Wirtschaftspolitische Position der IHK Region Stuttgart

Versorgungssicherheit, Netze und Flexibilisierung – Energie-Versorgungssicherheit dauerhaft garantiert, Infrastruktur ausbauen

Positionen:
  • Der EU-Energiepolitik sollte ein gemeinsames Verständnis und eine gemeinsame Verantwortung für Versorgungssicherheit zugrunde liegen. Dies gilt ebenso für grenzüberschreitende Gasflüsse und die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien oder Kraftwerks- und Netzkapazitäten.

  • Die Politik steht in der Verantwortung, Rahmenbedingungen für eine jederzeit sichere Stromversorgung in ganz Deutschland zu schaffen. Diese ist die Grundvoraussetzung für nahezu jede unternehmerische Tätigkeit.

  • Die Versorgungssicherheit mit Strom/Energie stellt für die weit überwiegende Zahl der Unternehmen bisher kein Problem dar. Tendenziell ist die Industrie durch mehr Störungen beeinträchtigt, in Baden-Württemberg etwas mehr als im Bundesgebiet und mit zunehmendem Trend. Die Politik ist gefordert, die Versorgungssicherheit für die Zukunft zu erhalten, insbesondere durch die Grundlastfähigkeit der Stromversorgung in Süddeutschland.

  • Baden-Württemberg wird unabhängig vom Ausbau der Erneuerbaren Energien im Land weiter von erheblichen Stromimporten abhängig bleiben. Geplante Stromlieferungen aus anderen Bundesländern und dem Ausland sollten langfristig sichergestellt werden.

  • Da die Anforderungen an die Regelungsfähigkeit konventioneller Kraftwerke insgesamt steigen, erscheint ein entsprechender Zubau an hochflexiblen Gaskraftwerken als Reserve in Baden-Württemberg angezeigt. In diesem Zusammenhang sollte die Politik zusammen mit der Wirtschaft für die Akzeptanz von neuen Kraftwerken sowie Stromleitungen und Speichern vor Ort werben.

  • Der Übergang in eine von Erneuerbaren Energien getragenen Versorgungsstruktur sollte mit größter Sorgfalt auf die Konsequenzen für Versorgungssicherheit und Preise hin überprüft werden.

  • Die Bundesregierung sollte den Betrachtungszeitraum der Versorgungssicherheit bis nach 2022 ausdehnen und möglichen Handlungsbedarf gleichermaßen zügig und sorgfältig analysieren.

  • Die Akzeptanz des Netzausbaus zu steigern, bleibt trotz des beschlossenen, mit hohen Zusatzkosten verbundenen Erdkabelvorrangs für die Gleichstromkorridore eine große Herausforderung; Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Bürger sollten sich gleichermaßen ihrer Verantwortung für den Infrastrukturausbau stellen. Gesamtplanungen können nur gelingen, wenn sie in den Regionen unter rechtzeitiger Einbeziehung aller Akteure zügig umgesetzt werden.

  • Die Politik, besonders auch die lokale Politik, sollte Informationsbarrieren abbauen und den Bürgern vor Ort die Notwendigkeit und Chancen des Netzausbaus aufzuzeigen. Es sollte unter anderem versucht werden, die Bevölkerung von einer regional ausgewogenen Trassenführung zu überzeugen. Das Dialogverfahren zur HGÜ-Leitung (Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung)‚ „Suedlink“ war ein erster Ansatz. Ob dieser zu entsprechender Akzeptanz bei der konkreten Trassenplanung führt, muss sich erst noch zeigen.

  • Um über Ländergrenzen hinweg den Energienetzausbau voranzutreiben, ist die Bundeskompetenz für Raumordnung ein wichtiger Baustein. Auch die Bündelung der Planfeststellungsverfahren bei der Bundesnetzagentur ist ein wichtiger Schritt.

  • Die Landesregierung sollte sich auf Bundesebene weiter tatkräftig für den Netzausbau einsetzen, wie er im Bundesbedarfsplangesetz festgestellt ist.

  • Der Netzausbau darf dadurch weder über Gebühr zeitlich verzögert noch verteuert werden. So werden voraussichtlich beispielsweise die erforderlichen Nord-Süd-Verbindungen nicht bis zum Abschalten der letzten Kernkraftwerke 2022 betriebsbereit sein und könnte womöglich die Versorgungssicherheit vor allem der produktionslastigen Unternehmen in der Region gefährden. Allein die Fahrweise von Kraftwerken und die Abregelung von Wind-, Biomasse und Solar-Anlagen haben 2015 mehr als eine Milliarde Euro gekostet, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Ein Gutteil dieser Kosten wird voraussichtlich auf die Wirtschaft über höhere Netzentgelte umgelegt.

  • Über 95 Prozent der erneuerbaren Energien sind am Verteilnetz angeschlossen. Daher kann es notwendig werden, auch dort Netzsystemdienstleistungen für Frequenz- und Spannungshaltung bereit zu stellen und Flexibilitätsprodukte vor Ort zu nutzen. Dafür sollten sich Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber miteinander abstimmen.

  • Lieferantenvielfalt, gute Infrastruktur und Gasspeicher sind ein wichtiges Element der Versorgungssicherheit. Derzeit wird diskutiert, ob der Markt genügend Nutzungsanreize für Erdgasspeicher bietet.

  • Der Speichereinsatz sollte weiterhin primär durch Marktsignale gesteuert werden.

  • Eine staatlich organisierte Erdgasreserve ist zu überdenken. Dies wäre ein erheblicher Eingriff in den Markt und würde voraussichtlich hohe Kosten verursachen. Den Unternehmen würde die Mitfinanzierung einer nationalen Reserve kein Mehr an Versorgungssicherheit bringen, da Privatkunden und Gaskraftwerke Vorrang genießen.

  • Im Rahmen des notwendigen Lastmanagements erscheint der Ausbau von Smart Grids angebracht. Dieser sollte nicht nur in Deutschland erfolgen, sondern auch EU-weit implementiert werden. Hierzu bedarf es geeigneter Geschäftsmodelle und gleicher Rahmenbedingungen.

  • Die volatile Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien sollte europaweit über den Markt besser mit der flexiblen Nachfrage der Verbraucher in Einklang gebracht werden. Dazu sollten die Mitgliedstaaten grenz- überschreitende Infrastrukturen ausbauen und einheitliche Marktregeln schaffen.

  • Über 95 Prozent der erneuerbaren Energien sind am Verteilnetz angeschlossen. Daher kann es notwendig werden, auch dort Netzsystemdienstleistungen für Frequenz- und Spannungshaltung bereit zu stellen und Flexibilitätsprodukte vor Ort zu nutzen. Dafür sollten sich Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber miteinander abstimmen.

  • Flexibilisierungs- und Effizienzmaßnahmen müssen einander sinnvoll ergänzen, um ein kosteneffizientes und stabiles Gesamtsystem zu ermöglichen.

  • Speichertechnologien sind ein wichtiger Baustein der Flexibilisierung des Energiesystems. Für sie besteht derzeit eine Vielzahl von teilweise nicht konsistenten Einzelregelungen. Energiespeicher sollten daher in den Gesetzen einheitlich definiert werden, um ihren Einsatz zu erleichtern und rechtliche Unsicherheiten zu beseitigen.

Hintergrund

Netzausbau ist derzeit die günstigste Option für Versorgungssicherheit und notwendig (physische Voraussetzung) für die Vollendung des EU-Energiebinnenmarkts mit einem freien Handel mit Strom in der einheitlichen deutsch-österreichischen Preiszone und für einen effizienten Einsatz von und für den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien an ertragreichen Standorten. Die Akzeptanz des Netzausbaus zu steigern, bleibt trotz des beschlossenen, mit hohen Zusatzkosten verbundenen Erdkabelvorrangs für die Gleichstromkorridore eine große Herausforderung. Nach Auffassung vieler Unternehmen in Baden-Württemberg gibt es auch bei weiteren Rahmenbedingungen für die Energiewende noch Handlungsbedarf. Im DIHK-Energiewendebarometer wird als eine Hauptforderung die Unterstützung des Netzausbaus aufgeführt. Mit einer Nennung von 80 Prozent wird dies im Land noch häufiger gefordert als im Bund (77 Prozent). Der Ausbau der Übertragungs- und Verteilnetze ist das wichtigste Element für eine erfolgreiche Energiewende, ebenso wie der Ausbau von Smart Grids.
Die konventionelle Kraftwerksleistung in Baden-Württemberg wird sich von derzeit ca. 11,4 Gigawatt über 9,8 Gigawatt in 2020 auf 8,4 Gigawatt in 2025 vor allem durch die Abschaltung der verbliebenen Kernkraftwerksblöcke in 2019 und 2022 verringern. Dabei ist unterstellt, dass kein nennenswerter Zu- oder Abbau fossiler Kraftwerkskapazität erfolgt. Dieser Rückgang kann durch starken Ausbau erneuerbarer Energien im Land entsprechend den Zielen der Landesregierung (vor allem dem sehr ambitionierten Windkraftziel) und Stromimport aus anderen Regionen Deutschlands oder dem Ausland kompensiert werden. Die Volatilität der Stromerzeugung nimmt deutlich zu. Insbesondere beim planmäßigen Ausbau der erneuerbaren Energien können punktuell erheblich Leistungsüberschüsse allein aus der regenerativen Energie entstehen. Bei ungünstigen Wetterverhältnissen muss andererseits bei Lastspitzen von 11,5 Gigawatt im Jahr 2020 mit einer Deckungslücke von über zwei Gigawatt und im Jahr 2025 von über drei Gigawatt gerechnet werden.
Lieferantenvielfalt, gute Infrastruktur und Gasspeicher auf der Angebotsseite sowie Nachfrageflexibilisierung sind Säulen der Versorgungssicherheit. Ein funktionsfähiger und liquider Markt mit klar verteilten Rollen ist Garant für eine sichere Erdgasversorgung. Auf europäischer Ebene kann die vorgeschlagene Energieunion zu einem gemeinsamen politischen Verständnis von Versorgungssicherheit anregen. Die Energieunion bietet die Chance, gemeinsam mit den anderen Mitgliedstaaten Bezugsquellen zu diversifizieren und mit der Stärkung des Binnenmarkts für Unternehmen wichtige Versorgungssicherheit grenzüberschreitend sicherzustellen. Ein wichtiges Element der Versorgungssicherheit sind Erdgasspeicher. Derzeit wird diskutiert, ob der Markt genügend Nutzungsanreize bietet. Die Nordschwarzwaldleitung leistet in Baden-Württemberg einen wesentlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit. Zusammen mit einer moderat angenommenen Entwicklung des Erdgasgroßhandelspreises ist die Situation der Erdgasversorgung aktuell als relativ entspannt zu betrachten.
Im Rahmen der Energiewende ist zunehmend mehr volatile erneuerbare Energie am Markt verfügbar. In diesem Zusammenhang ist es entscheidend, dass Produzenten und Verbraucher ihre Erzeugung bzw. Nachfrage den Schwankungen flexibel anpassen. Neben regulatorischen Hürden ist z. B. aus betriebsorganisatorischer Sicht der gewerbliche Stromverbrauch allerdings nur bedingt flexibel gestaltbar. Smart Grids, oder auch intelligente Stromnetze genannt, unterstützen einerseits das Zusammenspiel von Energieangebot und Energienachfrage, andererseits die Integration der Erzeugung aus erneuerbaren Energien. Für das Stromnetz der Zukunft werden neue, intelligente Technologien und Dienstleistungen entwickelt, die die Stromproduzenten stärker mit Stromkonsumenten vernetzen. Smart Grids gelten als eine der Lösungen für den Ansturm von Energieeinspeisungen aus erneuerbaren Energiequellen in das Stromnetz. und können die Energieversorgung durch das Zusammenspiel von Erzeugung, Speicherung, Netzmanagement und Verbrauch in einem Gesamtsystem effizienter machen. Durch die automatisierte Anpassung der Netze hinsichtlich von Stromangebot und Stromnachfrage entwickeln sich Intelligente Netze (Smart Grids) vorraussichtlich zu einen Wachstumsfeld, auch in globaler Hinsicht.