahn bezeichneten - Strecke will der Landkreis Calw zwischen Calw und Renningen zunächst einen mit Diesel betriebenen Regionalzug fahren lassen. Mehrere Kommunen und der Landkreis Esslingen wollen zudem den Ringschluss der S-Bahn von den Fildern ins Neckartal vorantreiben. Im Zusammenhang mit der Realisierung des Verkehrsprojekts Stuttgart 21 wird die Erhaltung der Gäubahntrasse zwischen Nordbahnhof und Stuttgart Vaihingen als mögliche Umfahrung der S-Bahn-Stammstrecke - insbesondere auch bei Störungen - diskutiert. Mit dem Ziel, neue Impulse für die Entwicklung, Verbesserung und Attraktivität des öffentlichen Personennahverkehrs in der Region Stuttgart zu setzen, wurde für zusätzliche landkreisübergreifende Verbindungen innerhalb der Region der regionale Expressbus unter der Regie des VRS eingeführt. Er ist als Ergänzung zum Angebot der S-Bahn - für die ebenfalls der Verband Region Stuttgart Aufgabenträger ist - gedacht und soll Mittelzentren und besondere Verkehrsknotenpunkte innerhalb der Region (zentrale Umsteigepunkte zum SPNV, Flughafen, aber auch regional bedeutsame Arbeitsplatz- und Ausbildungsschwerpunkte) verbinden.
In der Vergangenheit vor allem in Südamerika als Massentransportmittel entwickelt, haben Bus-Rapid-Transport-(BRT)-Systeme in den letzten Jahren auch in Europa Fuß fassen können. Dabei handelt es sich um öffentliche Transportsysteme, die durch infrastruktur- wie auch fahrplan-technische Verbesserungen versuchen, einen höheren Qualitätsstandard als normale Buslinien zu erreichen. Vorteile sind die oftmals niedrigeren Kosten und die höhere Flexibilität bei der Gestaltung der Strecke im Vergleich zur Schiene. Insbesondere im Zusammenspiel mit dem Einsatz neuer Antriebstechnologien (Elektrobusse) können solche Systeme auch einen Beitrag zur Luftreinhaltung leisten. In der Region Stuttgart wurde 2016 erstmals eine vertiefte Untersuchung zur Möglichkeit des Einsatzes eines solchen Systems im Raum Ludwigsburg durchgeführt. Es wurde dabei aufgezeigt, dass BRT-Systeme auch an die Belange in der Region Stuttgart (Siedlungsstrukturen, vorhandener Straßenraum) angepasst werden können.