Wirtschaftspolitische Position der IHK Region Stuttgart
Politik sollte Rohstoffbeschaffung flankieren
Positionen:
- Die Unternehmen selbst kennen am besten ihren Rohstoffbedarf und engagieren sich bei der Suche nach geeigneten Beschaffungsquellen. Mit steigender Konkurrenz um Rohstoffe und der Konzentration des Abbaus in einzelnen Ländern steigen aber die staatlichen Eingriffe in den Rohstoffhandel. Bundesregierung und EU sind gefordert, sich international und bilateral gegen die Ausnutzung von Marktmacht durch Lieferländer einzusetzen. Die Politik sollte sich neben der notwendigen Informationsbeschaffung für den Mittelstand auf die Schaffung richtiger Rahmenbedingungen konzentrieren. Der freie Rohstoffzugang sollte zudem fester Bestandteil internationaler Handelsabkommen werden. Kooperationen mit rohstoffreichen Ländern, bestehende Investitions- und Exportgarantien für Explorationsprojekte sowie Informationsangebote zu Verfügbarkeit und Substitutionsmöglichkeiten helfen bei der Diversifizierung von Bezugsquellen und Rohstoffen. Auch sollte die Politik internationale Rohstoffabkommen mit transparenten Regelungen für die Ex- und Importländer vorantreiben. Bundesregierung und EU sollten auf faire Wettbewerbsbedingungen im internationalen Rohstoffhandel hinwirken. Die Politik sollte die Unternehmen durch Kooperationen mit rohstoffreichen Ländern, durch Fortführung der Investitions- und Exportgarantien für Explorationsprojekte sowie Informationsangebote zu Verfügbarkeit und zu Substitutionsmöglichkeiten bei der Rohstoffbeschaffung unterstützen. Um gerade kleine und mittlere Unternehmen im internationalen Wettbewerb nicht zu schwächen, sollten freiwillige Maßnahmen zur verantwortungsvollen Rohstoffbeschaffung Vorzug vor neuen Nachweispflichten bekommen. Bei der Erstellung der geplanten Verordnung zu Konfliktmineralien sollte die Bundesregierung auf EU-Ebene deshalb darauf hinwirken, dass kleine und mittlere Unternehmen nicht unverhältnismäßig belastet werden. Damit der Zugang zu diesen Metallen für KMU nicht beschränkt wird, sollten weite Bagatellschwellen definiert, Nachweispflichten erleichtert und ein Verzeichnis zertifizierter Lieferanten (Whitelist) erstellt werden. Die Verbesserung der Ressourcenproduktivität sollte auch zukünftig den Unternehmen eigenverantwortlich überlassen bleiben, denn diese verfügen über das erforderliche Know-how. Der Schlüssel zu mehr Ressourceneffizienz liegt in Innovationen und sollte nicht in starre, staatlich verordnete Mindesteffizienzstandards für Produkte münden. Ebenso bedenklich erscheinen feste Recyclingquoten. Sie könnten gegebenenfalls auch zu einer Kostensteigerung führen. Mit unternehmerischem Engagement lässt sich leichter ein wettbewerblicher Markt für Sekundärrohstoffe sowie Recyclingpotenziale erschließen.
- Pflichten zur Offenlegung der Herkunft von Rohstoffen, wie sie in den USA bestehen (Dodd-Frank-Act), bedeuten häufig eine enorme zeitliche und finanzielle Belastung für die Unternehmen. Eine EU-Regelung mit verbindlichen Prüf- und Berichtspflichten würde die Bürokratiebelastung für Unternehmen weiter erhöhen und die wirtschaftlichen Aktivitäten stark einschränken. Das gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Betriebe im internationalen Vergleich. Die IHK unterstützt den Vorschlag der EU-Kommission, eine freiwillige Selbstzertifizierung möglichst weit am Anfang der Lieferkette, also bei den Rohstoffimporteuren als erstem „Berührungspunkt“ in der EU, anzusetzen. Das maximiert die Chancen für eine erfolgreiche Rückverfolgung und reduziert den Verwaltungsaufwand deutlich. Der freiwillige Ansatz ermöglicht es den Unternehmen in der EU, dass sie sich selbst und ihre Lieferanten im EU-Ausland flexibel und schrittweise auf die neue Regelung einstellen können.
- Der Zugang zu heimischen Rohstofflagern sollte langfristig sichergestellt werden. Hierzu sollte ein integriertes Konzept zur Sicherung der wirtschaftlichen Entwicklung entwickelt werden, das den Ausgleich zwischen verschiedenen Interessen bei der Landnutzung berücksichtigt. In der Bevölkerung und Politik sollte das Bewusstsein für die Notwendigkeit des heimischen Rohstoffabbaus gestärkt werden. Die Umsetzung umweltrechtlicher Vorgaben der EU sollte auch in Deutschland so erfolgen, dass der Rohstoffabbau in geschützten Gebieten dann zulässig bleibt, wenn keine erhebliche Beeinträchtigung der dortigen Natur zu erwarten ist und bei Eingriffen in Natur und Landschaft ein angemessener Ausgleich durch die Unternehmen zu erfolgen hat. Die heimischen Vorkommen an Erdöl und Erdgas sollten weiter genutzt werden können.
- Technologien zur Gewinnung aus konventionellen und unkonventionellen Lagerstätten sollten unter der Bedingung größtmöglicher Sorgfalt und unter Beachtung des Gewässerschutzes eingesetzt werden dürfen.
Hintergrund:
Bei vielen Rohstoffen wie beispielsweise Öl, Gas, metallischen Rohstoffen und vielen Industriemineralien ist Deutschland fast vollständig von Importen abhängig. Die Rohstoffversorgung entwickelt sich damit zu einem immer größeren wirtschaftlichen Risiko – obwohl die deutsche Industrie im internationalen Vergleich besonders ressourceneffizient produziert. Über 70 Prozent der Industrieunternehmen nehmen ihr Ressourcenmanagement unter die Lupe. Sie suchen nach Optimierungsmöglichkeiten – und zwar von der Beschaffung bis zum Absatz. Laut dem DIHK Unternehmensbarometer 2010 hat die Hälfte der Industriebetriebe im Bereich der Forschung und Entwicklung verstärkt Anstrengungen unternommen, um den Ressourceneinsatz im Unternehmen weiter zu optimieren. Gemäß der Konjunkturumfrage des DIHK im Februar 2016 bedeuten Niedrigzinsen, Rohstoffpreiseinbruch und Wechselkursentlastung zwar eine gewisse Erleichterung auf den weltweiten Rohstoffmärkten, nichts desto trotz sind perspektivisch auch weiterhin faire Regelungen für alle Export- und Importländer von Rohstoffen anzustreben. Der Import von Rohstoffen stellt für die Wirtschaftsregion Stuttgart bereits seit dem 19. Jahrhundert ein existenzielles Thema dar, als sich der Mittlere-Neckar-Raum trotz fehlender eigener Rohstoff- und Energiequellen sowie mangelnder Verkehrsanbindung zu einem der industriestärksten deutschen Wirtschaftsräume entwickelte.
Die USA haben 2010 mit dem Dodd-Frank-Act US-börsennotierte Unternehmen zur Offenlegung verpflichtet, ob ihre Produkte die vier Konfliktmineralien enthalten und ob diese aus der Demokratischen Republik Kongo oder den Nachbarländern stammen. Um diese Berichtspflicht zu erfüllen, sind die betroffenen Unternehmen gezwungen, die Frage entlang ihrer gesamten Lieferkette bis zu ihren Zulieferern weltweit „durchzureichen“. Aufgrund der überdurchschnittlich hohen Anzahl produzierender Unternehmen in der Region Stuttgart sind hier besonders viele Unternehmen betroffen In Krisengebieten, sei es in Afrika oder aktuell im Nahen Osten, werden immer wieder Erlöse aus dem Rohstoffhandel genutzt, um bewaffnete Gruppen und Bürgerkriege zu finanzieren. Um diesen Mechanismus zu durchbrechen, haben Politik und Zivilgesellschaft eine Reihe von Programmen vor Ort eingeführt, beispielsweise zur Korruptionsbekämpfung und Zertifizierung von Rohstoffminen in Afrika. Auch Industrieinitiativen wie das „Conflict Free SmelterProgram“ wurden ins Leben gerufen. Zivilgesellschaft und Politik fordern, dass die Wirtschaft in diesem Bereich noch mehr Verantwortung übernehmen solle. Diese Forderung will die Europäische Union mit einer entsprechenden Normierung aufgreifen.
Der nationale Rohstoffabbau gerät zunehmend in Konkurrenz zu anderen Flächennutzungen. Neben der landwirtschaftlichen Nutzung, der Siedlungsentwicklung und dem Infrastrukturausbau schaffen vor allem die weitreichenden und zu wenig aufeinander abgestimmten europarechtlichen Vorschriften zum Gebiets- und Artenschutz sowie ihre sehr strenge Umsetzung in Deutschland Abbau- und Entwicklungshemmnisse. Um eine ausreichende Versorgung unseres Wirtschaftsraums auch mit Rohstoffen aus Deutschland sicherzustellen, bedarf es eines integrierten Konzepts zur Sicherung der wirtschaftlichen Entwicklung und flächendeckend einer vorausschauenden Raumplanung als rechtlichem Rahmen für den Ausgleich zwischen verschiedenen Landnutzungsinteressen.